Report by Lena Michaels

2 Mai 2015 (Kathmandu)

Eine Woche ist es her seit dem schweren Erdbeben der Stärke 7,8 in Nepal. Aber das Erdbeben ist noch längst nicht vorbei. Anhaltende Nachbeben jagen allen hier weiterhin Angst ein und das Ausmaß der Katastrophe wird nur langsam bekannt. Viele vermissen weiterhin Verwandte und Freunde und müssen auch sieben Tage nach dem Beben mit dieser furchtbaren Ungewissheit leben.

Über 6,600 Menschen haben bisher ihr Leben verloren, und zehn-tausende sind verletzt. Aber mir ziemlicher Sicherheit ist die Anzahl der Toten und Verletzen noch wesentlich höher. In Nepals Bergen sind viele Dörfer auch zu normalen Zeiten sehr abgelegen; seit dem Beben welches Straßen und Kommunikationsmasten zerstört hat sind diese Dörfer nun nur noch per Helikopter zu erreichen. Dies ist der Grund dass auch eine Woche nach dem Erdbeben, die genaue Anzahl der Verletzen und Toten unbekannt ist. Tausende von Menschen bleiben weiterhin vermisst, da Verwandte und Freunde sie nicht erreichen können.

Manila Rai kommt aus einem Bergdorf in Dolakha Distrikt, einem der am schwersten betroffenen Gegenden. Sie lebt mit ihren drei Kindern seit mehreren Jahren in Kathmandu und ihr Mann arbeitet als Ingenieur in einem Hydropower Projekt an der Grenze zu China. Als ich sie fünf Tage nach dem Beben treffe, bricht sie in Tränen aus. Sie hat nach dem Erdbeben nur einmal kurz mit ihrem Mann sprechen können, am letzten Sonntag. Danach ist die Kommunikation abgebrochen. Sie weiss, dass ihr Mann überlebt hat, anders als 12 seiner Mitarbeiter die in Tunneln an dem Hyropower Projekt arbeiteten, als das Beben einschlug. Aber Manila weiss nicht, ob ihr Mann verletzt ist, ob er genug zu Essen und Trinken hat und wann er per Helikopter gerettet werden wird. Sie hat Angst, dass er sich an den toten Körpern seiner Kollegen infizieren wird und sorgt sich, dass er, abgeschnitten von der Welt, vergessen wird.

Aber Manila’s Mann ist nicht ihre einzige Sorge. Ihre Eltern und die Mutter ihres Mannes leben weiterhin in ihrem Heimatdorf in Dolakha. Sie hat gehört, dass sie überlebt haben, aber in dem Dorf steht kein einziges Haus mehr. Sie weiss nicht, ob die Eltern es schaffen, sich selber zu versorgen, ohne Zelte, Essen und Hilfe von Außen. Seit mehren Tagen hat sie nicht mehr mit ihren Verwandten im Dorf Kontakt aufnehmen können. Die Strommasten im Dorf sind kaputt und niemand kann sein Handy aufladen.

Viele haben überlebt, da das Erdbeben an einem Samstag, Nepals Feiertag, und zur Mittagszeit einschlug. Zu dieser Zeit sind die meisten Bauern in den Feldern, Familien in der Stadt am Esstisch versammelt und die Kinder bei ihren Eltern, nicht in der Schule. Dies hat tausende von Leben gerettet, da viele der eingestürzten Häuser – zumindest in den am schlimmsten betroffenen ländlichen Gegenden – leer waren. An einem Wochentag, oder schlimmer noch, in der Nacht, wäre das Ausmaß des Bebens noch katastrophaler gewesen.

Aber das bedeutet längst nicht, dass das Schlimmste vermieden und bereits hinter uns ist. Nepal bleibt weiterhin in einem Ausnahmezustand. Viele Verletzte müssen noch gerettet und versorgt, und Vermisste gefunden werden. Die meisten derjenigen die ihre Häuser, Tiere und Lebenseinkommen verloren haben, werden noch über Wochen, sogar Monate, Hilfe brauchen: (Not)Unterkunft, Essen, sauberes Wasser, medizinische Versorgung und finanzielle Hilfe um ihre Häuser, Felder und Dörfer wieder aufzubauen. Da der Monsoon ansteht und die Hilfe der Regierung bisher langsam und unkoordiniert war, bleibt dies eine schwierige Aufgabe. Dazu kommt noch, dass viele junge Leute, deren Hilfe jetzt dringend benötigt wird, im Ausland arbeiten. In den meisten betroffenen Dörfern leben fast nur Alte, Frauen und Kinder.

Aber es gibt Hoffnung. Hunderte von jungen Leuten in Kathmandu haben schon einem Tag nach dem Beben mit Hilfsarbeit abgefangen und koordinieren Volontäre, die Hilfsgüter sammeln um diese in betroffene Gegenden im Kathmandutal und Bergdörfern zu bringen. Andere arbeiten online um Pläne zu entwickeln, welche aufzeigen, wo am dringendsten Hilfe benötigt wird. Viele derjenigen, deren Häuser und Familien, das Erdbeben ohne Schaden überstanden haben, arbeiten rund um die Uhr, um ihren Gemeinden und Freunden zu helfen, Tempelschätze zu retten und Hilfsgüter und Gelder zu sammeln. So sieht man – trotz der langsamen Reaktion der Regierung, welche den Zorn der Bevölkerung in Kathmandu sowie in abgelegen Gegenden auf sich zieht – starkes Zusammenhalten, effektive Initiativen und Hoffnung.