Aktueller Bericht über das Gemeinschaftsprojekt in Thulo Byasi, Bhaktapur

Einige ehrenamtliche Mitglieder der SAI-Nepalhilfe aus Heidelberg begaben sich am 20.9.2015 nach Bhaktapur, um das seit Mai geförderte Gemeinschaftsprojekt der Künstlergruppe ArTree zu besuchen (Projektbeschreibung). Manik Bajracharya, Rajan Kathiwoda, Nadine Plachta, Axel Michaels und ich hielten uns mehrere Stunden vor Ort auf, und zwei Tage später fuhr ich nochmals nach Bhaktapur, um gezielte Gespräche mit Erdbebenopfern zu führen. Ich möchte kurz darüber berichten, um Ihnen die Arbeit der Initiative vor Augen zu führen.

Der 20. September war der letzte von drei Tagen, an denen das vom Erdbeben massiv betroffene Stadtviertel Thulo Byasi Plätze, Häuser und Türen öffnete, und Musiker und Künstler, Ingenieure, Designer, teilweise in Kooperation mit zahlreichen Kinder und Frauen vor Ort ihre monatelange Zusammenarbeit darstellten. Wir wurden von den Gründern von ArTree begleitet und konnten so einen sehr direkten Eindruck erhalten. Die seit Ende April andauernde Arbeit lässt sich in zwei Phasen unterteilen: eine der direkten humanitären Hilfe, Dokumentation und Kontaktvertiefung zu besonders hilfsbedürftigen Gruppen von Newars und eine weitere, daraus hervorgehende, in der konkrete Projekte verfolgt wurden, oft in enger Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort. Von besonderer Bedeutung waren die Perspektiven, Geschichten und Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung. Diese rangierten zwischen dem Umgang mit traumatischen Erlebnissen von Verlust und Angst, von ökonomischen und sozialen Konflikten, sowie der zentralen Rolle von Kultur und Religion für Regeneration und Wiederaufbau.

Augenzeugenbericht
Detail der Installation von Sanjeev Maharjan, dessen Arbeit auf Interviews mit lokalen Bewohnern des Viertels beruht, die den Zeitpunkt des Erdbebens beschreiben. Neben dem Foto der jungen Frau mit Kind ist ein Ausschnitt aus dem Gespräch mit ihr. (Foto: Axel Michaels)

Wir möchten hier drei Beispiele hervorheben, die besonders verdeutlichen, wie konstruktiv die von der SAI Nepalhilfe ermöglichte Hilfe war.

Insgesamt ist die Situation sicherlich als ‚stabil’, aber nach wie vor prekär, zu bezeichnen. Status Quo 1Status Quo 2.

Thulo Byasi – noch immer sind die Nachwirkungen des Erdbebens sichtbar. (Fotos: Axel Michaels)

Bis auf eine Familie, die noch in den anfänglichen Notunterkünften in den Feldern, lebt, sind um die 5-600 Einwohner in Wellblechhütten gezogen, wo bis zu 10 Menschen (meist eine Grossfamilie) auf nicht mehr als 16 qm dicht zusammen leben, aber zumindest Strom und Schutz vor dem Monsunregen haben. Vor diesen Behausungen spielt sich ein fast ‚normales’ Alltagsleben ab, es wird gestrickt, gekocht, geredet, gelernt, gespielt.

Foto mit sheelasha
Künstlerin und Projektleiterin Sheelasha Rajbhandari vor einer Notunterkunft in Thulo Byasi.

Eine große Anzahl von Häusern ist demoliert worden, manche waren ganz zusammengebrochen, bei anderen sind die oberen Stockwerke unbewohnbar, klebt ein rotes Schild, auf dem ‚unliveable’ steht. Die Neu- oder Wiederaufbauarbeit zieht sich in die Länge, denn Regierungssubventionen lassen auf sich warten und nicht jeder kann sich leisten, einen Kredit aufzunehmen. Familien, deren Häuser noch stehen, benutzen – auch trotz des roten Schildes – zumindest noch das Erdgeschoss. Manche leben dort tagsüber, und gehen zum Schlafen in die Schutzhütten, entgehen so zumindest zeitweise der Dichte. Viele haben nach  wie vor ihre Gärten und Felder, aber auch Zimmer obdachlosen Familien zur Verfügung gestellt. Es gibt Wohnungsnot in Bhaktapur, und es wird leider auch Missbrauch betrieben, indem bisweilen absurde Mieten genommen werden. Wegen des dramatisch zurückgegangenen Tourismus sind viele Berufszweige eingestellt worden: Kunsthandwerk und Gastgewerbe klagen über fehlende Einnahmen. Nun zeichnet sich ab, dass die Ernte dieses Jahr wegen zu unregelmäßigem und wenigen Regen im Monsun eine der schlechtesten seit Jahren sein wird. Die Wiederaufbauarbeiten haben viele Familien über Jahre in finanzielle Verschuldung getrieben.

Aber es gibt eben auch Gutes zu berichten, und wir meinen, dass diese Projekte solche Lichtblicke sind und Zuversicht erzeugen. Dieser Eindruck hat sich in den Gesprächen, und auch im Vergleich mit anderen Projekten bestätigt.

Hort und Werkstatt: die Arbeit mit Kindern

Die beiden Künstler Mekh Limbu und Lavkant Chaudhary haben die letzten vier Monate viel Zeit mit Dutzenden von Kindern aus der Nachbarschaft verbracht: wichtig war, dass die Kinder in der Zeit, in der die Schulen wegen des Erdbebens noch geschlossen waren, eine Anlaufstelle hatten, und kreativ sein konnten. Es ging aber auch um Bewältigungsarbeit, denn viele Kinder haben das Ereignis, aber auch die Konsequenzen, die bisweilen starke soziale Spannungen und psychische Belastungen ihres Umfeldes bedeuteten, verdrängt oder wissen nicht, wie damit umgegangen werden kann. Lavkant hat in verschiedenen Workshops sensibel und gestalterisch Erinnerungen an das Erdbeben aufgegriffen, mit den Kindern hat sie an non-verbale und verbale Ausdrucksmöglichkeiten herangeführt, einen Raum für Gehör und Solidarität geschaffen.

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Produkt der Zusammenarbeit des Künstlers Lavkant Chowdury mit Kindern aus Thulo Byasi. Die Szene stellt den Tag des Erdbebens dar. (Foto: Axel Michaels)

Durch die Einladung verschiedener lokaler Kunsthandwerker konnten die Kinder spielerisch-performativ tätig werden. Mekh Limbu hat mit Kindern gezeichnet, und ihre Erfahrungen vom Erdbeben und ihrem Leben im Lager haben Eingang in visualisierte Geschichten gefunden.

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Produkt der Zusammenarbeit des Künstlers Lavkant Chowdury mit Kindern aus Thulo Byasi. Auch hier ist die Erinnerung an das Erdbeben im Vordergrund. (Foto: Axel Michaels)

„Unsere Arbeit zählt“: Frauenprojekt

Sheelasha Rajbhandari hat besonders intensiv mit den so genannten ‚Strickfrauen’ gearbeitet. Viele – junge und ältere – Frauen verdienen sich mit dem Stricken von Mützen, Schals, Handschuhen und Schlüsselanhängern den Unterhalt zusammen – fast alle verkaufen an Mittelmänner und das Einkommen rangiert entsprechend. Das Stricken ist auch eine gemeinschaftliche Aktivität, aber der Ansatz von Sheelasha war, den Frauen darüber ein Forum zum Reden über ihre Ängste und Erfahrungen vom Erdbeben zu bieten, und Möglichkeiten, damit umzugehen.

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 strickfrauSheelasha Rajbhandari

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Die Frauengruppe, mit der Rajbhandari ein Strickprojekt durchführte.

Die junge Künstlerin, die auch das lokale Newari spricht, regte die Frauen an, sich von den marktorientierten Vorgaben zumindest bisweilen zu distanzieren und Porträts von sich selbst zu stricken – so rückten die Frauen für sich selbst, aber auch in Bezug auf die ansonsten stark patriarchal geprägten Gesellschaftsstrukturen in den Vordergrund (FOTO). So entstanden auch neue Freundschaften und Umgangsweisen miteinander.

Für die Zukunft bewahren: Gemeinschaftsräume

Das letzte Projekt ist die Pflege öffentlicher und gemeinschaftlich genutzer Orte. Durch den Verlust der eigenen Häuser sahen sich viele Menschen gezwungen, ihre Zeit draußen und in Camps zu verbringen. In den Lagern gab es keine gemeinschaftlichen Räume –  mit Hilfe von Jugendlichen baute Subhas Tamang solche auf, dort wurde gespielt, wurden Filme gezeigt, konnte geredet werden. Plötzlich erhielten die traditionellen Sitzgelegenheiten, die so genannten patis (newari: phalcha), die von vielen Einwohnern ignoriert worden waren, die aber das Erdbeben überlebten, eine neue Bedeutung. Das Künstlerteam organisierte Konzerte lokaler Musiker – es kamen hunderte von Menschen, auch von weither. So erhielt das Viertel revitalisierende Aufmerksamkeit und Anerkennung, die für die Menschen, die sich weitgehend mit ihren Sorgen allein gelassen und sozial stigmatisiert fühlen, eine wichtige Energiekonserve war. Die Projektarbeit gilt auch dem Ziel, Teile des gebauten Kulturerbes zu erhalten, ihre Bedeutung für soziale, kulturelle, aber auch ökonomische Zwecke hervorzuheben, damit nicht auch noch diese wenigen ‚Erinnerungsorte’ – und damit auch kulturelle Identität – verschwinden.

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Patis – die öffentlichen Gemeinschaftsräume des Viertels, sind in die Arbeit zum Wiederaufbau und zur Regeneration eingebunden worden. (Fotos: Christiane Brosius)

Bei diesem Projekt handelt es sich nicht ‘nur’ um ein Kunstprojekt. Vielmehr erhalten die vom Erdbeben so stark betroffenen Bewohner durch die künstlerische Tätigkeit und Darstellung auch Bestätigung und Aufmerksamkeit. Dies hilft ihnen, nicht nur die Schrecken zu bewältigen, sondern ihr Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühl zu stärken, und zukunfts-orientiert zusätzliches Einkommen zu generieren.

Die Mitglieder des ArTree-Kollektivs sind der Meinung, dass die Wiederaufbau- und Bewältigungsarbeit noch nicht beendet ist und wollen ihre Arbeit in und mit der Gemeinschaft fortsetzen. Das Projekt, das von der SAI Nepalhilfe anfänglich als Kurzzeitprojekt gefördert wurde, soll nun weiter von uns unterstützt werden. Wir hoffen auf, und freuen uns über, Ihre Zustimmung und weitere Spenden dafür.

Art work in the artist Rakesh Yakami's house that was damaged by the earthquake.
Kunstwerk des Künstlers Rakesh Yakami, in dessen Haus, das durch das Erdbeben zerstört wurde. (Foto: C. Brosius)