Discussion Paper 63: Kirsch, Ottfried C.: China: Landwirtschaftliche
Genossenschaften im Transformationsprozess

Diskussionsschriften der Forschungsstelle für Internationale Wirtschafts- und Agrarentwicklung eV (FIA), Nr. 63, Heidelberg 1997

 
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INHALTSVERZEICHNIS

1. Einführung

2. Das Beispiel China

2.1  Frühere Ansätze zur Entwicklung eines modernen Genossenschaftswesens
2.2  Landwirtschaftliche Kollektivwirtschaft und Kommunen nach der Gründung der VR China
2.3  Dekollektivierung der Landwirtschaft: Einführung der Familienverantwortlichkeit
2.4  Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen und genossenschaftlicher Unternehmen

Verwaltungsreform
Aufbau genossenschaftlicher Organisationen

2.5  Fallbeispiele
Dorfgenossenschaften (communal cooperative economic organizations)
Spezialisierte Bauernvereinigungen
Ländliche Genossenschaftsfonds

2.6  Probleme
Rechtsform, Genossenschaftsgesetz
Uneinheitliche Organisationsstruktur
Steuerliche Behandlung genossenschaftlicher Organisationen
Staatliche Förderung

3.  Schlußfolgerung

LITERATUR

 

1. Einführung Der Autor hat sich im Rahmen von gutachterlichen Einsätzen (Monitoring, Evaluierung) in Projekten der FAO, der EU (TACIS) der GTZ, der GFA und des DGRV mit Problemen der Transformation des Agrarsektors und insbesondere der landwirtschaftlichen Kollektivwirtschaft in GUS-Republiken, Mittel- und Osteuropa, China und Vietnam beschäftigt. Allen vorgenannten Ländern ist gemeinsam, daß sie eine systematische Phase der Kollektivierung der Landwirtschaft und der Konzentration und vertikalen Integration des Agribusiness durchlaufen haben. Die Deregulierung, Privatisierung der Landwirtschaft und die Entwicklung förderwirtschaftlicher Selbsthilfestrukturen haben sich in den o.g. Ländern sehr unterschiedlich entwickelt. Ganz grob läßt sich folgende Einteilung vornehmen: Im folgenden Paper wird der besondere Weg Chinas aufgezeigt, der sich durch Pragmatismus und Flexibilität auszeichnet. 2. Das Beispiel China

2.1 Frühere Ansätze zur Entwicklung eines modernen Genossenschaftswesens

Die Genossenschaftsbewegung in China kann auf den Beginn des Jahrhunderts zurückdatiert werden. Der Genossenschaftspionier Xui Xianzhou studierte in Deutschland und war von der deutschen Genossenschaftsbewegung beeindruckt. 1919 gründete er die erste Genossenschaftsbank. Eine andere Gründungswelle ging von der China International Famine Relief Commission im Jahre 1921 aus. Auch diese Initiativen lehnten sich an das Modell der ländlichen Spar- und Kreditgenossenschaften an. Die formale Kontrolle der Genossenschaften oblag ab 1936 der Guomindan-Regierung in Nanjing. Von den chinesischen Reformern und revolutionären Kräften wurde die Genossenschaftsbewegung nicht als eine echte chinesische Bewegung betrachtet.

Die Genossenschaftsgesetzgebung zur damaligen Zeit geht ebenfalls, über Umwege, auf deutsche Modelle zurück. Dai Jitao, der Anfang des Jahrhunderts in Japan studierte, lernte dort das japanische Gesetz für industrielle Genossenschaften aus dem Jahre 1900 kennen, das auf deutschen Vorbildern beruhte. Dai Jitao orientierte sich auch an dem russischen Gesetz aus dem Jahre 1917. Auch dieses Gesetz machte Anleihen an dem deutschen Genossenschaftsgesetz. Die Bürgerkriege verzögerten die zügige Etablierung einer genossenschaftlichen Gesetzgebung, erst 1935 wurde ein nationales Genossenschaftsgesetz, zusammen mit Musterstatuten, verabschiedet. Die Genossenschaften der damaligen Zeit wurden von der ländlichen Elite dominiert und können nicht als eine Genossenschaftsbewegung der kleinen Leute und Bauern betrachtet werden.

2.2 Landwirtschaftliche Kollektivwirtschaft und Kommunen nach der Gründung der VR China Nach der Gründung der VR China 1949 und nach der Durchführung einer Landreform, die vor allen Dingen die mobilisierten Bauern, die das Rückgrat der Volksbefreiungsarmee darstellten, für ihre Beteiligung am Bürgerkrieg entlohnen sollte, setzte zunächst eine Landumverteilung an Kleinbauern ein. Von der Landreform profitierten ca. 60 Mio. Kleinbauernfamilien (landlose Pächter und Landarbeiter). In den ersten Jahren ging man relativ schonend mit dem mittleren Segment der bäuerlichen Betriebe um, die aufgrund ihrer Marktproduktion für die Volksernährung von Bedeutung waren. Sehr bald verschärfte sich jedoch der Reformprozeß zu Ungunsten der mittleren und größeren Betriebe. Während der Reform wurden die Bauern gezwungen, Mitglieder sogenannter "poor and lower middle peasants' associations" zu werden.

Die Betriebsgrößen lagen schon damals unter einem Hektar. Als Mittelbauer zählte bereits ein Bauer mit 0,93 ha, reiche Bauern waren solche, die über 1,22 ha bewirtschafteten.

1953 bis 1956 setzte dann sehr zügig die Kollektivierung der landwirtschaftlichen Produktionsmittel ein. China wendete konsequent das Kollektivierungsmodell der Sowjetunion an, verbunden mit der Einführung der Zentralverwaltungswirtschaft und der Industrialisierung mit Hilfe der Kapitalakkumulation in der Landwirtschaft.

Die Kollektivierungsschritte und die Einführung der Zwischenstufen (Vereinigungen der gegenseitigen Bauernhilfe, elementare landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, fortgeschrittene landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) wurden zügig durchgeführt, wobei bereits bei der zweiten Stufe auf eine private Hoflandwirtschaft (Flächen zur privaten Nutzung der Haushalte) verzichtet wurde.

Die Vereinigungen zur gegenseitigen Bauernhilfe waren zunächst, wie in allen kommunistischen Ländern, zur Beruhigung und als Lockmittel für die Bauern gedacht, die erst nach dieser Übergangsform konsequent in die Kollektivwirtschaft "getrieben" wurden. Parallel zu der Landreform, in der Phase der Organisation der Vereinigung zur gegenseitigen Bauernhilfe, wurden auch klassische Genossenschaften gefördert, aufgebaut reaktiviert, insbesondere ländliche Kreditgenossenschaften und Vermarktungsgenossenschaften. Die genossenschaftlichen Unternehmen in diesem Bereich wurden auch deswegen aufgebaut, um durch staatlich kontrollierte genossenschaftliche Unternehmen die Privatwirtschaft im Bereich des Finanzwesens, der Vermarktung und des Transports zurückzudrängen.

Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften wurden in der Periode der Volkskommunen (1957-1977) durch Verschmelzung kleinerer LPGs und die administrative Zusammenfassung von natürlichen Dörfern in administrative Dörfer, die wiederum einer ländlichen Kreisstadt zugeordnet wurden, vorangetrieben. Es entstanden Kommunen, die bis zu 10.000 Familien umfaßten. Durchschnittlich gehörten jeder Volkskommune 4600 Familien an. Intern waren die Kommunen in Produktionsbrigaden auf der Basis der administrativen Dörfer und diese wiederum in Produktionsteams (Basis: natürliches Dorf) eingeteilt.

Die übertriebene Kollektivierung und Egalisierung führte zu starken Produktionsrückgängen. Vorübergehend wurde in dieser Zeit in einer Phase der Liberalisierung bereits ein Vertragssystem eingeführt (drei Freiheiten, ein Vertrag), das aber 1965 wieder durch die Progressisten zurückgedrängt wurde.

In den Volkskommunen wurde die Kollektivierung teilweise sehr weit getrieben, versuchsweise wurden auch die Privathaushalte abgeschafft. Die Volkskommunen betrieben nicht nur landwirtschaftliche Produktion, sondern auch Gewerbebetriebe. Sie bildeten die unterste Ebene der Verwaltung und unterhielten auch eine Miliz.

Die verschiedenen Gewerbebetriebe waren entweder von den Kommunen direkt organisiert, oder konnten auch von den Produktionsbrigaden und den Produktionsteams betrieben werden.

Nach einer langen Periode des Experimentierens mit der Konzentration des Eigentums und der Entscheidungen auf höheren Ebenen wurde das Produktionsteam als Basiseinheit für die Organisation der landwirtschaftlichen Produktion und später auch für das Rechnungswesen verantwortlich. Die oben genannten Kreditgenossenschaften sowie die Bezugs- und Absatzgenossenschaften wurden bei der Bildung der Kommunen in diese integriert, die spezifischen organisatorischen Strukturen blieben jedoch als funktionale Einheit erhalten.

Die ehemaligen Bezugs- und Absatzgenossenschaften sowie die Kreditgenossenschaften, die in die Kommune bzw. deren Handelsorganisationen eingegliedert wurden, behielten teilweise die Organe wie Generalversammlung und Verwaltungskommittee bei.

Im sozialen Bereich unterhielten die Kommunen Krankenhäuser oder Krankenstationen, Kindergärten und Kantinen.

Auf dem Ausbildungssektor waren die Volkskommunen verantwortlich für Elementarschulen sowie für landwirtschaftliche Berufsschulen. Die Volkskommunen unterhielten auch eigene landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalten.

Die Entlohnung der Kommunenmitglieder geschah nach einem Punktesystem, das ebenfalls permanenten Anpassungen und einem Hang zum Experimentieren unterlag. Die generelle Linie des Vorgehens hing davon ab, inwieweit sich die gemäßigten Reformer oder die extremen Progressisten durchsetzten.

Generell bewegte sich das System in Richtung einer bürokratischen Planwirtschaft, die den Besonderheiten der landwirtschaftlichen Produktion kaum noch gerecht wurde. Die ehemaligen Mitglieder der Kommunen gaben später, noch Jahre nach der Liberalisierung, als Hauptschwäche des Kommunensystems die geringe Arbeitsmotivation bzw. die geringe Arbeitsbefriedigung an; die Mitglieder konnten nicht mehr die Bedeutung der von ihnen geleisteten Arbeit für den unmittelbaren Ertrag erkennen. Die Landarbeit war völlig nach den Regeln der industriellen (Fließband-)Produktion ausgerichtet.

Die Kommunenmitglieder konnten jederzeit für Massenarbeitseinsätze (Infrastrukturmaßnahmen, Bewässerungsanlagen, Dammbau) aktiviert und abgezogen werden. Dies störte teilweise den Ablauf der landwirtschaftlichen Produktion empfindlich, führte aber zu gewaltigen Infrastrukturmaßnahmen. Beklagt wurden auch die zahlreichen Sitzungen.

Die Organisation der Arbeit nach Prinzipien der industriellen Produktion sowie die Dezentralisierung der gewerblichen und industriellen Entwicklung - jede Kommune und jede Brigade baute auch gewerbliche und industrielle Produktionsstätten auf - führte in China zu einer Industrialisierung der ländlichen Räume, die weltweit beispiellos ist.

2.3 Dekollektivierung der Landwirtschaft: Einführung der Familienverantwortlichkeit Die oben geschilderte Zeit der Kollektivierung war ein Auf und Ab, bei dem sich die Progressisten (geführt durch Mao Zedong) immer wieder mit extremeren Formen der Kommunenwirtschaft bezüglich der Konzentration und des Kollektivierungsgrades durchsetzen. Der Kollektivierungsgrad und die Bürokratisierung lähmten allmählich jegliche Privatinitiative. Es gab jedoch immer wieder lokale Ansätze von engagierten Führungsmitgliedern, die Lösungswege aus dem Dilemma suchten. In einigen Provinzen griff man zunächst die alten Ideen der Vertragsproduktion (drei Freiheiten, ein Vertrag) wieder auf.

Die Zahl der Volkskommunen demonstriert deutlich dieses Auf und Ab. Durch Konzentration und Wiederaufteilung bei Fehlschlägen schwankte die Zahl zwischen über 23.000 (1958), über 70.000 (1966) und über 53.000 (1979). Die Zahl der landwirtschaftlichen Haushalte, die in den Volkskommunen erfaßt waren, betrug 1979 rund 175 Mio.

Nach dem Tode von Mao Zedong (1976) und der Eliminierung der "Viererbande" gewannen die Reformer bzw. die Pragmatisten dauerhaft die Oberhand. Unter den Reformern trat insbesondere Deng Xiaoping hervor. Während der dritten Plenarsitzung des 11. Zentralkommittees der Chinesischen Kommunistischen Partei im Jahre 1978 wurde endgültig der Weg freigemacht für die wirtschaftlichen Reformen, die ab 1980 umgesetzt wurden.

Die wichtigste Innovation war die Einführung der unterschiedlichsten Vertragssysteme und insbesondere des Familienverantwortlichkeitssystems. Damit wurde zunächst lediglich eine leistungsbezogene Entlohnung angestrebt. Die Vertragssysteme betrafen anfänglich den Leistungsaustausch entweder zwischen verschieden Stufen der Produktion oder auch zwischen Gruppen bzw. Gruppen und Individuen.

Vertragsproduktion von spezialisierten Familien, Familiengruppen und produktorientierten Unternehmen wurden bei der Tierzucht und Mast und bei Sonderkulturen organisiert.

Die Vertragsproduktion durch individuelle Haushalte oder Familien, denen mit dem Produktionsvertrag ein Stück Land zur Nutzung übertragen wurde, setzten sich schließlich immer mehr durch und führten zu einer Individualisierung und Privatisierung der Landbewirtschaftung. Bis heute wird bei diesen Verträgen jedoch das Privateigentum am Boden nicht auf die Vertragspartner übertragen, die Fiktion einer sozialistischen Wirtschaftsordnung wird nach wie vor aufrecht erhalten. Der landwirtschaftliche Grund und Boden ist Eigentum des personennahen Kollektivs (der ländlichen Gemeinden), die Nutzungsrechte können jedoch bei Dauerkulturen bis zu 30 Jahren und bei bebauten Grundstücken bis zu 50 Jahren ausgedehnt werden.

Das Verantwortlichkeitssystem wurde in China zur gleichen Zeit eingeführt, als bei uns beispielsweise in der Automobilindustrie die Gruppenverantwortlichkeit für ein bestimmtes Endprodukt von der Anfangs- bis zur Endmontage an Stelle der Fließbandmontage eingeführt wurde, um den Bezug zum Endprodukt wieder herzustellen. Es entspricht dem heutigen fraktalen Organisationsprinzip.

Die Zuteilung der Nutzungsrechte am Boden setzt voraus, daß die Familie in der entsprechenden Gemeinde ansässig ist. Die Landzuteilung orientiert sich an der Familiengröße. In der Zwischenzeit haben sich die Landnutzungsrechte weitgehend gefestigt, in manchen Gebieten entwickelte sich auch ein Bodenmarkt. Die wesentliche Beschränkung der Nutzungsrechte liegt darin, daß sie nicht verkäuflich sind und daß sie auch nicht beliehen werden können. In dieser Hinsicht unterscheidet sich China von Vietnam, das zwar auch aufgrund der Aufrechterhaltung der sozialistischen Wirtschaftsform auf die Einführung eines Privateigentums am Boden verzichtet hat, jedoch die Nutzungsrechte am Boden beleihbar gestaltet hat.

Die Familienverantwortlichkeitsverträge waren anfangs verknüpft mit der Verpflichtung zu einer sogenannten Quota-Produktion (Getreide) und der Ablieferungspflicht einer gewissen Menge von Getreide zu einem relativ niedrigen Quota-Preis (Zwei-Gleis-System). Teilweise entzogen sich die Familien der Verpflichtung zum Getreidebau durch Aufkauf von Getreide, um der Anlieferungspflicht zu genügen.

Die Einführung des Familienverantwortlichkeitssystems hat die Produktion in größeren landwirtschaftlichen Kollektivbetrieben weitgehend zurückgedrängt. In ganz China wurden lediglich 1,5 % der Flächen nicht für die Einführung der Familienverantwortlichkeit freigegeben. Es handelte sich hier teilweise um einen Gürtel um Peking, in dem man zu Demonstrationszwecken und zur Aufrechterhaltung der Nahrungsmittelproduktion für die Hauptstadt in einigen Gemeinden die Einführung einer privaten, familienbäuerlichen Landwirtschaft nicht zuließ. In diesen Gebieten war entweder die industrielle und gewerbliche Entwicklung bereits so weit fortgeschritten, daß die Gemeindemitglieder wenig Interesse an der Tätigkeit in der Landwirtschaft hatten; die Einkommen in den gewerblichen und industriellen Betrieben der Gemeinden waren höher als die Einkommen, die in der Landwirtschaft erwirtschaftet werden konnten.

In solchen Gemeinden wird die Landbewirtschaftung durch spezialisierte Untergruppen der Gemeinden bzw. der Dorfgenossenschaften betrieben, wobei sogar intern eine Subventionierung der sogenannten landwirtschaftlichen Einkommen innerhalb der sogenannten kommunalen Genossenschaft vorgenommen wird.

Parallel zur Einführung des Familienverantwortlichkeitssystems in der Landwirtschaft, die praktisch zur Wiedereinführung der kleinbäuerlichen Betriebe geführt hat, wurden sämtliche Institutionen restrukturiert.

2.4 Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen und genossenschaftlicher Unternehmen Verwaltungsreform

Der entscheidende Schritt zur Verfestigung der Institutionen einer individuellen Wirtschaftsweise war die Abschaffung der Volkskommunen und deren Umbau in administrative und ökonomische Einheiten. 1982 wurden an Stelle der Volkskommunen die Verwaltungen der ehemaligen Kreise (township, Xiang) bzw. die Kreisregierungen (Kreisversammlung) wieder reaktiviert.

Auf der Ebene der administrativen Dörfer wurden die Produktionsbrigaden ersetzt durch Dorfkommittees.

Das Ergebnis der Reorganisation war die Wiedereinführung von 92.000 Kreisen und 820.000 Dorfkommittees. Die Zahl der Kreise bzw. der Dorfkommittees überstieg die Zahl der Vorgängerorganisationen (Volkskommunen bzw. Produktionsbrigaden), da auf den jeweiligen Verwaltungsebenen die vorherige Konzentration und Verschmelzung teilweise wieder rückgängig gemacht wurde.

Aufbau genossenschaftlicher Organisationen

Parallel zur Wiedereinführung der Verwaltungsstrukturen wurden sogenannte kollektive oder genossenschaftliche Wirtschaftsorganisationen eingerichtet, die die wirtschaftlichen Aktivitäten der Volkskommunen und deren Untereinheiten übernahmen. Teilweise ging man dabei, wie früher in der Zeit der Volkskommunen auch, sehr experimentierfreudig vor, manche Provinzen oder Gebiete spielten eine Vorreiterrolle. Flankiert wurde diese Entwicklung durch die Umwandlung der Zentralverwaltungswirtschaft in eine sogenannte Warenwirtschaft und später in eine sogenannte sozialistische Marktwirtschaft.

Es entstanden zwei grundsätzliche Genossenschaftstypen:

(1) Es entwickelten sich sogenannte kommunale oder Dorfgenossenschaften (communal cooperative economic organization), bei denen sämtliche Dorfbewohner durch Wohnsitz und Tätigkeit im Dorf automatisch die Mitgliedschaft erwerben. Die Mitglieder sind in diese Genossenschaften hineingeboren als sogenannte natürliche Mitglieder. Diese Genossenschaften kennen keine Geschäftsanteile. Die Genossenschaften sind jedoch demokratisch nach genossenschaftlichen Prinzipien (ein Mann, eine Stimme) organisiert und verwaltet.

In solchen Dorfgenossenschaften können sich spezialisierte Untergruppen bilden, die teilweise auch nicht landwirtschaftliche, d.h. gewerbliche und industrielle Produktion betreiben.

Die sogenannten Dorfgenossenschaften, die in der Regel keine individuellen Anteile der Mitglieder ausweisen, vertreten das Dorfkollektiv. Sie sind die Eigentümer des landwirtschaftlichen Grund und Bodens. Im Falle der Familienverantwortlichkeitsverträge sind sie Partner der landwirtschaftlichen Haushalte. Zu den Mitgliederkreisen gehören auch die dörflichen Gewerbe- und Industriebetriebe, die in der Regel als share-holding cooperatives organisiert sind und folglich korporative Mitglieder der Dorfgenossenschaften sind. Die landwirtschaftlichen Familien ihrerseits können wiederum die Landwirtschaft in spezialisierten Kollektiv- oder Gruppenbetrieben organisieren. Teilweise wird auch bereits damit experimentiert, in den Dorfgenossenschaften Geschäftsanteile einzuführen. Dabei wird verlangt, daß mindestens 60% der Anteile kollektive Anteile bleiben, um den Charakter der Dorfgenossenschaft als "Heimatgenossenschaft" der in das Dorf hineingeborenen Bauern aufrecht zu erhalten.

(2) Die gewerblichen und industriellen Betriebe auf Kreis- und Dorfebene wandelten sich ebenfalls in genossenschaftliche Organisationen um, und zwar meist in sogenannte "Anteilsgenossenschaften" (share-holding cooperative societies or enterprises). Die Anteilsgenossenschaften betreiben vorwiegend die gewerblichen und industriellen Betriebe auf Dorf- und Kreisebene, wobei die Eigner der Anteilsgenossenschaften vorwiegend verschiedene Nachfolgeorganisationen der Einrichtungen der Volkskommunen sind. Teilweise repräsentieren die Anteile die ehemaligen Reservefonds der kollektiven Einrichtungen aus der Zeit der Volkskommunen. Es gibt öffentliche Anteile, Anteile von kollektiven Einrichtungen und Anteile von Einzelpersonen.

Die Anteilsgenossenschaften (share-holding cooperative enterprises) halten unterschiedliche Typen von Anteilen:

Revitalisiert wurden auch die Bezugs- und Absatzgenossenschaften sowie die Spar- und Kreditgenossenschaften, die bei der Bildung der Volkskommunen in diese integriert wurden. Die Spar- und Kreditgenossenschaften werden heute sehr stark von der China Agricultural Bank dominiert, während die Bezugs- und Absatzgenossenschaften von den staatlichen Handelsorganisationen praktisch als deren Zweigstellen betrieben werden. Beide Genossenschaftstypen können als staatlich koordiniert betrachtet werden. Die bäuerlichen Familien neigen dazu, Alternativstrukturen zu entwickeln (z.B. durch Gründung von spezialisierten oder produktorientierten Genossenschaften und durch die Weiterentwicklung genossenschaftlicher Fonds). Sie unterscheiden bewußt die neuen mitgliederbeherrschten Kooperationen von den vorgenannten staatlich dirigierten kooperativen Organisationen.

Sogenannte spezialisierte oder produktbezogene Genossenschaften entstanden, um sogenannte spezialisierte Familien oder Familiengruppen (Gruppenlandwirtschaften) im Bereich der Tierproduktion oder im Bereich des Anbaus von Sonderkulturen zu fördern. Die spezialisierten Genossenschaften sind als "Anteilsgenossenschaften" organisiert. Sie unterstützen die spezialisierten Betriebe dabei, sich vertikal zu integrieren, d.h. sie übernahmen Versorgung mit Produktionsmitteln, die Kooperation zwischen verschiedenen Produktionsstufen (Aufzucht-Mast-Weiterverarbeitung und Vermarktung) und besorgten gleichzeitig den Technologietransfer. Die spezialisierten Genossenschaften übernahmen neben den klassischen Funktionen landwirtschaftlicher Dienstleistungsgenossenschaften (Beschaffung von Produktionsmitteln, unter Umständen Kredit, Vermarktung) als zusätzliche Tätigkeit die landwirtschaftliche Beratung und Koordination der Produktion. Sie können als integrierte Genossenschaften oder als Produktionsförderungsgenossenschaften bezeichnet werden. Sie lehnen sich heute sehr stark an das Vorbild der in Japan entwickelten Bauernvereinigungen (farmers' associations) an.

Die spezialisierten Bauernvereinigungen können entweder auf Dorfebene relativ selbständige, formale Organisationen aufbauen, die sich zu Sekundär- und Tertiärverbänden auf Kreisebene zusammenschließen. Sie können aber auch auf der Primärstufe als informelle Gruppen arbeiten, die sie entweder auf Dorfebene oder auf Kreisebene zu einer formalen Organisation zusammenschließen. Im zweiten Falle liegen zwar intern Primär-, Sekundär- und tertiäre Zusammenschlüsse vor, juristisch handelt es sich dabei jedoch um eine (überregionale) primäre Organisation, die intern föderativ strukturiert ist, wobei die internen Kooperationspartner informelle Organisationen sind (föderative Gruppe).

Neben den bereits genannten staatlich dirigierten Spar- und Kreditgenossenschaften, entstanden sogenannte ländliche Genossenschaftsfonds, die teilweise mit den kollektiven Fonds aus der Zeit der Volkskommunen weiterarbeiteten, später jedoch nach dem Prinzip der "share-holding cooperative societies" aufgebaut wurden. Auch innerhalb der vorbeschriebenen spezialisierten Genossenschaften (Bauernvereinigungen) kann als eine spezialisierte Organisation ein solcher Fonds aktiv sein.

Die sogenannten ländlichen Genossenschaftsfonds sind in der Regel als "share-holding cooperative societies" aufgebaut. Wie diese haben sie teils öffentliche Anteile, Anteile kollektiver Einrichtungen und Anteile von Individualpersonen. Die öffentlichen Anteile sind Fonds früherer staatlichen Einrichtungen, die bei der Dekollektivierung und dem Abbau der Kommunen Folgeeinrichtungen übertragen wurden. Die Anteile kollektiver Einrichtungen können als "Investitionen" wirtschaftlicher Nachfolgeunternehmen der Kommunen und Brigaden angesehen werden, die sich durch den Erwerb der Anteile gleichzeitig auch das Recht sichern, Kredite zu erhalten. Auch Einzelpersonen können ihre Spargelder als Anteile im Fonds "investieren".

Kredite des Fonds an die Anteilseigner werden als "Investitionen" der Fonds in den Unternehmen der Anteilseigner angesehen. Die Fonds, die praktisch als alternative Konkurrenz zu den staatlich dominierten Spar- und Kreditgenossenschaften arbeiten, befolgen dadurch die Auflage, keine klassischen Bankgeschäfte (Spareinlagen, Darlehen) zu betreiben. Diese Auflage besteht seitens der Zentralbank, die der China Bank of Agriculture und den ihnen angeschlossenen Spar- und Kreditgenossenschaften ein Monopol sichern will. Beispielsweise dürfen die ländlichen Genossenschaftsfonds keine Tresore installieren und Bargeldreserven über Nacht aufbewahren; sie müssen täglich ihre Gelder bei den örtlichen Bankfilialen der China Agricultural Bank deponieren.

Sowohl die neuen Genossenschaften als auch die Kollektivgenossenschaften vor 1978 folgen dem Organisationsprinzip einer Personengesellschaft mit gleichen Rechten aller Mitglieder. Die Leitungsorgane (Generalversammlung, Vorstand, Aufsichtsrat) sind nach wie vor einheitlich nach dem ursprünglichen Vorbild (deutsches Genossenschaftsgesetz) organisiert.

2.5 Fallbeispiele Dorfgenossenschaften (communal cooperative economic organizations)

Die Dorfgenossenschaft D des Kreises C im Einzugsbereich von Beijing ist eine "communal cooperative economic organization" ohne Geschäftsanteile, in die die Dorfbewohner als sogenannte natürliche Mitglieder hineingeboren sind.

Der Dorfgenossenschaft steht ein Vorstand von fünf Personen vor. Neben dem Vorstand vertritt ein Aufsichtsrat von drei Mitgliedern permanent die Generalversammlung. Die Mitgliederschaft besteht aus über 600 Mitgliedern (alle Personen über 18 Jahre, die im Dorf leben, sind automatisch Mitglied). Die Generalversammlung wird als Vertreterversammlung organisiert (45 Vertreter). Die Vertreter werden von lokalen Familiengruppen vorgeschlagen. 10-20 Familien schlagen einen Kandidaten vor. Aus dem Kreis der vorgeschlagenen Kandidaten werden die 45 Vertreter gewählt. Die Amtszeit der Vertreter beträgt drei Jahre. Die Vertreterversammlung tritt zweimal im Jahr zusammen, eine Generalversammlung sämtlicher Mitglieder findet jährlich statt.

Die beschriebene Dorfgenossenschaft zählt zu den Dorfgenossenschaften, in denen die Gewerbebetriebe, die als "share-holding cooperative enterprises" organisiert sind und die korporative Mitglieder der Dorfgenossenschaften sind, eine wesentlich größere ökonomische Bedeutung haben als die landwirtschaftlichen Betriebe. Die Landwirtschaft wird praktisch durch die Einnahmen der Genossenschaft aus den Gewerbebetrieben subventioniert. Es besteht eine Verpflichtung, die Landwirtschaft weiter zu betreiben und insbesondere auch die Getreideproduktion durchzuführen, da mit der Landnutzung die Pflicht verbunden ist, einen gewissen Anteil der Fläche mit Getreide zu bebauen (Quota-Produktion).

Die vorliegende Dorfgenossenschaft bewirtschaftet 1600 mu (1 ha = 15 mu) bzw. 107 ha. Davon werden 760 mu Getreide angebaut. Die Getreidefläche wird zum Teil von Familien im Familienverantwortlichkeitssystem bebaut, 260 mu werden von spezialisierten Gruppen bzw. Kollektiven bebaut. Insgesamt gibt es unter den landwirtschaftlichen Familien 18 spezialisierte Gruppen bzw. Kollektive. Die Kollektive betreiben neben dem oben genannten Getreidebau Obstbau, Blumenzucht und Tierhaltung.

Den landwirtschaftlichen Arbeitskräften in den spezialisierten Gruppen wird ein Arbeitslohn auf der Grundlage eines von der Dorfgenossenschaft erstellten Budgets gezahlt; falls die Einnahmen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb die vorgestreckten Produktionskosten nicht decken, wird der landwirtschaftliche Betrieb durch die Genossenschaft subventioniert.

In dem Gewerbebetrieb (Kunsthandwerk) arbeiten 100 Mitglieder, daneben sind 200 Mitarbeiter aus Nachbardörfern in dem kunstgewerblichen Betrieb und den Verkaufsstätten beschäftigt. Die Mitarbeiter, die gleichzeitig Mitglieder der Dorfgenossenschaft sind, erhalten zusätzlich zu ihrem Arbeitslohn eine Dividende.

Die Dorfgenossenschaft sorgt für eine Altersbetreuung und Rentenzahlung an Mitglieder über 60 Jahre (300 Yuan Zuschuß je Person und Jahr). Kader, die über fünf Jahre bei der Genossenschaft tätig waren, erhalten einen Zuschuß von 500 Yuan. Weitere Privilegien, die die Mitglieder genießen, sind Stipendien für ihre Kinder zum Besuch von Schulen oder Universitäten.

Die Genossenschaft unterhält soziale Einrichtungen, wie Kindergärten, eine Grundschule und eine Krankenstation.

Die Dorfgenossenschaft macht insgesamt einen Umsatz von 450 Mio. Yuan. Nur 2 Mio. Yuan davon entfallen auf die Landwirtschaft. Die Dorfgenossenschaft zahlt insgesamt 2,8 Mio. Steuern (600.000 DM).

Spezialisierte Bauernvereinigungen

Spezialisierte Bauernvereinigungen (farmers' associations) werden nach japanischem Vorbild organisiert. Die Spezialisierung kann entweder als Spezialisierung der Förderleistungen auf einen Produktionszweig verstanden werden oder als Spezialisierung auf eine bestimmte Dienstleistung. Die "farmers' associations" werden zur Zeit in China in ausgewählten Provinzen gefördert, wobei die Agrarverwaltung beratend mitwirkt. Förderprovinzen sind z.B. Shanxi, Shaanxi, Anhui und andere.

In Q in der Provinz Shanxi arbeitet zum Beispiel eine regionale Bauernvereinigung auf Kreisebene, in der 21.000 Mitglieder/landwirtschaftliche Haushalte zusammengeschlossen sind. Die Bauernvereinigung, die zwar als Vereinigung der Individualhaushalte firmiert und somit eine primäre Gruppe darstellt, ist intern in 13 spezialisierte Zweige aufgeteilt. Praktisch liegt eine föderative Gruppe vor. Betrachtet man die lokalen spezialisierten Untergruppen als selbständige Einheiten, liegt ein zentralgenossenschaftlicher Verbundkomplex vor. Rechtlich sind jedoch die spezialisierten Gruppen nicht korporative Mitglieder der zentralen Bauernvereinigung. Die spezialisierten Gruppen können rechtlich gesehen als Abteilungen des zentralen Geschäftsbetriebes der gesamten Bauernvereinigung angesehen werden.

Die 21.000 Mitglieder organisieren die Generalversammlung als Vertreterversammlung (358 Vertreter).

Die 13 spezialisierten Zweige sind entweder produkt-, tätigkeits- oder dienstleistungsorientiert.

Den spezialisierten Gruppen auf Dorfebene sind jeweils die Familien/Haushalte angeschlossen, die die entsprechenden Produkte erzeugen oder die entsprechenden Dienstleistungen nachfragen. Mehrfachbeteiligung ist möglich und üblich.

Bei den spezialisierten Produktgruppen und Zweigen werden neben der Beschaffung der Produktionsmittel und der Organisation des Absatzes auch umfangreiche Beratungsleistungen geboten, insbesondere im Bereich der Rinderzucht und Milchproduktion, die in dem Gebiet durch die Bauernvereinigung wesentlich dezimiert und ausgedehnt wurde. Das Qualitätsmanagement bei der Vermarktung wird durch Produktionsverträge gesteuert.

Die sogenannte Kapitalbeschaffung wird durch spezialisierte ländliche Genossenschaftsfonds betrieben, wobei das Einlagengeschäft und das Kreditgeschäft in der oben beschriebenen Form als "Investition" in Anteile entweder der Betriebe der Mitglieder oder des gemeinsamen Fonds betrieben wird.

Die zentrale Einheit der Bauernvereinigung in Q betreibt zehn spezialisierte Unternehmen im Agribusiness-Bereich (Beschaffung, Vermarktung spezieller Produkte oder Produktgruppen, Lagerhaltung etc.).

In der Region besteht die Tendenz, die sogenannten Dorfgenossenschaften (communal cooperative economic organizations) in den modernen Anteilsgenossenschaften in Form der "farmers' associations" aufgehen zu lassen. Die Dorfgenossenschaft wird im Endeffekt Anteilseigner der "share-holding cooperative enterprises".

Ländliche Genossenschaftsfonds

Die ländlichen Genossenschaftsfonds sind in der Regel als Anteilsgenossenschaften (share-holding cooperative societies) organisiert, und in ganz China verbreitet. Wie im vorstehenden Beispiel beschrieben, können sie als spezialisierter Zweig innerhalb der Struktur von Bauernvereinigungen integriert sein, sie können jedoch auch relativ autonom operieren. Im Kreis Q, in dem die vorgenannte Bauernvereinigung arbeitet, gibt es 130 ländliche Genossenschaftsfonds, die über 100 Mio. Yuan Anteilskapital verwalten. Die Mitglieder leihen in der Regel die Mittel für eine Laufzeit von rund drei Monaten aus. Die Laufzeit kann verlängert werden. Die Zinsen für die Ausleihungen sind bei den Genossenschaftsfonds niedriger als bei der staatlichen Agrarbank.

In der Regel wird keine Verbindung zwischen der maximalen Obergrenze für Ausleihungen und den effektiven Einlagen eines Mitgliedes hergestellt. Bei den Ausleihungen wird oft als Sicherheit die Bürgschaft eines Dritten verlangt, der eine entsprechende Wirtschaftskraft nachweisen muß.

2.6 Probleme Rechtsform, Genossenschaftsgesetz

Es gibt weder ein Genossenschaftsgesetz, noch Mustersatzungen, noch einheitliche Verordnungen. Es gibt lediglich Verordnungen des Landwirtschaftsministeriums beispielsweise über die Organisation der Anteilsgenossenschaften (Provisional Regulations for Rural Share-Holding Cooperative Enterprises, Ministry of Agriculture, Feb. 12, 1990).

Die chinesische Verfassung vom Dezember 1982 erlaubte bei der damaligen Ablösung der Volkskommunen bzw. kollektiven Unternehmen die Wiedereinführung sowohl privater als auch genossenschaftlicher Unternehmen. Artikel 8 der Verfassung legt fest, daß jede Art von genossenschaftlicher Organisation der sozialistischen Wirtschaft, beruhend auf Kollektiveigentum, zuzuordnen ist; somit sind die Genossenschaften als kollektive Wirtschaftsorganisationen (collective economic organizations) einzustufen. Die Einordnung als "collective economic organization" bringt generell Vorteile gegenüber der Einordnung als privatwirtschaftliches Unternehmen. Artikel 10 der Verfassung legt weiterhin fest, daß in ländlichen Gebieten der Grund und Boden kollektives Eigentum (des personennahen Kollektivs) ist, während in den Städten der Grund und Boden nach wie vor nationales bzw. staatliches Eigentum bleibt.

Das Fehlen eines allgemeinen Genossenschaftsgesetzes hemmt zwar nicht das Entstehen neuer genossenschaftlicher Organisationsformen - die Experimentierfreudigkeit führt in verschiedenen Gebieten zu den unterschiedlichsten Organisationsformen - , verhindert aber eine Standardisierung und Normung und die landesweite Übertragung bewährter Organisationsformen.

Zur Zeit besteht ein Trend, in den Genossenschaften die unterschiedlichsten Typen von Anteilen und Beteiligungen einzuführen.

Uneinheitliche Organisationsstruktur

Eine Folge des Fehlens eines allgemeinen Genossenschaftsgesetzes erschwert die Herausbildung einheitlicher Strukturen. Beispielsweise fällt auf, daß bei den Bauernvereinigungen in der Regel die primären Organisationsstrukturen keine Rechtsform haben, und somit die korporative Mitgliedschaft solcher Organisationen in Strukturen auf sekundärer oder tertiärer Ebene nicht üblich ist. Die Strukturierung in den Bauernvereinigungen wird über die Organisation als föderative Gruppe vorgenommen.

Generell fehlen einheitliche genossenschaftliche Konzepte für vertikale Integration und konglomerate Konzentration.

Steuerliche Behandlung genossenschaftlicher Organisationen

Es bestehen keine einheitlichen Regelungen über die steuerliche Behandlung, unter Umständen auch Bevorzugung, von Genossenschaften.

Staatliche Förderung

Es besteht noch kein einheitliches Konzept über die Fördertätigkeit übergeordneter Institutionen im Bereich der Genossenschaften. Zur Zeit übernimmt beispielsweise bei den landwirtschaftlichen und ländlichen Genossenschaften der Staat (Ministry of Agriculture, Dept. of Rural Cooperative Economy) die Rolle einer Selbsthilfeförderinstitution, wobei man jedoch noch weit davon entfernt ist, diese Förderung im Sinne des Subsidiaritätsprinzips als vorübergehendes Eingreifen zu verstehen. Es fehlen Überlegungen und Strategien, autonome Genossenschaftsverbände zu organisieren, die auf lange Sicht Aufgaben der Behörden, insbesondere der Abteilung für genossenschaftliche Wirtschaft innerhalb des Landwirtschaftsministeriums, übernehmen könnten.

Von besonderem Interesse wäre bei der Genossenschaftsförderung neben der Propagierung vertikaler Verbundstrukturen zur Stärkung der vertikalen Integration mit Integrationspol bei den landwirtschaftlichen Produzenten ein Aufbau von genossenschaftlichen Prüfungsverbänden, die nicht nur die Ordnungsmäßigkeit der Rechnungslegung, sondern auch eine Beratung beim optimalen Organisationsaufbau einer mitgliederorientierten Förderwirtschaft übernehmen könnten.

3. Schlußfolgerung Dem vorliegenden Paper - und das gilt auch für all die anderen oben zitierten Diskussionsschriften - liegt die Annahme zu Grunde, daß der Agrarsektor vor den Reformen lediglich pseudogenossenschaftlich organisiert war (LPGs bzw. zwangsweise eingeführten Pseudogenossenschaften zur kollektiven Landnutzung und genossenschaftsähnliche Verbundkomplexe der landwirtschaftlichen Betriebe mit den vor- und nachgelagerten Bereichen). Jahrelang wurde durch die ILO die Fiktion des landwirtschaftlichen Zwangskollektivs sozialistischer Länder als landwirtschaftliche Genossenschaft zur gemeinsamen oder kollektiven Bodennutzung aufrecht erhalten und durch weitgehend undifferenziertes Führen von Genossenschaftsstatistiken in den einzelnen Ländern dokumentiert. Daraus resultiert die Erwartung, daß sich das sogenannte Genossenschaftswesen in den sozialistischen Ländern unter Rückgriff auf die vorhandenen Strukturen zu modernen Genossenschaften transformieren ließe.

Diese Hoffnungen sind nicht gerechtfertigt, da die Erfahrungen der Mitglieder mit den pseudogenossenschaftlichen Strukturen der Vergangenheit keine partizipative Unternehmenskultur hinterlassen haben.

Beschreibt man Genossenschaften als hybride Organisationsformen, die hierarchische und marktwirtschaftliche Elemente enthalten, so läßt sich aus dieser Charakterisierung das Dilemma der pseudogenossenschaftlich organisierten Agrarwirtschaft in wenigen Sätzen ableiten. In der sozialistischen Landwirtschaft wurden die hierarchischen Elemente der Genossenschaft nicht nur überbetont, sondern in der Endphase herrschte nur noch Hierarchie bzw. Kommandowirtschaft.

Wie oben beschrieben, gingen die lokalen Führungskräfte und Kader in China Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wesentlich pragmatischer bei der Krisenbewältigung vor und entwickelten lokal dezentralisierte Agrarsysteme; sehr früh favorisierten sie die Rückkehr zur Familienverantwortlichkeit. Gleichzeitig behielten die Funktionäre und Führungskräfte aber das Heft in der Hand, insbesondere bei dem Aufbau hilfswirtschaftlicher Strukturen. Es verwundert nicht, daß sich die Fach- und Führungskräfte insbesondere zur sogenannten Anteilsgenossenschaft (share-holding cooperative society or enterprise) hingezogen fühlten. Die Anteilsgenossenschaften geben den Fach- und Führungskräften wesentlich größere Eingriffsmöglichkeiten und Rechte, ihre Vorstellungen und ihren Gestaltungswillen gegenüber den Mitgliedern durchzusetzen. Nicht der Mitgliederwille ist entscheidend, sondern die Vorstellung des Genossenschaftsmanagements. Ähnliche Tendenzen konnten auch bei uns beobachtet werden, als im Rahmen der Professionalisierung des Managements der Genossenschaften die vielfach zitierten "Geschäftsführergenossenschaften" entstanden. Gehen solche Genossenschaften in moderne Holding-Konzepte über, spielt der Mitgliederwille letztlich kaum noch eine Rolle. In einer solchen Entwicklungsphase ist von entscheidender Bedeutung, daß sich Institutionen entwickeln (Verbände), die die Respektierung des Förderauftrages gewährleisten. Nur so kann sichergestellt werden, daß in modernen genossenschaftlichen Verbund- und Verbandsstrukturen einerseits die economies of scale, andererseits aber auch die Vorteile der "Kleinheit" zum Tragen kommen.

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1) BONUS, Holger (1987): Die Genossenschaft als modernes Unternehmenskonzept, Münster

 

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