Discussion Paper 61: Kirsch, Ottfried C.: Kirgisistan: Landwirtschaftliche Genossenschaften im Transformationsprozess

Diskussionsschriften der Forschungsstelle für Internationale Wirtschafts- und Agrarentwicklung eV (FIA), Nr. 61, Heidelberg 1997

 
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INHALTSVERZEICHNIS

1. Einführung

2. Das Beispiel Kirgisistan

2.1 Rahmenbedingungen

2.2 Bodenreform

2.3 Privatisierung der vor- und nachgelagerten Bereiche

2.4 Bauernverbände

2.5 Fallbeispiel Oblast Osch

Stand der Bodenreform

Betriebsstruktur

Organisationsentwicklung

Die Situation in ausgewählten Rayons

Rayon Kadamjai

Rayon Naukat

Rayon Usghen

Rayon Kara-Su


Voraussichtliche Entwicklung der landwirtschaftlichen Institutionen und
Unternehmensformen im Oblast Osch
3. Schlußfolgerungen

LITERATUR

 

1. Einführung Der Autor hat sich im Rahmen von gutachterlichen Einsätzen (Monitoring, Evaluierung) in Projekten der FAO, der EU (TACIS) der GTZ, der GFA und des DGRV mit Problemen der Transformation des Agrarsektors und insbesondere der landwirtschaftlichen Kollektivwirtschaft in GUS-Republiken, Mittel- und Osteuropa, China und Vietnam beschäftigt. Allen vorgenannten Ländern ist gemeinsam, daß sie eine systematische Phase der Kollektivierung der Landwirtschaft und der Konzentration und vertikalen Integration des Agribusiness durchlaufen haben. Die Deregulierung, Privatisierung der Landwirtschaft und die Entwicklung förderwirtschaftlicher Selbsthilfestrukturen haben sich in den o.g. Ländern sehr unterschiedlich entwickelt. Ganz grob läßt sich folgende Einteilung vornehmen: 2. Das Beispiel Kirgisistan 2.1 Rahmenbedingungen

Eingangs wurde bereits erwähnt, daß Kirgisistan zu einer Dekollektivierung bei knappen Kassen gezwungen war. Wie in anderen GUS-Republiken auch, hinterließ die sowjetische Kollektivierung und Planwirtschaft im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion Kirgisistans völlig überdimensionierte Betriebseinheiten, in denen die landwirtschaftliche Produktion nach den Regeln der industriellen Organisation vollzogen wurde. Auch im vor- und nachgelagerten Bereich entstanden riesige agroindustrielle Komplexe, die die vertikale Integration jedoch nicht zum Aufbau einer Marktmacht, sondern als Erfüllungsgehilfe einer zentralen Planung betrieben. Die Kombinate unterhielten keine Marketingabteilungen. Nach der Privatisierung, in der Regel durch Umwandlung der staatlichen Unternehmen in vorwiegend geschlossene Aktiengesellschaften, teils im Staatsbesitz, teils unter Beteiligung des Arbeitskollektivs, wurde nicht konsequent umstrukturiert. Die landwirtschaftlichen Erzeuger hatten keine Gelegenheit, Aktienpakete, geschweige denn die Mehrheit der Aktien, in den Unternehmen des Agribusiness zu erwerben. Dank der Konzentration hatten die Unternehmen des Agribusiness nach der Privatisierung monopolartige Positionen gegenüber den landwirtschaftlichen Erzeugern. Die Abnehmer der agroindustriellen Kombinate lagen vor der Unabhängigkeit der jetzigen GUS-Republiken in der Regel außerhalb der heutigen Staatsgrenzen. Dieser nun interstaatliche Handel konnte nicht mehr weiterbetrieben werden, weil sich bis heute kein adäquates Finanzsystem und keine Rechtssicherheit entwickelt haben.

Die Liquiditätsprobleme in den nachgelagerten Bereichen, hervorgerufen durch den Zusammenbruch der Absatzmärkte, hatten ihr Pendant im vorgelagerten Bereich der landwirtschaftlichen Produktion. Die völlig illiquiden landwirtschaftlichen Produzenten waren nicht in der Lage, ertragssteigernde Produktionsmittel zu kaufen. Andererseits waren die Unternehmen zur Versorgung der Landwirtschaft mit Betriebsmitteln nicht in der Lage, diese auf Kredit zu liefern. Auch die Lagerhaltung brach zusammen. Darüber hinaus entwickelte sich, im Gegensatz zu der Privatisierung und Zerschlagung der landwirtschaftlichen Großbetriebe, in den vor- und nachgelagerten Bereichen ein entsprechendes einzelwirtschaftliches und mittelständisches Unternehmertum nur sehr zögerlich.

Es ist offensichtlich, daß der nachhaltige Erfolg der Privatisierung und Zerschlagung der landwirtschaftlichen Großbetriebe und die Wiedereinrichtung einzelwirtschaftlicher bäuerlicher Betriebe wesentlich davon abhängt, inwieweit es gelingt, die Dienstleistungen im vor- und nachgelagerten Bereich der Produktion in adäquater Form aufzubauen. Die politischen Entscheidungsträger setzen dabei auf Selbsthilfeorganisationen der landwirtschaftlichen Produzenten.

Bereits die heutige Flurform und Flurverfassung läßt deutlich erkennen, daß Sowchos- und Kolchosbetriebe stark zurückgedrängt sind. Die Etablierung einer bäuerlichen bis kleinbäuerlich strukturierten Landwirtschaft kann als irreversibel bezeichnet werden.

2.2 Bodenreform

Die letzten verläßlichen Statistiken zur Betriebsstruktur liefert die Bodeninventur vom
1. Januar 1995. Die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche (10,7 Mio. ha, davon 9 Mio. ha Trockenweiden) wurde von staatlichen und kollektiven Großbetrieben (Sowchosen, Kolchosen) bewirtschaftet. Bezogen auf die Ackerfläche (1,3 Mio. ha) betrug der Anteil der Sowchos- und Kolchosbetriebe 42%.

Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (insgesamt 121) bewirtschafteten Anfang 1995 12% der landwirtschaftlichen Nutzfläche und 11% der Ackerfläche. Im Durchschnitt bewirtschaftete eine Genossenschaft mit 121 Arbeitskräften 9.400 ha landwirtschaftliche Nutzfläche (davon jedoch nur 700 ha Ackerfläche). Die landwirtschaftliche Nutzfläche besteht zum größten Teil aus extensiven Trocken- und Bergweiden, die auch als Gemeinschaftsweide genutzt werden.

Sogenannte bäuerliche Gesellschaften bewirtschafteten Anfang 1995 12% der landwirtschaftlichen Nutzfläche (bezogen auf die Ackerfläche: ebenfalls 12%). Die durchschnittliche Größe der insgesamt 191 Gesellschaften betrug 22.456 ha, die durchschnittliche Zahl der Arbeitskräfte betrug 475.

Bäuerliche Betriebe (einzelwirtschaftliche Familienbetriebe) und bäuerliche Gruppenlandwirtschaften (verwandtschaftliche und nachbarschaftliche Betriebsgemeinschaften), Anfang 1995 insgesamt 13.000, bewirtschafteten 3% der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche (bezogen auf die Ackerfläche 12%). Die durchschnittliche Größe betrug 38 ha (davon 12 ha Ackerfläche), und die Zahl der Arbeitskräfte pro Betrieb betrug 5.

Aktiengesellschaften und GmbH's bewirtschafteten 10%, Forschungseinrichtungen und die noch vorwiegend staatlichen Saatgutvermehrungsbetriebe und Tierzuchtbetriebe 7% der Ackerfläche.

Zum damaligen Zeitpunkt (1.1.1995) konnte noch nicht von einem durchschlagenden Erfolg der Reform gesprochen werden; die meisten Betriebe haben lediglich eine Änderung der Rechtsform vorgenommen, aber nach wie vor die gewohnte großflächige Bewirtschaftung beibehalten. In der Zwischenzeit wurde die Reform wesentlich vorangetrieben. Es wurde festgelegt, daß 75% der landwirtschaftlichen Nutzfläche unter der landwirtschaftlichen Bevölkerung aufzuteilen, und 25% einem Nationalen Bodenfonds zuzuweisen sind. Die Flächen des Nationalen Bodenfonds sollen einmal zur Aufrechterhaltung von Forschungs-, Saat-, Zucht- und Tierzuchtbetrieben dienen und eine Landreserve bilden, andererseits können aber auch Flächen des Bodenfonds an bäuerliche Betriebe verpachtet werden.

Die zur Verteilung an bäuerliche Voll- und Nebenerwerbsbetriebe vorgesehenen Flächen werden auf Erbpachtbasis (99 Jahre) verteilt. Mitte 1996 waren landesweit 60% der auf Erbpacht zu verteilenden Ländereien zugewiesen, darüber hinaus war bereits auch ein Teil der Flächen des Nationalen Bodenfonds verpachtet worden. Das lebende Inventar war weitgehend aufgeteilt, Maschinen und Gebäude wurden teilweise an Einzelpersonen, meist jedoch an Untergruppen der ehemaligen Arbeiter/Mitglieder der einstigen Sowchos- und Kolchosbetriebe verteilt. Dabei entstanden Gemeinschaften zur überbetrieblichen Nutzung.

Es war vorgesehen, die Aufteilung des Bodens und des Inventars der landwirtschaftlichen Großbetriebe innerhalb der nächsten 3 Monate komplett abzuschließen.

Bezüglich der Altschulden wurde pragmatisch verfahren: Die Rückzahlung der Altschulden der Sowchosen und Kolchosen wird für 15 - 20 Jahre ausgesetzt bzw. gestundet.

2.3 Privatisierung der vor- und nachgelagerten Bereiche

Während der zentralistischen Planwirtschaft bestand das Agribusiness ausschließlich aus staatlichen Monopolen. Auch die Finanzierung wurde von der staatlichen Agrarbank vorgenommen.

Die früheren Agribusiness-Unternehmen arbeiten heute als privatisierte Unternehmen (vorwiegend Aktiengesellschaften, bei denen der Staat Aktienpakete hält).

Die Unternehmen des vorgelagerten Bereichs leiden darunter, daß die landwirtschaftlichen Betriebe illiquide und nicht in der Lage sind, die nötigen ertragssteigernden Betriebsmittel einzukaufen, ein Zustand, der durch anhaltenden Produktionsrückgang gekennzeichnet ist.

Die Agribusiness-Unternehmen des nachgelagerten Bereichs (Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, Vermarktung) haben in den letzten fünf Jahren einen starken Einbruch erlebt, der allerdings bei Weizen, Zuckerrüben und Baumwolle weniger dramatisch ausgefallen ist. Schlachthäuser und Fleischfabriken, Molkereien, Konservenfabriken, in der Sowjetzeit als riesige agroindustrielle Komplexe mit hohem Konzentrationsgrad organisiert, sind nicht durch einfache Privatisierungsmodelle und Änderung der Rechtsform zu sanieren, sondern bedürfen einer grundlegenden Restrukturierung. Viele dieser Betriebe sind praktisch bankrott. Sie haben den Betrieb weitgehend reduziert oder teilweise praktisch eingestellt, da ihre Absatzmärkte, die früher außerhalb des Staatsgebietes lagen, nicht mehr zugänglich sind. Alle Abnehmer in der ehemaligen Sowjetunion leiden unter ähnlichen Liquiditätsproblemen, hinzu kommt die Rechtsunsicherheit bei der Abwicklung der Geschäfte und Transaktionen.

Folgende Nachfolgeunternehmen der ehemaligen Staatsmonopole im vorgelagerten Bereich sind zu nennen:

- Kyrgyzselkhozkhimia (KSKK) für Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel und Herbizide;

- Kyrgyzzoovetsnab (KZVS) für tiermedizinische Produkte;

- Kyrgyzailkomok (KAK) für Landmaschinen und Ersatzteile;

- Agromunaizat für Schmier- und Treibstoffe;

- Kyrgyzdanazyk (KDA), das Getreide-, Mehl-, und Brotmonopol für Getreidesaatgut;

- Kyrgyztamak'Ash, eine Holding-Gesellschaft von über 100 Unternehmen zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. Diverse Zuchtbetriebe für Saatgut, Zuchttiere und Samen.

Die meisten der vorstehenden Unternehmen, die bei der ersten unmittelbaren Privatisierungswelle vorzugsweise in geschlossene Aktiengesellschaften umgewandelt wurden, unterliegen einer zweiten Privatisierungs- und Reorganisationsmaßnahme, bei der offene Aktiengesellschaften und die Versteigerung eines Teils der Aktien an Privatpersonen oder Investmentfonds verstärkt gefördert wird. Bei einem Teil der Unternehmen wird versucht, hoheitliche Aufgaben von der reinen privatwirtschaftlichen Fördertätigkeit zu trennen (beispielsweise im Veterinärbereich).

Kritisch für den Absatz landwirtschaftlicher Produkte ist auch der Zusammenbruch der ebenfalls zentralistisch aufgebauten Quasi-Konsumgenossenschaft "Protrebsoyuz". Die Sanierung kann nur durch systematische Dezentralisierung des Eigentums, die Schaffung lokal verantwortlicher Einheiten und spätere Reintegration in moderne Holdinggesellschaften gesehen werden.

Das Hauptproblem im Vermarktungsbereich ist darin zu sehen, daß jegliche Strukturen für einen Großhandel fehlen. Gemäß der marxistischen Lehre, wonach der Markt das Hauptinstrument zur Ausbeutung des Menschen durch den Menschen darstellt, wurde in der Vergangenheit jeglicher Marktmechanismus durch zentralwirtschaftliche Planung und totale vertikale Integration ausgeschaltet. Das Ergebnis war ein völlig inflexibles System, dem jegliche Fähigkeit der strukturellen Anpassung verlorenging und in dem es keinen Platz für Konsumentenwünsche gab. Die wichtigste Maßnahme der Strukturanpassung wird darin bestehen, als Relais zwischen Erzeuger und Verbraucher wieder einen effizienten Großhandel einzurichten. In den meisten westeuropäischen Ländern, auch in Deutschland, haben landwirtschaftliche Verarbeitungs- und Vermarktungsgenossenschaften wichtige Großhandelsfunktionen übernommen und dabei die Interessen der landwirtschaftlichen Produzenten bei der vertikalen Integration und Kooperation sichergestellt. Es wäre jedoch falsch, die vorhandenen monopolartigen Strukturen ohne Übergang in Genossenschaften, genossenschaftliche Aktiengesellschaften und Holdinggesellschaften landwirtschaftlicher Dienstleistungsgenossenschaften umzuwandeln. Solche Strukturen erfüllen nur dann sinnvoll ihre Funktion, wenn sie in Konkurrenz zu einem leistungsfähigen privatwirtschaftlichen Handel stehen.

Positiv ist zu vermerken, daß jegliche Preiskontrolle für landwirtschaftliche Produkte aufgehoben wurde.

Schließlich erfordert der ländliche Finanzsektor eine Restrukturierung; die staatliche Agroprom-Bank bedarf einer Ergänzung durch andere lokale ländliche Finanzierungsinstitutionen, bei denen auch die Mobilisierung von Spareinlagen vorzusehen ist.

2.4 Bauernverbände

Auf nationaler Ebene entstanden im Zuge der Unabhängigkeit Bauernverbände, die jedoch ausschließlich durch Initiative von oben gegründet wurden. Sie wurden als Durchleitstationen für staatliche Subventionen an die neu entstandenen einzelwirtschaftlichen Bauernbetriebe benutzt und verloren so ihre Dynamik als potentielle Selbsthilfeorganisationen. Es entstanden Rivalitäten, als Folge wurden parallele Organisationen gegründet. Auf Oblast- und besonders auf Rayon-Ebene bildeten sich Bauernverbände, die wesentlich personennäher arbeiten (s. Fallbeispiele aus dem Oblast Osch).

Der nationale Bauernverband Diakanordo und die Konkurrenzverbände entsprechen in ihren Satzungen nicht dem Idealbild eines Verbandes zur Interessenvertretung ihrer Mitglieder. Die Satzungen erlauben ihnen auch wirtschaftliche Tätigkeit (zur Erzielung von Einkommen) sowie hilfswirtschaftliche Funktionen, die nach unserem Verständnis lediglich von sogenannten wirtschaftlichen Selbsthilfeorganisationen (sprich Genossenschaften) ausgeübt werden sollten. Es wird davon ausgegangen, daß sich die Verbände in Zukunft auf die rein ideelle Förderung beschränken werden, sobald sich neben ihnen hilfswirtschaftliche Selbsthilfeorganisationen entwickelt haben. Ein Problem wird jedoch die Finanzierung der Verbände sein, da die Mitglieder noch nicht bereit sind, regelmäßige Beiträge zu leisten. Folglich liegt weder eine interne Autonomie (partizipative Führung, demokratische Strukturen) noch eine externe Autonomie. (wirtschaftliche Unabhängigkeit) vor. Die interne Autonomie betrifft die organisatorische Autonomie und ist charakteristisch durch den Grad der Selbstverwaltung bzw. Selbstbestimmung der genossenschaftlichen Gruppe. Die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden und inwieweit das Management durch traditionelle Führungspersönlichkeiten, einflußreiche Gruppen oder Geschäftsführer dominiert wird, sind Indikatoren für die interne Autonomie. Demokratische Spielregeln müssen und können eingeübt werden. Externe Autonomie , und hier besonders wirtschaftliche Autonomie, ist gegeben, wenn die wirtschaftlichen und ordnungspolitischen Rahmenbedingungen sowohl den Mitgliedern/ Mitgliederbetrieben als auch dem unternehmensartigen Verbundkomplex die Freiräume bieten, langfristig ohne Subventionen wirtschaftlich zu überleben. Die interne Autonomie ist eine Grundvoraussetzung für organisierte Selbsthilfe, die externe Autonomie ist das Ziel der Selbstorganisation.

2.5 Fallbeispiel Oblast Osch

Stand der Bodenreform

Im Oblast Osch die Aufteilung bereits weitgehend abgeschlossen (Stand Mittel 1996). Dies ist um so erstaunlicher, als in den letzten verläßlichen Statistiken (Bodeninventur 1.1.1995) Osch zu den Regionen zählte, in denen die Sowchos- und Kolchosbetriebe noch einen über dem Landesdurchschnitt liegenden Flächenanteil bewirtschafteten.

Die landwirtschaftliche Nutzfläche im Oblast Osch beträgt 1,92 Mio. ha, davon 0,26 Mio. ha Ackerland (davon 50% bewässerbar), 0,07 Mio. ha Wiesen und 1,56 Mio. ha Trockenweiden (Steppe und Gebirgsweide).

Im Oblast Osch wurden bereits sämtliche landwirtschaftlichen Familien, die bei der Bodenreform zuteilungsberechtigt sind, erfaßt. Demnach sind

199.932 Familien

zuteilungsberechtigt. Die Berechnungsgrundlage bei der Verteilung ist wie folgt: Je Mitglied der Familie wird zugeteilt:

0,092 ha Ackerfläche (unbewässert)

0,095 ha Ackerfläche (bewässerbar)

0,051 ha Wiese und Weide

0,012 ha Gartenland

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0,249 ha landw. Nutzfläche

Mitte 1996 hatten bereits

161.089 Familien

erfolgreich an der Landverteilung teilgenommen, d.h. ihre neuen landwirtschaftlichen Betriebe waren registriert. Die Agrarverwaltung rechnet damit, daß die Landverteilung zügig abgeschlossen ist. Die Landverteilung wird in einem Kataster festgehalten.

Betriebsstruktur

Die Größe der zugeteilten Flächen läßt erkennen, daß die berechtigten Personen bzw. Familien mit den zugeteilten Flächen kaum in der Lage sind, Vollerwerbsbetriebe aufzubauen. Die Nebenerwerbsbetriebe erreichen, legt man Durchschnittserträge zugrunde, nur etwa 75-100 % des Nahrungsbedarfs der Familien. Angesichts der derzeitigen Arbeitslosigkeit und des Zusammenbruchs der gesamten Agroindustrie wird die Landzuteilung als Maßnahme betrachtet, den Familien ein Existenzminimum zu sichern.

Um größere landwirtschaftliche Betriebe zu bilden, schließen sich bereits unmittelbar nach der Landverteilung Verwandte und Nachbarn zu Gruppenlandwirtschaften zusammen, in die die Familien ihre Flächen, die zwischen 0,5 und 1 ha liegen, einbringen. Die Gruppenlandwirtschaften bewirtschaften entweder das gesamte Land gemeinsam und teilen nach der Ernte den Gewinn auf die Familien auf, oder sie bewirtschaften nur die Feldfrüchte (Getreide) gemeinsam und überlassen die Bearbeitung der Garten- und Sonderkulturflächen (Tabak) den einzelnen Familien. Es liegen demnach Betriebsgemeinschaften vor, die den Boden entweder gemeinsam bewirtschaften oder nur teilweise gemeinsam und teilweise individuell nutzen. Dies entspricht dem französischen Modell des Groupement Agricole d'Exploitation en Commune (GAEC) total oder GAEC partiel.

Mitte 1996 waren 31.000 Gruppenlandwirtschaften mit bis zu 5 Familien registriert.

Zur Bildung größerer landwirtschaftlicher Betriebe ist es auch üblich, daß sich größere Gruppen bilden, die entweder aus einer Großfamilie bestehen (unter der Leitung eines traditionellen Oberhauptes, Aksakal genannt) oder aus mittelgroßen Nachbarschaftsgruppen. Zur Berichtszeit existierten im Oblast Osch 5.715 Bauernvereinigungen zur gemeinsamen Bewirtschaftung. Durchschnittlich bewirtschafteten diese Betriebsgemeinschaften 18 ha Ackerfläche. Ein Teil dieser Gemeinschaften kann als "Minikolchosen" bezeichnet werden, die zu Anfang der Bodenreform, teilweise auf Anordnung von "oben", zustande kamen. Die derzeitige liberale Politik der Aufteilung auf Kleinbetriebe an einzelne Familien hat sich erst in den letzten 2 Jahren durchgesetzt.

Organisationsentwicklung

Im Oblast Osch gibt es seit 1991 einen regionalen Bauernverband, der lokale Bauernverbände in 4 Rayons repräsentiert (Naukat, Usghen, Kara-Su, Arawan). In den restlichen 6 Rayons sind ebenfalls lokale Bauernverbände organisiert, die zwar offiziell nicht als Mitglieder des Oblast-Verbandes gelten, zu denen jedoch Beziehungen gepflegt werden. Die Mitgliedschaft, verbunden mit der Zahlung von Mitgliedsbeiträgen, wird zur Zeit sehr großzügig gehandhabt; bisher zahlt kein Landwirt Mitgliedsbeiträge. 1996 hatte der Verband 5.600 Mitglieder.

Der Verband sieht seine Hauptaufgabe darin, die Interessen der Bauern zu vertreten. Zur Zeit besteht die Haupttätigkeit des Verbandes bzw. des Verbandspräsidenten darin, die Bauern in Steuerfragen zu beraten bzw. ihnen zu helfen, gegen die Willkür der Steuerbeamten vorzugehen. Jeder Landwirt wird mit einer Grundsteuer belastet, darüber hinaus muß 20% Mehrwertsteuer abführen. Da die Landzuteilung gleichzeitig die Registrierung als landwirtschaftlicher Betrieb voraussetzt, liegt es nahe, daß der Fiskus die Registrierung gleichzeitig als Mittel benutzt, an die Steuerpflichtigen heranzukommen.

Im Grenzgebiet Osch ist zur Zeit für viele Bauern die Überlebensfähigkeit der Betriebe nur durch Steuerhinterziehung gewährleistet. Die normale Betriebsmittelversorgung über die ehemals staatlichen Unternehmen und der Absatz über die staatlichen Handelsmonopole sind weitgehend zusammengebrochen, die Bauern sind vielfach darauf angewiesen, ihre Produkte in den Nachbarländern (Usbekistan, Tatschikistan) zu verkaufen bzw. dort Betriebsmittel einzukaufen. Bei diesem Schmuggel erfolgt verständlicherweise keine ordnungsgemäße Rechnungslegung. Der Zwang zur Schattenwirtschaft erschwert auch die genossenschaftliche Zusammenarbeit, da hierbei eine ordnungsgemäße Rechnungslegung und Buchhaltung die Grundlage der Ab- und Verrechnung mit den Mitgliedern bildet.

Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Mitgliedschaft im Bauernverband sind:

(1) Ordnungsgemäße Gründung eines lokalen Verbandes (Rayon-Ebene). Ortsverbände werden nur dann anerkannt, wenn sie bei der Gründungsversammlung eine Satzung verabschiedet haben. Die Satzung muß von dem Akim des Rayons bestätigt werden.

(2) Jedes Mitglied muß über einen Ausweis verfügen und im Melderegister geführt werden.

(3) Jedes Mitglied muß über einen landwirtschaftlichen Betrieb verfügen, d.h. es muß berechtigt sein, an der Verteilung des Bodens im Zuge der Landreform teilzunehmen. Nach Abschluß der Umverteilung des Bodens wird der Besitztitel gefordert. Als anerkannter landwirtschaftlicher Betriebsleiter muß jedes Mitglied über ein Bankkonto verfügen.

(4) Jeder landwirtschaftliche Betrieb muß über einen Stempel verfügen (Betriebs- bzw. Firmenname).

Grundsätzlich berät und unterstützt der Bauernverband die Landwirte dabei, die vorgenannten Voraussetzungen zu erfüllen. Der regionale Bauernverband ist Partner eines deutschen TZ-Projektes in Osch.

Neben dem vorgenannten Bauernverband (Christianske Sojus) existiert ein sogenannter Farmerverband, der nicht von oben, sondern bewußt von unten als Union sogenannter örtlicher Farmerverbände in 6 Rayons (Naukat, Kara-Su, Arawan, Kadamjai, Usghen, Kara-Kuldja) organisiert wurde. Der Farmerverband hat sich zur Aufgabe gemacht, zum einen die Agrarpolitik des Oblast im Interesse der Mitglieder zu beeinflussen Zum anderen ist sein Hauptanliegen, die Mitglieder zu beraten, Zusammenschlüsse mit wirtschaftlicher Zielsetzung (Gemeinschaftsbetriebe, Genossenschaften) zu gründen. Der Farmerverband versteht sich als demokratisch begründete Bewegung von unten.

Der Farmerverband arbeitet sehr eng mit einem EU-TACIS Programm in Osch zusammen, dessen Zielsetzung zwar die Förderung der privaten Rinderzucht ist, das jedoch sehr konsequent zunächst den Aufbau von Institutionen und Farmerorganisationen betrieb, um die unbedingten Voraussetzungen für eine Produktionsförderung zu schaffen.

Nach zweijähriger Tätigkeit kann das TACIS-Projekt in mehreren Rayons auf Neugründungen von Betriebsgemeinschaften und Genossenschaften zurückgreifen. Der französische Projektleiter, der Erfahrungen mit Beratungs- und berufsständigen Organisationen in Frankreich mitbringt, hat die politischen Entscheidungsträger von Anfang an intensiv über mögliche westeuropäische Kooperationsmodelle unterrichtet und insbesondere auf die französischen Formen der Maschinenbank, der Maschinengemeinschaft, der landwirtschaftlichen Betriebsgemeinschaft mit gemeinsamer oder teilweise gemeinsamer Bodennutzung und die landwirtschaftliche Verarbeitungs- und Vermarktungsgenossenschaft hingewiesen. Der Projektleiter sorgte auch dafür, daß politische Entscheidungsträger der Oblastverwaltung an Exkursionen nach Frankreich teilnahmen. Der vorgenannte regionale Farmerverband pflegt auch Kontakte mit einem amerikanischen TZ-Programm, bei dem das amerikanische Farm Bureau Partner ist. The Counterpart Consortium NGO Support Initiative (Citizen's Network for Foreign Affairs - agricultural sector) ist USAID-gefördert und kooperiert mit dem American Farm Bureau (AFB).

Das amerikanische Programm bringt Spezialisten des American Farm Bureau (AFB) in Kirgisistan zum Einsatz, die den Aufbau von Bauernorganisationen (Verbände und Organisationen mit wirtschaftlicher Zielsetzung) zum Ziel haben. Unter anderem fördern sie auch die Gründung von Spar- und Kreditvereinen nach dem Modell der Credit Unions.

In neuerer Zeit fördert auch die Asiatische Entwicklungsbank den Aufbau von Credit Unions. Die ersten zwei Credit Unions wurden bereits gegründet. Die Credit Unions sind Spar- und Kreditgenossenschaften, die kein Nicht-Mitgliedergeschäft betreiben, sich ausschließlich auf das Geldgeschäft beschränken und weitgehend auch ehren- und nebenamtliches Management in den Selbsthilfeorganisationen fördern. Die Credit Unions sind in einem Weltverband zusammengefaßt, der von Kanada aus operiert. In der Regel versuchen die Credit Unions das Kreditgeschäft nur mit eigenen Spargeldern zu betreiben, um so erfolgreich die Geschenkmentalität in den Hintergrund zu drängen. Warengeschäfte und dergleichen werden nicht von den Credit Unions betrieben, jedoch fördern sie die Organisation von ad hoc-Aktivitäten von Einzelmitgliedern oder Mitgliedergruppen, die sich zusammentun, um beispielsweise Betriebsmittel einzukaufen oder ihre Produkte zu vermarkten. Ist die spezielle Aufgabe abgewickelt, wird die ad hoc-Gruppe wieder aufgelöst. Die Kreditgenossenschaft leistet nur Hilfestellung beim Management und bei der Mittelverwaltung.

Die Situation in ausgewählten Rayons

Rayon Kadamjai

In Kadamjai wurden alle früher existierenden Sowchos- und Kolchosbetriebe, insgesamt 14, aufgelöst. In der Anfangsphase der Privatisierung und Bodenreform entstanden noch einige relativ große Gruppenlandwirtschaften, die teilweise als Mini-Kolchosbetriebe bezeichnet werden können, in jüngerer Zeit bilden sich jedoch vorwiegend Gruppenlandwirtschaften von relativ kleinen Verwandtschafts- oder Nachbarschaftsgruppen.

Das lebende Inventar wurde auf die ehemaligen Mitglieder der Kolchosen aufgeteilt. Die Maschinen und Gebäude wurden, da es sich vorwiegend um größere Einheiten handelte, an Mitgliedergruppen verteilt. Dabei wurden ältere Mitglieder bevorzugt. Auch die Familiengröße wurde berücksichtigt.

In Kadamjai sind 433 bäuerliche Betriebsgemeinschaften registriert (2-15 Familien), die durchschnittlich 45 ha landwirtschaftliche Nutzfläche (Ackerland, Wiesen, Dauerweiden) bewirtschaften. Daneben existieren 482 Familienbetriebe, die nur knapp je 2 ha (vorwiegend bewässertes Ackerland) bewirtschaften.

Viele jüngere Mitglieder und Mitarbeiter der ehemaligen Großbetriebe bewerben sich heute um die Verteilung der Landreserven (25% der landwirtschaftlichen Nutzfläche), die dem Nationalen Bodenfonds zugeteilt wurde. Diese Flächen werden bevorzugt an solche Bewerber verpachtet, die einen Betriebsentwicklungsplan vorlegen. Oft weisen solche Bewerber in ihren Betriebsentwicklungsplänen nicht nur pflanzliche Produktion, sondern vorwiegend tierische Produktion und unter Umständen auch kleine Verarbeitungsbetriebe (Milchwirtschaft) aus.

Diese Betriebe werden als Minifarmen oder Minifirmen bezeichnet, ihre Anzahl nimmt in der letzten Zeit zu. Zur Zeit der Felderhebungen gab es 31 sogenannte Minifirmen, die sich neben der pflanzlichen Produktion der Milchwirtschaft, der Fleischverarbeitung und der Produktion von Wolle widmeten. Die Betriebsleiter geben offen zu, daß die pflanzliche Produktion zur Zeit rentabler ist, die zusätzlichen Betriebszweige werden jedoch entwickelt, um bei der Verteilung der Landreserve des Nationalen Bodenfonds den Zuschlag zu erhalten.

Neben den vorgenannten landwirtschaftlichen Betrieben gibt es in Kadamjai noch ein Weinbaukombinat mit rund 500 ha Rebland. Ende der 80er Jahre wurden in der Sowjetunion im Zuge einer Anti-Alkohol-Kampagne Gorbatschows die Rebflächen minimiert. Darüber hinaus wurde der Weinproduktion bzw. der Produktion von Alkohol durch hohe steuerliche Belastung die Attraktivität genommen. Trotz dieser Handicaps plant man in Kadamjai die Ausweitung des Weinbaukombinates, wobei unter Umständen eine Vertragsproduktion seitens kleinbäuerlicher Partner anvisiert werden könnte.

Der lokale Bauernverband, der Mitglied des Farmerverbandes, und nicht des 1991 gegründeten Bauernverbandes auf Oblast-Ebene ist, hat 42 Mitglieder, die durchschnittlich 15 ha bewirtschaften. Viele Betriebsleiter sind bei der Mitgliedschaft zurückhaltend, da ihnen die Vorteile der Arbeit des Bauernverbandes auch ohne offizielle Mitgliedschaft zukommen. Darüber hinaus beklagen alle Landwirte, daß sie gezwungen sind, eine extreme Schattenwirtschaft zu betreiben, um die ungerechte Besteuerung und die Schwierigkeiten bei der Rechnungslegung der im Ausland gekauften (geschmuggelt) oder dort abgesetzten Betriebsmittel und Produkte zu umgehen.

Während der Feldbesuche in Osch (1996) wurde in Kadamjai auch der erste Spar- und Kreditverein (Credit Union) gegründet. Gründungsmitglieder waren 25 Personen, teilweise Landwirte, teilweise Funktionäre und Angestellte der Verwaltung oder der nichtlandwirtschaftlichen Kombinate. Der Anteil der Landwirte beträgt 50%. Das Management ist ehrenamtlich. Angestrebt wird eine Mitgliederzahl von 400 - 500.

Rayon Naukat

Im Rayon wurden sämtliche Sowchos- und Kolchosbetriebe aufgelöst. Die Landwirtschaft wird von 1555 bäuerlichen Betrieben bzw. Betriebsgemeinschaften (je Betrieb 3 bis max. 50 Familien) betrieben. Die Regel sind kleine Verwandtschafts- und Nachbarschaftsgruppen. Es gibt 11 Betriebe, die nicht als Betriebsgemeinschaften, sondern als landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (Mini-Kolchosbetriebe) zu bezeichnen sind. Dabei handelt es sich um die Restbetriebe der aufgelösten Kolchosbetriebe, in denen sich die weniger aktiven Mitglieder um einige ihrer traditionellen Führungspersönlichkeiten und Manager scharen, um den Status quo zu erhalten. Man erwartet, daß sich auch diese landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften auflösen.

In den meisten Betriebsgemeinschaften, sofern sie nicht Familienverbände sind, ist der Boden im Namen der Oberhäupter jeder Kleinfamilie registriert. Es gibt zwei Typen von Betriebsgemeinschaften:

(1) Betriebsgemeinschaften, die nur die Getreidefläche gemeinsam bewirtschaften und den Gewinn der Getreideflächen am Ende der Kampagne entsprechend der eingebrachten Fläche auf die einzelnen Familien aufteilen. Die sonstigen Flächen, insbesondere die Intensivkulturen wie Tabak, werden von den einzelnen Familien individuell bewirtschaftet und genutzt. Jede Familie innerhalb der Betriebsgemeinschaften unterhält ein eigenes Konto.

(2) Betriebsfusionen mit gemeinsamer Bodennutzung.

Wie in Kadamjai wurden die Maschinen und Gebäude teilweise an Familiengruppen aufgeteilt. Die Eigentümer bzw. Eigentümergemeinschaften der Maschinen schlossen sich zu einer Maschinenbank (Maschinenring) zusammen, der den Einsatz in den landwirtschaftlichen Betrieben koordiniert und die Leistungen unter Umständen später gegeneinander aufrechnet. Der Maschinenring (Agrotech-Service) wurde auf Rayons-Ebene organisiert.

In Naukat gibt es einen lokalen Bauernverband auf Rayons-Ebene, der Mitglied des 1991 gegründeten Bauernverbandes auf Oblast-Ebene ist. Der lokale Bauernverband hat 110 Mitglieder.

In Naukat wurde auf freiwilliger Basis ein sogenanntes Business-Infocenter gegründet, bei dem drei ehrenamtlich tätige Mitglieder (u.a. auch der Vorsitzende des lokalen Bauernverbandes) tätig sind und Interessenten bei der Gründung von sogenannten Business-Projekten oder Minifirmen beraten. Zur Zeit gibt es 24 sogenannte Business-Projekte/Minifirmen, in der Regel gegründet als Gemeinschaftsbetriebe von kleinen Gruppen.

Der Präsident des örtlichen Bauernverbandes von Naukat, ein dynamischer und reformbewußter Landwirt, der gezielt auf die Entwicklung einzelwirtschaftlicher Betriebe hinarbeitet, hat sowohl im Rahmen des genannten TACIS-Programmes, als auch im Rahmen des deutschen TZ-Projektes an Seminaren teilgenommen. Darüber hinaus hat er auf eigene Initiative an einem Kurs über Marktwirtschaft in Novosibirsk teilgenommen. Vor zwei Jahren hat er mit einem gemieteten Lastwagen eine Ladung Obst nach Novosibirsk gebracht, um sie dort mit Erfolg zu verkaufen. Zur damaligen Zeit wurde ihm das noch von den Offiziellen der Agrarverwaltung des Rayon angekreidet, er wurde sogar als "Spekulant" kurzfristig inhaftiert. Mittlerweile hat sich die Situation geändert, die damaligen konservativen Offiziellen sind, dank der Tätigkeit des TACIS-Programmes, von der Notwendigkeit des institutionellen Wandels überzeugt und unterstützen nun voll die Reform.

Die Vermarktung der Feldfrüchte geschieht heute ohne große Probleme dadurch, daß einzelne Bauern oder Bauerngruppen mit gemieteten Lastwagen ihre Produkte (vorwiegend Kartoffeln) zu den Märkten bringen und ohne Probleme absetzen können. Teilweise werden auch Märkte in benachbarten Republiken aufgesucht (Schmuggel). Düngemittel werden ebenfalls teilweise in Nachbarrepubliken eingekauft. Vermarktungsprobleme gibt es lediglich bei Tabak, der an ein Tabakmonopol geliefert wird. Die Tabakanbauer müssen Verträge mit dem Tabakmonopol abschließen. Zur Zeit versuchen sie, ihre Position gegenüber dem Monopol dadurch zu stärken, daß sie als Gruppe oder Verband die Verträge kollektiv aushandeln, um den Integrationspol zu ihren Gunsten in Richtung der landwirtschaftlichen Produzenten zu verlagern.

Nach Aussagen des Präsidenten des örtlichen Bauernverbandes ist die Zeit reif, eine produzenteneigene Handelsorganisation (landwirtschaftliche Warengenossenschaft) zu gründen, um die Position der landwirtschaftlichen Erzeuger am Markt zu stärken, deren Absatz zu stabilisieren und eine geregelte und gesicherte Versorgung mit Produktionsmitteln zu gewährleisten.

Rayon Usghen

Die landwirtschaftliche Nutzfläche des Rayon beträgt 43.000 ha, davon sind 13.000 ha bewässerbare Ackerfläche.

Im Rayon Usghen leben 149.000 Einwohner. Rund 70% der Bevölkerung waren früher in den Sowchosen und Kolchosen beschäftigt und sind somit bei der Agrarreform zuteilungsberechtigt. Die Zahl der zuteilungsberechtigten Personen ist relativ hoch, da nicht nur die in der eigentlichen landwirtschaftlichen Produktion tätigen Mitglieder der landwirtschaftlichen Kollektivbetriebe zuteilungsberechtigt sind, sondern auch die in Verwaltung, Verarbeitung, Reparaturbetrieben, Dienstleistungsabteilungen, Kantinen etc. tätigen Personen.

Nach der Umverteilung verfügt ein Großteil der Familien nur über Nebenerwerbsbetriebe von 0,5 ha.

Zur Berichtszeit gab es 11.200 einzelwirtschaftliche Betriebe mit Pflanzenproduktion sowie 120 einzelwirtschaftliche Betriebe mit vorherrschender Tierproduktion.

Um landwirtschaftliche Betriebe mit einer Fläche zu bilden, die die Organisation einer ordnungsgemäßen Fruchtfolge erlauben, bilden viele Familien Betriebsgemeinschaften (zwischen 2 bis max. 50 Familien). Die Regel sind kleine Familien- oder Nachbarschaftsverbände. Die größeren Gruppenlandwirtschaften sind entweder Restbetriebe der Kolchosbetriebe oder neugebildete Mini-Kolchosen (landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften). Insgesamt gab es 570 sogenannte bäuerliche Betriebsgemeinschaften.

Des weiteren gab es 78 Dienstleistungsbetriebe (Nachfolgebetriebe der ehemaligen Maschinen- und Traktorenstationen).

In Ushgen gibt es noch mehrere Agrokombinate zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte (Obst und Gemüsekonserven, Milch und hier insbesondere Trockenmilch). Die Agrokombinate sind im Zuge der Privatisierung in Aktiengesellschaften umgewandelt worden, wobei der Staat die Aktienmehrheit hält. Da die Absatzwege dieser Kombinate, die vor der Unabhängigkeit Sibirien belieferten, zusammengebrochen sind, und die Agrokombinate unter enormen Liquiditätsproblemen leiden, arbeiten die Unternehmen zur Zeit nur noch mit einer Auslastung von 5-20%.

Rayon Kara-Su

Im Rayon Kara-Su wurde im zweiten Quartal 1996 die erste landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft gegründet, die gleichzeitig auch einen Verarbeitungsbetrieb (Molkerei) organisierte. Die landwirtschaftliche Mehrzweckgenossenschaft wurde von 51 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen. Die Initiative ging von dem vorgenannten EU-TACIS-Projekt zur Förderung der privaten Rinderhaltung aus. Weitere ländliche Mehrzweck- und Verarbeitungsgenossenschaften im Bereich der Fleischverarbeitung und der Obstvermarktung sind geplant. Die von den ländlichen Mehrzweckgenossenschaften betriebenen Verarbeitungsbetriebe werden durch Zuschüsse des TACIS-Projektes finanziert.

In Kara-Su wurde Mitte 1996 ein Spar- und Kreditverein (Credit Union) gegründet.

Voraussichtliche Entwicklung der landwirtschaftlichen Institutionen und Unternehmensformen im Oblast Osch

Im Oblast Osch ist die Agrarreform und die Transformation der Betriebssysteme in Richtung einzelwirtschaftlicher landwirtschaftlicher Unternehmen irreversibel. Zunächst entstand eine Vielzahl landwirtschaftlicher Einzelbetriebe, die aufgrund der geringen Flächenausstattung nur als Nebenerwerbsbetriebe überlebensfähig sind. Sie sichern nur die Subsistenz der Inhaberfamilien. Da jedoch die Beschäftigungsmöglichkeiten in den zusammengebrochenen Agrokombinaten sehr gering sind und folglich die Arbeitslosigkeit groß ist, ist der Druck auf den Boden hoch, und die Zuteilung größerer Betriebseinheiten aus sozialpolitischen Gründen nicht machbar.

Mittelgroße, sogenannte bäuerliche Betriebseinheiten entstehen durch die Bildung von Betriebsgemeinschaften (verwandtschaftliche oder enge Nachbarschaftsgruppen).

Der Ausdruck bäuerlich ist irreführend ist. Richtiger wäre es, die Betriebe als landwirtschaftliche Betriebsgemeinschaften zu bezeichnen. 70 Jahre Kollektivwirtschaft und Sozialismus haben auch in Kirgisistan, das jetzt konsequent zur einzelwirtschaftlichen Betriebsstruktur zurückkehrt, tiefgreifende Veränderungen hinterlassen. Die landwirtschaftliche Produktion in den ehemaligen Großbetrieben wurde in den letzen Jahrzehnten konsequent nach Gesichtspunkten der industriellen Organisation durchgeführt, was eine Urbanisierung auch der landwirtschaftlichen Bevölkerung zur Folge hatte. Die bäuerliche Tradition und die ihr typische Bodenständigkeit ging in dieser Zeit weitgehend verloren.

Die Mechanisierung der Landwirtschaft wird, da die von den landwirtschaftlichen Großbetrieben übernommenen Maschinen für die jetzigen Kleinbetriebe viel zu groß sind, durch überbetriebliche Zusammenarbeit bewältigt. Die landwirtschaftlichen Maschinen, die nach der Dekollektivierung entweder in Einzelbesitz oder vorwiegend in Gruppenbesitz übergingen, werden von den neuen Eigentümern als Lohnmaschinen eingesetzt. Dabei entwickeln sich Maschinenringe (Maschinenbanken), die als Form der organisierten Nachbarschaftshilfe den überbetrieblichen Maschineneinsatz koordinieren. Die ehemaligen Traktoren- und Maschinenstationen, auch deren verkleinerte Form (Mini-MTS), scheinen weniger zukunftsträchtig zu sein.

Es kann erwartet werden, daß die Inhaber der kleinen Nebenerwerbsbetriebe/ Subsistenzbetriebe sich verstärkt dem nichtlandwirtschaftlichen Erwerb zuwenden. Da die Zahl der Arbeitsplätze in größeren nichtlandwirtschaftlichen Betrieben nur geringfügig zunehmen wird, wird ein Großteil der landwirtschaftlichen Familien mit Kleinstbetrieben sich dem Kleingewerbe zuwenden (Dienstleistungen im Handel, landwirtschaftliche Lohnunternehmer, Reparaturbetriebe für landwirtschaftliche Maschinen, ländliches Handwerk, Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte im handwerklichen Betrieb, Transport). Die vielen Inhaber landwirtschaftlicher Klein- und Kleinstbetriebe bilden mit Sicherheit ein beachtliches Potential für ländliche Kleinunternehmer.

Denkbar ist auch eine verstärkte Vertragsproduktion, einerseits in der landwirtschaftlichen Produktion, andererseits in der Verarbeitung. Die Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, die früher in den Agrokombinaten geschah, kann sich in Zukunft als Vertragsproduktion für kleine Einzelunternehmer oder Gruppen entwickeln. Solche Unternehmer schließen ad hoc-Verträge mit den Nachfolgebetrieben der Agrokombinate ab und lassen diese als Lohnunternehmer kleinere Partien ihrer Produkte verarbeiten, bevor sie sie selbst weiter vermarkten.

Bei einer Stabilisierung der nichtlandwirtschaftlichen Einkommen der vielen Nebenerwerbslandwirte wird sich eine Konzentration des Bodens, bzw. eine Wanderung des Bodens zum besten Wirt ergeben. Die jetzigen mittelgroßen landwirtschaftlichen Betriebe, die als Betriebsgemeinschaften organisiert sind, werden langfristig in die Hände der dynamischsten Betriebsleiter wandern.

Kenntnisse über Betriebs- und Kooperationsformen (organisierte Nachbarschaftshilfe, überbetriebliche Zusammenarbeit, Maschinenringe, Maschinenbanken) sind bereits vorhanden, insbesondere aufgrund der Tätigkeit des TACIS-Programmes zur Förderung der privaten Rinderhaltung und der Initiative des französischen Projektleiters.

Nach der Umstrukturierung im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion zeichnet sich bereits der Bedarf für kooperative Zusammenschlüsse der landwirtschaftlichen Betriebe im Bereich des Warengeschäftes bzw. der Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte und der Vermarktung ab. Die ersten Genossenschaften wurden bereits gegründet, ebenfalls auf Initiative des TACIS-Projektes. Dynamische Landwirte und Bauernführer (z.B. der Präsident des örtlichen Bauernverbandes in Naukat) sehen bereits die Notwendigkeit, neben örtlichen Kooperativen und Betriebsgemeinschaften auch Warenzentralgenossenschaften auf Rayons-Ebene zu gründen.

Die Arbeitsweise solcher Warenzentralgenossenschaften erfordert flexibles Vorgehen, unter Umständen durch Einschaltung von Vertretern, um auch die Geschäfte über die Landesgrenzen hinweg betreiben zu können. Solche Geschäfte können nur als ad hoc-Aktion der Migliedergruppen organisiert werden. Des weiteren muß darauf geachtet werden, daß durch die genossenschaftlichen Tätigkeiten der Zugriff des Fiskus auf die Mitglieder nicht erleichtert wird. Die Geheimhaltung muß gewährleistet sein. Die Abwicklung informeller Geschäfte muß geduldet werden. Mittelfristig könnte die Entwicklung einer Oblast-Zentralgenossenschaft ins Auge gefaßt werden. Eine solche Zentralgenossenschaft könnte, da es zur Zeit noch keine genossenschaftlichen Prüfungsverbände gibt, auch Abteilungen zur Prüfung und betriebswirtschaftlichen Beratung der Lokalgenossenschaften unterhalten.

Im Kreditbereich bildeten sich die ersten Spar- und Kreditvereine nach dem Muster der Credit Unions. Solche Spar- und Kreditvereine sollten in der Anfangsphase möglichst nicht als Institutionen zur Verbesserung des Mittelabflusses von Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit mißbraucht werden, da dann der Spargedanke ins Hintertreffen gerät und die Selbsthilfeorganisationen zu "Selbstbedienungsläden" pervertieren. In gut organisierten Spar- und Kreditvereinen, die in der Regel sämtlichen Berufsgruppen offenstehen, herrscht die Beschränkung auf das Geldgeschäft vor. Trotzdem ist die Möglichkeit der Förderung von Landwirten durch Warengeschäfte und Investitionen in Gemeinschaftsmaschinen möglich. Dies kann durch ad hoc-Geschäfte einzelner Gruppen von Mitgliedern geschehen, die Gemeinschaftsmaschinen anschaffen oder ad hoc-Warengeschäfte organisieren und dabei lediglich von den Credit Unions administrativ unterstützt werden. Solche ad hoc-Geschäfte sind auch eine Möglichkeit, sich an der Schattenwirtschaft zu beteiligen, die zur Zeit für das Überleben der vielen landwirtschaftlichen Betriebe unumgänglich ist.

Es zeichnet sich jetzt bereits ab, daß die Bauernverbände sich zu reinen Interessenvertretungen entwickeln. Dabei besteht eine Konkurrenz zwischen denjenigen Verbänden, die sich bewußt von unten entwickeln, und den von oben entstandenen Verbänden. Das TACIS-Programm und die im Gebiet tätigen amerikanischen Organisationen der technischen Zusammenarbeit fördern insbesondere die partizipativen Bauernverbände und Organisationen, während das deutsche TZ-Projekt als Partner den von oben gegründeten Bauernverband des Oblast Osch unterstützt.

Eine genossenschaftsspezifische Unternehmenskultur hat sich noch nicht herausgebildet. Die Landwirte in Osch haben erst in den letzten zwei Jahren, insbesondere durch den Kontakt mit den französischen Beratern des TACIS-Projektes, Kenntnis von den Besonderheiten westeuropäischer Genossenschaften erhalten. Derzeit steht die Vermittlung des Verständnisses für den Förderzweck (hilfswirtschaftliche Aktivitäten von Genossenschaften im Gegensatz zur Verwertung der Arbeitskraft in produktivgenossenschaftlichen Strukturen) im Vordergrund. Die Zeit, die diese westeuropäischen Berater gewirkt haben, war zu kurz, um auch ein weitgehendes Verständnis und die Kenntnis über die unterschiedlichen Rechtsformen, die partizipativen Managementsysteme und die Überwachungssysteme sowie ein umfassendes Verständnis für das Subsidiaritätsprinzip zu vermitteln.1)

Trotz der bescheidenen Anfänge bei der Entwicklung moderner kooperativer Unternehmensformen besteht Zuversicht. Studienreisen politischer Entscheidungsträger nach Frankreich und Besuche bei westeuropäischen hilfswirtschaftlichen Genossenschaften haben bereits einen erstaunlichen Widerhall gefunden und eine Offenheit für förderwirtschaftliche Konzepte geschaffen.

3. Schlußfolgerungen Dem vorliegenden Paper - und das gilt auch für all die anderen oben zitierten Diskussionsschriften - liegt die Annahme zu Grunde, daß der Agrarsektor vorher lediglich pseudogenossenschaftlich organisiert war (Kolchosbetriebe bzw. Pseudogenossenschaften zur kollektiven Landnutzung und Agrokombinate bzw. genossenschaftsähnliche Verbundkomplexe der landwirtschaftlichen Betriebe mit den vor- und nachgelagerten Bereichen). Jahrelang wurde durch die ILO die Fiktion des durch Zwangskollektivierung eingerichteten Kolchosbetriebes als landwirtschaftliche Genossenschaft zur gemeinsamen oder kollektiven Bodennutzung aufrecht erhalten und durch weitgehend undifferenziertes Führen von Genossenschaftsstatistiken in den einzelnen Ländern dokumentiert. Daraus resultiert die Erwartung, daß sich das sogenannte Genossenschaftswesen in den ehemals sozialistischen Ländern unter Rückgriff auf die vorhandenen Strukturen zu modernen Genossenschaften transformieren ließe.

Die entsprechenden Hoffnungen mußten jedoch zwangsläufig Enttäuschungen weichen, da die Erfahrungen der Mitglieder mit den pseudogenossenschaftlichen Strukturen der Vergangenheit eine Genossenschaftsmüdigkeit hinterlassen haben. Diese ist berechtigt, da die Fach- und Führungskräfte keine Erfahrung mit förderwirtschaftlichen Konzepten haben und von allen Partnern noch nicht in genügendem Maße internalisiert ist, daß Selbsthilfeorganisationen kein Selbstzweck sind, sondern ihre relative Vorzüglichkeit in einer Konkurrenzsituation beweisen müssen. Dies setzt jedoch voraus, daß zunächst transparente Märkte entstehen, in denen die unterschiedlichsten Betriebs- und Unternehmensformen konkurrieren. Neben der Wiedereinrichtung von Inhaberbetrieben oder kleinerer Gruppenlandwirtschaften ist die Etablierung privater Landhändler bzw. eines umfassenden privatwirtschaftlichen Agribusiness und landwirtschaftlicher Finanzsysteme von ausschlaggebender Bedeutung. Die Überführung der früheren pseudogenossenschaftlichen landwirtschaftlichen Betriebe und Agrokombinate, die einer lückenlosen Top-down-Planung (Kommandowirtschaft) unterlagen und darüber hinaus eine vollständige Erfassung der Zielgruppe beinhalteten, in freiwillige hilfswirtschaftliche Genossenschaftsstrukturen wäre für die Entwicklung eines modernen landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens geradezu tödlich. Es entstünde so ein Agrarsystem, das mangels privatwirtschaftlicher Alternativen von Genossenschaftssystemen geprägt wäre, die konkurrenzlos quasi monopolartige Positionen einnehmen würden. Die alten Fach- und Führungskräfte könnten sich ohne Schwierigkeit durchsetzen. Die Entwicklung einer demokratischen genossenschaftlichen Unternehmenskultur wäre erschwert.

Beschreibt man Genossenschaften als hybride Organisationsformen 4), die hierarchische und marktwirtschaftliche Elemente enthalten, so läßt sich aus dieser Charakterisierung das Dilemma der pseudogenossenschaftlich organisierten Agrarwirtschaft in wenigen Sätzen ableiten. In der sowjetischen Landwirtschaft wurden die hierarchischen Elemente der Genossenschaft nicht nur überbetont, sondern es herrschte nur noch Hierarchie bzw. Kommandowirtschaft. In der Tat stellten die sogenannten Genossenschaften nur Pseudogenossenschaften dar, in denen der Wille der Mitglieder mißachtet wurde. Insofern ist die heutige Zurückhaltung gegenüber Genossenschaften verständlich, moderne Genossenschaften werden sich nur dann entwickeln, wenn einzelne engagierte Gründer und Gründungsmitglieder bei der Wiedereinführung selbstbestimmter Selbsthilfeaktionen auf strenge Befolgung des Mitgliederauftrages achten. Noch wesentlicher für den Erfolg moderner förderwirtschaftlicher Genossenschaften sind Rahmenbedingungen, unter denen sich Alternativen entwickeln können, wie einzelwirtschaftliche bzw. mittelständische Unternehmen der vor- und nachgelagerten Bereiche der landwirtschaftlichen Produktion, d.h. des Agribusiness. Nur so bleibt die Freiwilligkeit der Mitgliederschaft keine Fiktion.

Ähnliche Probleme sind bei der Privatisierung der Agrokombinate bzw. den der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten Betriebe zu beobachten. Diese entwickelten sich nicht im Sinne moderner genossenschaftlicher Holding-Konzepte mit Mehrheitsbeteiligung der landwirtschaftlichen Erzeugerbetriebe, sondern zu monopolartigen Agribusiness-Unternehmen in Händen der früheren Mitarbeiter dieser Betriebe. Den Führungskräften der privatisierten Agrokombinate fällt es schwer, sich als Dienstleistungsbetriebe der landwirtschaftlichen Produzenten zu verstehen. Sie haben sich noch nicht den Spielregeln eines Käufermarktes angepaßt. Des weiteren unterliegen die ehemaligen Agrokombinate auch nicht einem globalen Wettbewerbsdruck. Die "ererbte" Konzentration dieser Unternehmen gereicht dem Agribusiness heute zum Nachteil, da sie die Entwicklung hin zu dienstleistungsorientierten Unternehmen verhindert. Den Führungskräften fällt es schwer, angesichts des Konzentrationsprozesses westlicher Unternehmen, der bereits als "Sowjetisierung" der westlichen Wirtschaft bezeichnet wird, die Nachteile ihrer eigenen Strukturen zu erkennen. Die extreme Konzentration macht nur dann Sinn, wenn die entsprechenden Unternehmen nicht im Dienstleistungsbereich tätig sind, sondern global agieren und dort einem Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind.

Die landwirtschaftlichen kooperativen Unternehmensformen und Verbände bilden sich heute dadurch, daß sie sich eine Satzung erarbeiten, die in der Gründungsversammlung verabschiedet und von dem Akim des Rayons bestätigt wird. Ein Genossenschaftsgesetz gibt es noch nicht. Die genossenschaftlichen Unternehmensformen zeichnen sich somit nicht formal durch die Rechts- oder Gesellschaftsform aus, sondern durch den Zweck, der in der Förderung der Mitglieder liegt (Förderauftrag). Die derzeitige Situation erlaubt ein flexibles Vorgehen und verhindert, daß die Förderung kooperativer Organisationsformen durch Formalismus eingeengt wird.

Genossenschaftliche Entwicklung im landwirtschaftlichen Produktions-, Verarbeitungs- und Vermarktungsbereich ist kein Selbstzweck. Sie ist erforderlich, um die Position der landwirtschaftlichen Produzenten zu stärken, die aus der Bodenreform mit einer relativ ungünstigen Betriebsgrößenstruktur (bäuerliche Mittelbetriebe und eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieben, die aber mangels nichtlandwirtschaftlicher Erwerbsmöglichkeiten den Inhabern zur Zeit als alleinige Erwerbsquelle dienen) hervorgegangen sind. Dabei darf es nicht das Ziel sein, die früheren staatlichen Monopole (Agrokombinate) durch neue genossenschaftliche Monopole zu ersetzen. Vielmehr bedarf es einer Vielzahl flexibler neuer einzelwirtschaftlicher und gemeinschaftlicher Unternehmensformen, die Voraussetzung für einen gesunden Wettbewerb sind. Dabei kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Bereich des Warengeschäftes der sogenannten "Marktbeziehungsgenossenschaft" vor der "integrierten Genossenschaft" 2) der Vorzug gegeben werden, da nach der jahrzehntelangen Kollektivwirtschaft die Mitglieder einer Genossenschaft sich wohler fühlen, wenn sie sich neben ihrer Mitgliedschaft auch als Kunden ihrer Genossenschaft betrachten und auch die Möglichkeit haben, beispielsweise mit privaten Händlern Geschäfte zu machen.

Im Bereich der Betriebsgemeinschaften und Gruppenlandwirtschaft wird eher die "integrierte Genossenschaft" oder "Produktionsförderungsgenossenschaft" 3) dominieren, bei der die Mitgliedsbetriebe und der genossenschaftliche Gemeinschaftsbetrieb sich so organisieren, daß die Mitgliedsbetriebe nach außen hin nicht mehr als autonome Einheiten auftreten, sondern einen unternehmensartigen Verbundkomplex darstellen, bei der der Gemeinschaftsbetrieb die Außenbeziehungen regelt.

Das Beispiel Kirgisistan zeigt, daß das frühere Agrarsystem zusammenbricht, sobald die staatlichen Subventionen wegfallen. Neue Betriebssysteme und Kooperationsformen entstehen spontan, verlangen aber bestimmte Rahmenbedingungen. Mittelfristig wird die Absicherung der Entwicklung förderwirtschaftlicher Genossenschaften durch entsprechende Gesetzgebung erforderlich.

 

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  1. Das Subsidiaritätsprinzip basiert auf folgenden Grundsätzen: Was einzelne Institutionen, Gruppen oder Körperschaften aus eigener Kraft tun können, darf ihnen nicht von einer jeweils übergeordneten Instanz oder vom Staat qua Macht entzogen werden, damit die Kompetenz/Autonomie des jeweils personennäheren Lebenskreises erhalten bleibt. Erst wo deren Leistungsfähigkeit ihre Grenzen hat, darf die übergeordnete Instanz helfend einspringen, doch nicht behelfs- oder ersatzweise, sondern ergänzend. Die Intervention darf die Entfaltung der eigenen Kräfte jedoch nicht beeinträchtigen (Hilfe zur Selbsthilfe).
  2. BONUS, Holger (1987): Die Genossenschaft als modernes Unternehmenskonzept, Münster
  3. DÜLFER, Eberhard (1994): Structural Types of the Cooperative, in: DÜLFER (ed).: International Handbook of Cooperative Organizations (IHCO), Göttingen
  4. Die landwirtschaftliche Produktionsförderungsgenossenschaft nach OTTO SCHILLER greift koordinierend in den Produktionsbereich der Mitgliedsbetriebe ein: KIRSCH, Ottfried C., Johannes G.F. WÖRZ (1994): Co-operatives for the Promotion of Agricultural Production. In: DÜLFER (ed.): IHCO, Göttingen
  LITERATUR ASIAN DEVELOPMENT BANK AND GOVERNMENT OF THE KYRGHYZ REPUBLIC (1995): Agricultural Sector Program Loan: Further Agricultural Reform Measures. ULG Consultants Ltd., Warwick

BONUS, Holger (1994): Das Selbstverständnis moderner Genossenschaften: Rückbindung von Kreditgenossenschaften an ihre Mitglieder, Tübingen

BONUS, Holger (1987): Die Genossenschaft als modernes Unternehmenskonzept, Münster

BOSSHART, Christoph (ed.) (1997): Beiträge zu Transformationsprozessen und Strukturanpassungsprogrammen. Social Strategies Vol. 28, Basel

DÜLFER, Eberhard (ed.) (1994): International Handbook of Cooperative Organizations, Göttingen

HANA, Corinna (1993): Der gleiche Begriff - derselbe Inhalt? Zur Bildung von Chinesischen Äquivalenten für westliche Begriffe aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich. In: Oriens Extremus, 36. Jg., H. 1, Wiesbaden

Internationale Raiffeisen-Union (IRU) (1990): Entwicklungspolitische Leitlinien zur Förderung von Genossenschaften und anderen Selbsthilfeorganisationen nach den Prinzipien von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, IRU Bonn

KIRSCH, Ottfried C., Paul G. ARMBRUSTER, Gudrun KOCHENDÖRFER-LUCIUS (1983): Selbsthilfeeinrichtungen in der dritten Welt, Ansätze zur Kooperation mit autonomen leistungsfähigen Trägergruppen. Forschungsberichte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Band 49, München, Köln, London

KIRSCH, Ottfried C., Johannes G.F. WÖRZ (1994): Co-operatives for the Promotion of Agricultural Production. In: Dülfer (ed.): IHCO, Göttingen

KLEER, Jerzy, Juhani LAURINKARI, Johann BRAZDA (1996): Der Transformationsprozeß in Osteuropa und die Genossenschaften. Berliner Schriften zum Genossenschaftswesen, Vol. 7, Göttingen

MARBURG CONSULT (Hrsg.) (1992): Genossenschaftliche Selbsthilfe und Struktureller Wandel, Marburg

TODEV, Tode, Johann BRAZDA, Juhani LAURINKARI (1992): Aufbruch im Osten - mit oder ohne Genossenschaften? In: Marburger Schriften zum Genossenschaftswesen, Vol 73, Göttingen