Discussion Paper 56: KÖTTER, Herbert: Agrarwissenschaften in der Postmoderne: Versuch einer Orientierung unter Einbeziehung wirtschafts- und sozialethischer Aspekte

Diskussionsschriften der Forschungsstelle für Internationale Wirtschafts- und Agrarentwicklung eV (FIA), Nr. 55, Heidelberg 1997

____________________________________________________________________

 

INHALTSVERZEICHNIS

 

I. Einführung in die Problematik

II. Thesen

Literatur

 

I. Einführung in die Problematik

In zweifellos problematischer Verkürzung soll der hier verwendete Terminus "Postmoderne" zum Ausdruck bringen, dass die Entwicklungsphase der Menschheit, deren Zeugen und unmittelbar Betroffene die derzeit lebenden Generationen sind, nicht als einfache Extrapolation der Industriegesellschaft angesehen werden darf. Setzt man den Beginn der Industrialisierung mit dem Beginn der "Moderne" gleich, so muss man sich darüber Rechenschaft ablegen, dass der Industrialisierung e ine "Revolution" der Agrargesellschaften vorausgegangen war. Auch bei diesem Übergang in den Industrialismus handelt es sich um einen qualitativen Umbruch gesellschaftlicher Strukturen. Offenbar steht die Menschheit heute wieder vor einem s olchen "Quantensprung". Obwohl noch nicht präzise zu beschreiben ist, wohin die Reise denn eigentlich geht, "sind wir bereits dabei, eine von Grund auf neue Stufe der gesellschaftlichen, technischen und kulturellen Entwicklung zu erric hten."1)

In der einschlägigen Literatur findet man eine ganze Reihe von Bezeichnungen für diese Gesellschaft von morgen, deren Geburtswehen allerdings schon jetzt und hier deutlich geworden sind. So spricht etwa Daniel Bell von der "Postind ustriellen Gesellschaft", andere Autoren von der "Informationsgesellschaft", dem "Globalen Dorf" oder dem "Technotronischen Zeitalter". Welche Bezeichnung man letztendlich wählt, ist von sekundärer Bedeutung, s olange man sich bewusst ist, dass vieles in dieser sich abzeichnenden Zukunftsgesellschaft im Widerspruch zur überkommenen Industriegesellschaft steht. Paradoxerweise ist auch diese neue Gesellschaft in hohem Grade von Wissenschaft und Technologie be stimmt. Aber gerade deswegen zerbröckeln die Muster der sozialen Organisation der traditionellen Industriegesellschaft. Beredetes Beispiel ist das augenblicklich zu beobachtende, aus traditionell industriegesellschaftlicher Perspektive paradoxe Ph&au ml;nomen steigender Arbeitslosigkeit bei wachsender Produktivität der Gesamtwirtschaft.

Setzen wir die Phase des klassischen Industrialismus mit der Epoche der "Moderne" gleich, macht es durchaus Sinn von der heraufziehenden Phase als der "Postmoderne" zu sprechen. Entscheidend für die Strategie ist zu erkennen, d ass es sich um einen qualitativen Umbruch, eben einen "Quantensprung" handelt, der weltweit das Gesamtsystem des Industrialismus, seine Formen der Wirtschaft und sozialen Organisation, seine Machtstrukturen und politischen Konfigurationen in Fra ge stellt. Es wird auch sicherlich der Neuinterpretation von Wertskalen und neuer inhaltlicher Definitionen von gängigen Termini der Ökonomie wie etwa Produktivität und Wertschöpfung bedürfen. Eine zukunftsträchtige Gesellsch aftspolitik muss weit über Reparaturen am klassischen Industrialismus hinausgehen. Der außerordentlichen Komplexität der Entwicklung läßt sich nicht mit der Devise "Nur weiter so!" beikommen. Sie trägt eher dazu b ei, die Menschen, die Schwierigkeiten haben, das gänzlich Andersartige der Zukunft zu erfassen, weiterhin zu verunsichern.

Individuen und Gruppen fühlen sich zusehends als Objekte, ja Opfer einer Entwicklung, die sie nicht mehr durchschauen, was die Chancen rationaler Lösungen von in der Tat vorhandenen Konflikten unterhöhlt. Es wächst das Gefühl, dass eine simple Fortschreibung der herkömmlichen technischen Zivilisation unseren Planeten und die Menschheit gefährdet.
"Wenn man technische Rationalität nicht in eine neue Richtung hineinentwickelt, ist sie tödlich. Diese neue Richtung kann nur durch neue kulturelle Wertprioritäten, durch verantwortliche, von sittlichen Imperativen gesteuerte Gestaltun g erzielt werden."2) Diesesittlichen Imperative müssen nicht zuletzt auch Maximen wissenschaftlicher Forschung sein. Dabei geht es insbesondere

Es ist klar, dass es sich für die Wissenschaften und den einzelnen Wissenschaftler hierbei oft um eine Gratwanderung handelt. Es soll hier keineswegs einer Zensur das Wort geredet werden, da diese jeden echten Fortschritt inhibieren würde. Wi chtig ist, dass in einer konzertierten Aktion von Wissenschaft, Politik und Betroffenen die richtigen im wahrsten Sinne des Wortes intelligenten Fragestellungen konzipiert werden.

Die Veröffentlichungen über die oben angerissenen Fragestellungen und die damit verbundenen Probleme ethischer Verantwortung bei Erhaltung der Werturteilsfreiheit der Wissenschaften sind Legion. Unabweisbar dürfte aber die Notwendigkeit bestehen, dass die Wissenschaften, die bei allen Erfolgen nicht zuletzt zu einer Vielzahl von Krisen, die heute die Menschheit bedrohen, beigetragen haben - genannt seien hier nur Bevölkerungsexplosion, Umweltbedrohung, Verknappung nicht erneuerbarer Ressourcen - sich zumindest partiell auf Fragen des Krisenmanagements umorientieren. Auch hier geht es um einen Drahtseilakt, weil niemand voraussagen kann, welche Relevanz anscheinend zweckfreie Forschung für die Lebensgestaltung der Menschheit hab en könnte.

So wenig man die spöttische Bemerkung von Nietzsche: "Die Menschheit hat an der Erkenntnis ein schönes Mittel zum Untergang" angesichts der bisherigen Evolution ohne weiteres von der Hand weisen kann, so sehr gilt, dass die Bestands krise der Menschheit nicht ohne den Einsatz wissenschaftlicher Rationalität und der zieladäquaten Anwendung ihrer Ergebnisse gemeistert werden kann.
Am Beispiel der Agrarwissenschaften soll nun versucht werden aufzuzeigen

Einer solchen "Ortsbestimmung" sollen folgende Thesen als Ausgangsbasis dienen:

Heinz Duddeck hat in seinem Artikel "Die Zukunft beginnt in den Köpfen" einige bemerkenswerte Ausführungen über unser Verständnis des Verhältnisses Mensch - Natur, die Wurzeln unseres Technikverständnisses und da s Verhältnis von Ingenieur- und Geisteswissenschaften gemacht, die es verdienen, in Überlegungen zur Neuorientierung der Agrarwissenschaften einbezogen zu werden. Duddeck nennt:

- Den alttestamentarischen Auftrag an den Menschen, sich die Erde untertan zu machen.

- Die Ausbildung bestimmter Denkstrukturen im Verlauf der Evolution der Hominiden.

- Die Technikeuphorie der letzten 250 Jahre

Der Mensch steht nach alttestamentarischer Deutung, die auch wohl weitgehend vom Christentum übernommen wurde, außerhalb der Natur und ist zum Herrscher über die lebende und tote Welt bestimmt. 3) Dass mit dieser Auffassung da s Recht auf Ausbeutung auch ideologisch gerechtfertigt wurde, steht außer Frage. Man sollte allerdings erwähnen, dass mindestens seit Franz von Assisi Vorstellungen vom Menschen als Bestandteil und Bewahrer der Schöpfung evident geworden s ind.

War die Technik der Wildbeuter und Sammler eher eine Kunst, die auf "trial and error" und mindestens partiell auch auf Magie beruhte, so begann mit dem Aufstieg der Naturwissenschaften und der Umsetzung ihrer Erkenntnisse in Techiken, oder be sser gesagt Technologie, der Triumph des "Ingenieurs", des "intelligenten Machers". Die augenscheinlichen Erfolge der Ingenieurwissenschaften begünstigten aber auch das Entstehen eines Machbarkeitswahns. In der Landwirtschaft begi nnt die Epoche der radikalen Eingriffe in die Natur durch die Kultivierung von Brüchen und Mooren, die Eindeichung von Poldern, Flußbettbegradigungen und, besonders in der Neuen Welt, durch rücksichtslose Waldrodungen. Aus der Sicht der da maligen Zeit machten sich die Initiatoren und durchführenden Ingenieure verdient um die Gewinnung neuen Lebensraums. Bezeichnend für diese Euphorie ist u.a. die Aussage des Goetheschen Faust in der Tragödie zweitem Teil, der auf seine " ;Innere Kolonisation" mit Genugtuung zurückblickt. "Eröffn' ich Räume vilen Millionen, nicht sicher zwar , doch tätig frei zu wohnen. Grün das Gefilde, fruchtbar; Mensch und Herde sogleich behagllich auf der neuesten Erd e."
Die Ahnung Fausts, dass die Spur von seinen Erdentagen nicht in Äonen untergehen werde, ist ironischerweise für viele "Kolonisatoren" so in Erfüllung gegangen, dass noch nach langer Zeit Mensch und Umwelt unter diesen radikalen, h äufig irreversiblen Eingriffen in das Ökosystem zu leiden haben.
Dass die "Macher" häufig die Sensibilität komplexer Systeme nicht berücksichtigt haben, liegt m.E. nicht an bösem Willen, sondern an der in der Evolution ererbten Schwerfälligkeit, vernetzt und im System zu denken.

Inzwischen wird immer klarer, welche Bedeutung bei der Entwicklung neuer Technologien die Prinzipien der Entsorgung oder primär sogar der Vermeidung haben. Statt "Macht Euch die Erde untertan" heißt der kategorische Imperativ heute : "Bemüht Euch, dass die Erde eine lebensfähige Zukunft hat!"
Kassandrarufe gibt es eher im Überfluß. Was fehlt, sind realistische Zukunftsentwürfe, die für mündige Zeitgenossen akzeptabel und damit - auch unter unvermeidlichen Opfern - politisch durchsetzbar sind.

Dazu bedarf es der Zusammenarbeit von Natur - Ingenieur - Geistes- und Sozialwissenschaften mit Politik, Wirtschaft, Verbänden und last but not least dem aufgeklärten Bürger. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass heutzutage in unserer "Informationsgesellschaft" Politiker und Interessenvertreter das Krisenbewußtsein der Bürger und deren Willen, an ihrem Platz nach bestem Wissen an der Krisenbewältigung mitzuwirken eher unterschätzen.

Es will mir scheinen, dass die Agrarwissenschaften, eingeschlossen die Forstwissenschaften auf Grund ihrer Struktur als ein Mix von Natur - Ingenieur und Sozialwissenschaften auch hier eine Pilotfunktion haben könnten, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie das Prinzip der Nachhaltigkeit, so sehr auch manchmal dagegen gesündigt worden sein mag, nie gänzlich aus dem Auge verloren haben. Sie sollten sich nicht nur als Sachwalter einer bestimmten Klientel, sondern als Sachwalter einer Welt be trachten, die lebensfähig und lebenswert ist. Das bedeutet auch, dass sie sich einigen ethischen Grundforderungen verpflichtet fühlen müssen. In den folgenden Thesen soll versucht werden, die Anforderungen an eine Neuorientierung detaillier ter darzulegen.

II. Thesen

1. Gegenstand der Agrarwissenschaften in Forschung und Lehre ist die "Landwirtschaft". Was allerdings unter diesem Begriff zu subsumieren ist, ändert sich erheblich im Laufe der gesellschaftlichen Entwicklung sowohl im historisc hen Nacheinander wie auch im räumlichen Nebeneinander in der gleichen Zeitepoche. Die Beziehungen des Agrarsektors zu anderen Sektoren sind einem sich eher noch beschleunigenden Wandel unterworfen, so daß einmal die Abgrenzung als solche proble matischer wird und zum anderen die Rolle des Agrarsektors im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang selber zu einem wissenschaftlich zu analysierenden Problem wird. Die Fragestellung und das System der Agrarwissenschaften müssen permanent dahingehend überprüft werden, ob sie diesen Veränderungen ausreichend Rechnung tragen.

2. Unter "Wirtschaften" soll hier der rationale Umgang mit knappen Ressourcen zur Befriedigung von Bedürfnissen verstanden werden. Unter Landwirtschaft versteht man in erster Linie die "geplante und gelenkte Nutzung der biologi schen Erzeugungsfähigkeit von Pflanzen- und Tierbeständen zum Zwecke der Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen". 5) Diese aus einem Sondergutachten des Deutschen Bundestages stammende Definition greift fü r das Zeitalter der Postmoderne aus verschiedenen Gründen zu kurz.

 Neben den reinen Produktionsfunktionen gewinnen Dienstleistungsfunktionen mehr und mehr an Bedeutung. Auf Grund der zunehmenden Vernetzung der Landwirtschaft stricto sensu muß in Wissenschaft und gesellschaftlicher Praxis der gesamte Bereic h des sog. "Agribusiness" mit ins Kalkül genommen werden.

 Es ist neu zu bestimmen, was in der Postmoderne rationaler Umgang mit knappen Ressourcen bedeutet. Dabei stehen wir vor einer hinreichend komplizierten und paradoxen Situation, gerade, was den Agrarsektor betrifft.

- In den Industrieländern hat sich eine Überschußproduktion entwickelt, die weitgehend aus einer rasanten technologischen Entwicklung im Agrarbereich resultiert, wobei das wachsende Produktionsvolumen von immer weniger menschlichen Arbeitskräften erzeugt wird und der Einsatz bestimmter Techniken z.T. bereits jetzt erkennbar negative Auswirkungen auf Ressourcen und Produkte und nicht zuletzt die Umwelt sichtbar werden läßt und neueste Technologien in dieser Hinsicht unzureichend analysiert sind.

 - In der sog. Dritten Welt, in der der größere Teil der Menschheit lebt, herrscht Hunger und Fehlernährung, vorläufig mit steigender Tendenz bei nahezu ungebrochenem Bevölkerungszuwachs. Dieser Druck auf die nat&uum l;rlichen Ressourcen führt zu außerordentlich bedenklichen irreversiblen Schädigungen der Ressourcengrundlagen etwa in Form einer fortschreitenden Desertifikation und Klimaveränderung durch Regenwaldzerstörung.

 - Die geschilderten Phänomene haben sich nicht vollkommen unabhängig voneinander entwickelt. Tatsache ist, daß viele Fehlentwicklungen in den Entwicklungsländern zu einem Teil auf die unkritische Übertragung von Tec hnologien auf anders strukturierte Sozialsysteme und die Vernachlässigung einer ursprünglich durchaus möglichen agrarischen Arbeitsteilung auf Weltebene zurückzuführen sind. Diese partielle Übernahme von Technologien ohne ein e Veränderung von Institutionen und Verhaltensweisen ist ein wesentlicher Grund für viele Fehlschläge der sog. Entwicklungszusammenarbeit.

 Die anfangs gängige Überzeugung, mit entsprechendem Kapitalzufluß und dem Transfer sog. moderner Technologien lasse sich nachhaltige Entwicklung sicherstellen, hat sich als eklatante Fehleinschätzung erwiesen.

3. Neuerdings wächst die Überzeugung, daß die unkontrollierte Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in eine technische Verwertung nicht unter allen Umständen mit den Bedingungen menschlicher Existenz vereinbar ist. Der Men sch hat Verantwortung für sich selber, seine Mitgeschöpfe und die Umwelt schlechthin. Falls die Notwendigkeit für die Übernahme dieses "Prinzips Verantwortung" nicht erkannt und im Handeln von Individuen und Gruppen realisier t wird, liegt die Gefahr nahe, daß die Menschheit die Grundlagen ihrer eigenen Existenz zerstört.

 Unter Technik im weitesten Sinne sollen hier Mittel und Vorgehensweisen verstanden werden, mit denen man bestimmte Ziele erreichen möchte. Der Begriff der Technik ist heute universal geworden. Man kann folgende Kategorien unterscheiden:

 - Techniken der Produktion von Gütern und Dienstleistungen, deren Grundlagen wesentlich von den Naturwissenschaften geliefert werden;

 - Techniken der Organisation und des "institution building", basierend auf den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften;

 - Techniken der Beeinflussung von Menschen und Gruppen, die auf Erkenntnissen der Pädagogik, Psychologie und Soziologie aufbauen.

Über den Zusammenhang dieser Techniken sagt Schelsky: "Jedes technische Problem und jeder technische Erfolg wird unvermeidbar auch ein soziales und psychologisches Problem."6) Die augenblickliche Diskussion um die strukturelle Arbeitslosigkeit bietet in ihrer Hilflosigkeit ein gutes Beispiel dafür, daß die Technostruktur undurchsichtig geworden ist, bei der auch ein gut gemeinter Input zu recht zu unerfreulichen Folgen führen kann. Kritiker weisen mit Recht dar auf hin, daß die Kontrolle des technischen Fortschrittes vor allem ein Machtkampf ist, der zwischen weltweit rivalisierenden Interessen ausgetragen wird. Wenn hier nicht das Prinzip Verantwortung mehr Gewicht gewinnt, der Verantwortung für den anderen und die Lebensgrundlagen für uns alle, dann werden wir, statt Systemsteuerung auf weite und globale Sicht zu realisieren, immer mehr von einem Krisenmanagement ins andere stolpern. Die Aufgabe besteht darin, in einer immer konfliktträcht iger werdenden Welt nach rationalen Konfliktlösungen zu suchen. Dabei muß es sich um eine systematische Suche handeln, an der nicht zuletzt die verschiedenen Wissenschaften der letzlich verantwortlichen Politik Hilfestellung leisten müssen . Welche Lösung rational ist bestimmt sich nach Ordnungsvorstellungen, die auf Wertskalen basieren.

 Es soll hier keineswegs einem dumpfen Technik-Pessimismus das Wort geredet werden. Daß die Technik zu den konstituierenden Wesensmerkmalen des Menschen gehört, daß er auf sie wegen seiner Organunspezialisiertheit zum Überleb en angewiesen ist, bleibt unbestritten. Gleichzeitig ist er aber Teil eines Ökosystems, dessen Gesetze er zwar erforschen und in seinen Dienst stellen, aber nicht auf Dauer ungestraft verletzen kann. "Der endgültig entfesselte Prometheus, d em die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die Wirtschaft rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden.".7)

4. Die folgenden Ausführungen basieren auf einigen Grundthesen.

 - Stark vereinfacht lassen sich bis heute vier große Phasen unterscheiden, in denen die Menschheit technisch-ökonomisch und sozial-organisatorisch in verschiedener Weise ihre Ressourcen ausgenutzt hat, um ihr Leben zu fristen. Es sind dies die Wildbeuter-Sammlerphase, die Agrargesellschaft, die Industriegesellschaft und die postindustrielle Phase der Informationsgesellschaft, charakterisiert durch Globalisierung und Automation. 8)

 - Was aus dem Angebot der Natur als Ressourcen zu welchem Zwecke genutzt wird bzw. genutzt werden kann, hängt von dem technologischen Stand, den organisatorischen und institutionellen Rahmenbedingungen aber auch Wertvorstellungen und eventuellen Tabus ab. Folgender Trend läßt sich in den o.g. Entwicklungsphasen nachweisen. Während zunächst genutzt wird, was die Natur anbietet, werden die Eingriffe in die ursprüngliche Natur zunehmend intensiver: Von der s ystematischen Nutzung von Pflanzen im Feldanbau, der Züchtung von Tierbeständen für bestimmte Zwecke, bis hin zur Gentechnik, mit der die natürlichen Grundlagen quasi "umgebaut" werden. Ein anderer Trend insbesondere in der E nergieerzeugung geht von der Nutzung nachwachsender Rohstoffe zum irreversiblen Verbrauch von Energieträgern. Inzwischen verstärken sich die Bemühungen um Technologien, die Energiequellen ausnutzen, ohne sie zu verbrauchen (z.B. Wind - Sola renergie, Kernenergie). Parallel zu dieser Entwicklung läuft eine Bevölkerungszunahme einerseits und ein Rückgang der Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft andererseits.

  Diese Übergänge haben sich in den verschiedenen Regionen dieses Planeten in Raum und Zeit unterschiedlich vollzogen. Genau betrachtet bestehen die vier Formen noch heute in unterschiedlicher Form und Quantität nebeneinander. Diese "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" ist ein globales politisches Problem. Im Zusammenhang mit dem Thema interessiert das Faktum, daß aus der Interdependenz von Wert- und Zielvorstellungen, verfügbaren Ressourcen und Technolo gien sowie Formen der sozialen Organisation und Institutionen sich jeweils typische Zusammenhänge hergestellt haben, die man auch als "Ökosysteme" bezeichnen könnte, wobei dieser Begriff gerade die Aktivität der Menschen mit einbeziehen muß.

  Der Terminus bezeichnet einen labilen Gleichgewichtszustand, der entweder interne oder externe Veränderungen der einzelnen systemimmanenten Faktoren abfedern kann oder bei allzu radikalen Veränderungen zur Revolution führt. U nter "Revolution" soll hier der Prozeß des Systemzusammenbruches und die Entstehung eines qualitativ völlig neuen Systems verstanden werden. In der realen Weltsituation läßt sich auch in diesen Prozeßverläufen da s Phänomen der "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen" beobachten. Verhaltensweisen und Technologien, die in einem bestimmten Zusammenhang als rationale Problemlösungen angesehen werden können, werden kontraproduktiv, wenn andere Faktoren etwa die Ressourcenlage oder die Wertvorstellungen sich ändern. Die Bevölkerungsexplosion ist ein eklatantes Beispiel für diese These. Auch die strukturelle Arbeitslosigkeit in den alten Industrieländern sollte unter dieser Pe rspektive gesehen werden.

5. Der Eintritt der Menschheit bzw. großer Teile der Menschheit in Agrargesellschaften ist als qualitativer Sprung anzusehen, der mit dem Beginn einer differenzierten Zivilisation gleichzusetzen ist. An die Stelle des Wildbeutertums, in dem im wahrsten Sinne des Wortes von der Hand in den Mund gelebt wird, tritt die mehr oder weniger planvolle Vermehrung und Bewirtschaftung einiger von der Spezies "Mensch" als nützlich angesehener Pflanzen- und Tierarten. Es bildeten sich Tech nologien heraus, die dem Menschen durch eine gewisse materielle Sicherheit die Bildung differenzierterer Zivilisationen erlaubte. Er löste bzw. emanzipierte sich intelligent in wie kleinen Schritten auch immer von der Natur, was eine unverhältni smäßige Vermehrung seiner Spezies ermöglichte. "Radikalökologen" muß eigentlich der Übergang in die Agrargesellschaft als die "Erbsünde" erscheinen. Hier begann der Mensch "sich die Erde untert an zu machen", ein Prozeß, der zunächst infolge natürlicher Beschränkung der Menschenpopulation etwa durch Hungersnöte und Krankheiten relativ langsam anlief, der aber mit der Entwicklung neuer Technologien, die auf systemat ischer Forschung basierten, zunehmend rasanter ablief bis hin zu Ungleichgewichten im System "Erde", die es unmittelbar in seiner Existenz bedrohen.

6. In diesem Zusammenhang ist ein Dilemma zu erwähnen, daß erst langsam in unser Bewußtsein dringt. Der ungeheure Fortschritt in den einzelnen Techniken, besonders in den Produktionstechniken, ist der fortschreitenden Spezialisier ung einzelner Zweige, insbesondere in den Naturwissenschaften zuzuschreiben. Wegen evidenter unmittelbarer Erfolge solcher Technologien und der Verkümmerung der Systemeinsichten in der Wissenschaft, dauerte es in vielen Fällen geraume Zeit, bis die ökonomische, soziale und umweltpolitische Fragwürdigkeit bestimmter Techniken evident wurde. In mancher Hinsicht stehen wir heute noch am Anfang unserer Möglichkeiten, die Zukunftsfähigkeit von Technologien und Formen der sozialen Organisation zu beurteilen. Hier, bei der Kontrolle des technischen Fortschrittes und seiner Lenkung in "vernünftige" Bahnen sind Politik, Wirtschaft und Wissenschaft weltweit gefordert, nicht zuletzt auch der mündige Bürger. Es g eht nur bedingt um moralische Appelle, so wichtig sie auch sein mögen. Eine Gesinnungsethik allein verpufft jedoch, wenn nicht die unmittelbare Bedrohung transparent gemacht wird.

7. Hinsichtlich der Rolle der Landwirtschaft und der Agrarwissenschaften in diesem Prozeß muß auf folgende Tatsachen hingewiesen werden.

 Ohne die Vorleistungen der Agrargesellschaft hätte sich der Industrialismus so nicht entwickeln können. Die Problematik des "urban-industrial bias" in vielen Entwicklungsländer, d.h. eine einseitige Industrialisierung unt er Vernachlässigung der autochtonen Landwirtschaft, liefert dafür im Nachhinein den zusätzlichen Beweis.

 Die Erhöhung der agrarischen Produktivität in der Agrargesellschaft selbst wäre nicht möglich gewesen ohne die Entwicklung und systematische Anwendung neuer Technologien, die im wesentlichen auf Erfahrungen aufbauten. So haben bereits vor der Kohle-Dampf-Epoche, dem Beginn der Industrialisierung um die Wende des 17. Jahrhunderts die Eliminierung der Brache, die Einführung neuer Feldfruchtarten, die Verbesserung traditioneller Geräte und die Verwendung von Zugtieren i n Westeuropa zu erheblichen Produktionssteigerungen geführt.9) Diese relativ einfachen Verbesserungen hätten sich kaum in Produktivitätssteigerungen niederschlagen können, wenn sie nicht von politisch-institutionellen Ver&au ml;nderungen begleitet worden wären, wie Veränderungen z.B. der Agrarverfassung und der Aufhebung des Flurzwanges. Es gab also einen technisch-gesellschaftlichen Umbruch in der Agrargesellschaft, durch den die Nahrungs-, Arbeitskräfte- und Kapitalbasis für den nun einsetzenden Industrialisierungsprozeß geschaffen wurde.

 Dieser Industrialisierungsprozeß, der weitgehend auf neuen Erkenntnissen der Natur- und Ingenieurwissenschaften basierte, löste seinerseits weitere Modernisierungseffekte in großen Teilen der Landwirtschaft aus. Hier ist vor alle m auf die Erfolge der Agrikulturchemie und die Einführung neuer Maschinen zu verweisen, die mit von außen zugeführter Energie gespeist wurden und den Arbeitskräftebedarf in der Landwirtschaft immer stärker reduzierten. Die Landwi rtschaft wurde durch diese Prozesse immer stärker in einen weltweiten technologischen und ökonomischen Verbund mit entsprechenden Abhängigkeiten eingebunden.

 Wie sich die Agrarwirtschaft heute darstellt, ist sie nicht nur faktisch Bestandteil des Industrialismus geworden. Sie ist auch als erster Sektor mit den Problemen des späten Industrialismus konfrontiert worden. Das gilt übrigens mutati s mutandis für alle Industrieländer unabhängig davon, ob es sich um Gesellschaften mit "kapitalistischen" oder "sozialistischen" Grundmustern handelt.

8. Der Spätindustrialismus ist durch folgende Problematik charakterisiert.

 - Seine Technologien basieren vorwiegend auf dem Verbrauch nicht erneuerbarer Energie, was im Prinzip stark die Umwelt belastet.

 - Seine Ökonomie wird weitgehend von einer Produktions- und nicht von einer Bedürfnislogik gesteuert. Es kommt zunehmend zu Fehl- und Überproduktion und zu neuen Knappheitsphänomenen im Bereich der Umwelt und der kollekti ven Güter und Dienstleistungen.

 - Der materielle Wohlstand der breiten Massen ist ohne Zweifel beträchtlich angehoben worden. Das System läuft aber zur Zeit Gefahr, gerade wegen technischer Erfolge eine neue Klassenstruktur in der Gesellschaft zu begründen. An die Stelle des Gegensatzes Kapitalist - Proletarier schiebt sich der Gegensatz Arbeitsbesitzer - Arbeitsloser.

 - Technologische Erfolge haben lange Zeit die systemgefährdende Vorstellung von der Machbarkeit aller Güter und Dienstleistungen und der Unerschöpflichkeit der Ressourcen genährt.

 Der Übergang in die Postmoderne ist durch folgende Phänomene charakterisiert. Weiterhin hat die Produktionslogik Vorrang vor einer Bedürfnislogik. Dadurch entsteht Überproduktion bei gleichzeitigem Auftreten von neuen Knapphei tserscheinungen vor allem im Bereich der klassischen Ressourcen und der Umwelt.

 Im System entstehen sog. Rationalitätenfallen, weil die einzelnen privaten Rationalitäten zu einer gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Irrationalität führen. Das läßt sich besonders augenfällig am Beispiel des Agrarsektors zeigen. Gesamtgesellschaftlich falsche Preissignale und Abnahmegarantien bewirken, daß die einzelnen Landwirte unter den gegebenen Bedingungen privatwirtschaftlich unter dem Druck eines globalen Wettbewerbes absolut rati onal handeln, wenn sie ihre Produktion unter Einsatz insbesondere unter Umweltgesichtspunkten fragwürdiger Methoden maximieren. Die Kosten für die Überproduktion und die Umweltbeeinträchtigung werden aber den Steuerzahlern bzw. der Ges amtgesellschaft angelastet. Diese Problematik tritt zunehmend auch in anderen Sektoren der postindustriellen Gesellschaft auf.

 Unter dem Druck des Wettbewerbes treten ferner einige außerordentlich bedenkliche Phänomene auf, die sowohl aus ethisch-moralischer Sicht wie auch aus der Sicht des Verbrauchers abzulehnen sind. Gedacht ist hier an bewußte Tä ;uschung oder mindestens Verschleierung von Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsmethoden. Zu denken ist hier an zweifelhafte Mastmethoden, Massentierhaltung, mangelhafte Information über bestimmte "Risiken und Nebenwirkungen", wie fas t täglich in der sog. Enthüllungspresse nachzulesen ist. Langfristig gesehen erscheint eine solche Verschleierungstaktik kontraproduktiv und irrational, weil die Sensationsmache zu undifferenzierten Reaktionen der Verbraucher resultierend aus ma ngelhafter Aufklärung führen muß.

9. Es kann nicht bezweifelt werden, daß die Wissenschaft und ihre Umsetzung in Techniken entscheidenden Anteil an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung hat. Die kurz skizzierte historische Analyse dürfte auch zeigen, daß die An wendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in der Agrikultur wesentliches Moment der Gesamtentwicklung gewesen ist. Die Produktivitätserhöhung im Agrarbereich hat zu Überschußproblemen in den Industrieländern, zu steigender Umw eltbelastung aber direkt und indirekt auch zur Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt und erhöhter Inanspruchnahme nicht erneuerbarer Rohstoffe und insgesamt zu einem gewissen Unbehagen der Gesellschaften an der Landwirtschaft beigetragen.

 Die Postmoderne scheint mir insbesondere durch die wachsende Einsicht charakterisiert zu sein, daß technischer Fortschritt nicht ohne weiteres mit zivilisatorisch-sozialem Fortschritt gleichzusetzen ist. Man wird sich auch immer mehr klar d arüber, daß der unkritische Transfer von Techniken in andere Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen zu höchst unerwünschten Wirkungen führen kann. So hat etwa die Einführung hochertragreicher Getreidesorten, die zeitweise fast als Lösung des Hungerproblems in der Welt angesehen wurde, in manchen Ländern der Dritten Welt auf Grund der Machtverhältnisse und Sozialstrukturen zu erhöhten sozialen Spannungen und paradoxerweise zu weiteren Proletarisierung de r ländlichen Armen geführt. Der Kampf um Marktanteile auf den Agrarmärkten der Industrieländer auf Grund einer mit bedenklichen Methoden erzeugten Überproduktion hat eine standort- und umweltgerechte Orientierung der landwirtschaf tlichen Produktion weitgehend verhindert. Eine Kontrolle des technischen Fortschrittes im Sinne seiner "Zivilisation" wird durch Machtprobleme auf verschiedenen Ebenen stark behindert.

10. Folgerungen für Struktur und Funktion sowie die ethischen Verpflichtungen der Agrarwissenschaften in der Postmoderne ergeben sich zum einen aus der Veränderung der Rolle von Wissenschaft und Technik und zum anderen aus den spezifisch en Aufgaben des Agrarsektors.

 Wissenschaftliche Forschung per Dekret etwa stoppen oder umsteuern zu wollen, würde dem Prinzip einer freiheitlichen Gesellschaft widersprechen. Das Streben nach Erkenntnis bleibt endlos. Allerdings wird der totale Wissensbestand immer mehr von Kollektiven einzelner Spezialwissenschaften erzeugt. Das bedeutet einerseits, daß auch die Einzeldisziplin immer mehr den Gesamtüberblick verliert und der Laie vollends hilflos diesen Summen von Erkenntnissen ausgeliefert ist. In dieser Klu ft wird Raum für Ersatzwissen und Aberglauben geschaffen. Wird aber dieses Einzelwissen in Technologien umgesetzt, dann erhöht die Spezialisierung die Gefahr des Auftretens von "black-box-Phänomenen". Es gibt zahllose Beispiele da für, daß Techniken, die in bester Intention eingesetzt wurden, zu äußerst unerwünschten Ergebnissen geführt haben. Wir werden das am Beispiel der Agrarwirtschaft an einzelnen Beispielen erläutern.

 Obwohl immer das berühmte Restrisiko bleiben wird, scheint es mir ausgeschlossen, aus diesem Grunde Forschung und Umsetzung der Ergebnisse radikal zu blockieren. Wohl aber sind Wissenschaftler und Techniker aus ethischen Gesichtspunkten geha lten, nach bestem Wissen und Gewissen eventuelle Folgen abzuschätzen. In diesem Zusammenhang erscheint die keineswegs abgeschlossene Diskussion über "Technikfolgenabschätzung" einer Intensivierung und Präzisierung zu bedü ;rfen. Verstanden wird heute darunter die wissenschaftliche Analyse, wissenschaftsgestützte Politikberatung und ein gesellschaftlicher Diskurs über Ziele, Bewertung, Chancen und Risiken bestimmter Technologien in Bezug auf ihre Kontrolle und Ste uerung unter jeweils zu definierenden gesellschaftspolitischen und institutionellen Rahmenbedingungen. Gerade auf diesem Gebiet scheinen mir die Agrarwissenschaften bisher unterfordert zu sein. Das dürfte besonders für neue Entwicklungen auf den Gebieten der Biotechnologien zutreffen. 10)

 Damit geraten auch sie in die Auseinandersetzung um Werturteile in der Wissenschaft. Technikfolgenabschätzung, wenn sie denn zum Zwecke der Politikberatung betrieben wird, kommt ohne Wertskalen schlechterdings nicht aus. Wenn auch die Wissenschaft nicht die Wertskalen vorgeben und in dieser Hinsicht wertneutral oder möglichst wertneutral bleiben sollte, so kann sie aber dazu beitragen, darzulegen, was unter bestimmten Umständen zu tun ist, um bestimmte Wert- und Zielvorstellu ngen zu verwirklichen. Wenn der Wissenschaftler sich selbst und anderen gegenüber ehrlich ist, dann wird er nach Möglichkeit seine eigenen Wertprämissen explizit darlegen.

11. Aus verschiedenen Gründen werden wirtschafts- und sozialethische Fragen für die Agrarwissenschaften in der Postmoderne zunehmend relevanter. "Wirtschaftsethik (Unternehmensethik) befaßt sich mit der Frage, wie moralische N ormen und Ideale unter den Bedingungen moderner Wirtschaft zur Geltung gebracht werden können".11) Folgende Bereiche sind für die Agrarwirtschaft und somit auch für die Agrarwissenschaften von kardinaler Bedeutung:

 - das Problem der Welternährung;
- das Energieproblem,
- die Umweltproblematik.

 Diese Probleme sind eng miteinander verknüpft. Wie die Dinge nun einmal liegen, zwingt die zahlenmäßige Entwicklung der Menschheit, d.h. ihr im Grunde auch auf wissenschaftlich begründeten Technologien beruhender biologischer Vermehrungserfolg, dazu, die agrarische Erzeugung zu maximieren. Es ist hier nicht der Ort, das Schreckensszenario im Einzelnen zu beschreiben, daß sich etwa aus fortschreitender Desertifikation, zunehmender Versalzung und Wasserverknappung durch s uperintensive Irrigation oder weltweite Klimabeeinträchtigung durch Entwaldung ergibt.

 Die Unterscheidung zwischen erneuerbarer und nicht erneuerbarer Energie ist inzwischen durchaus ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Aus der Sicht der Agrarwirtschaft ergibt sich eine durchaus ambivalente Problematik. In der Landwirts chaft der Industrieländer wäre zu prüfen, ob der Einsatz nicht erneuerbarer Energie in den verwendeten Produktionsmitteln und Produktionsmethoden nicht in einem außerordentlich ungünstigen Verhältnis zu dem Produktionserfolg bei Nahrungsmitteln und Rohstoffen steht, nicht zuletzt deswegen, weil die Produkte "normal" nicht mehr nachgefragt werden.

 Entscheidend für die Fehlentwicklung ist die falsche Weichenstellung der Agrarpolitik, vor allem der Agrarpreispolitik und der Subventionspolitik der Industrieländer insbesondere der EU. Sie hat die Intensivierung, Spezialisierung, die Produktion von Überschüssen und - allen ursprünglichen Intentionen zum Trotz - die Konzentration in der Landwirtschaft gefördert. Im Prinzip gilt dies auch für die Forstwirtschaft. Die derzeitige Form der landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Produktion verursacht wachsende ökonomische, soziale und ökologische Belastungen12) Die einseitige Ausrichtung auf die Produktionsfunktion muß aufgegeben werden. Die sozialen und ökologischen Funktione n müssen als gleichberechtigt anerkannt und von der Gesellschaft materiell und immateriell honoriert werden.

 Stark vereinfacht kann man die Zielsetzung für die Postmoderne unterschiedlich, aber dennoch ähnlich für Entwicklungsländer und Indurstrieländer etwa folgendermaßen skizzieren:

 - von der rein landwirtschaftlich-forstwirtschaftlichen Produktionsfunktion hin zur Erfüllung sozialer und ökologischer Funktionen, für die eine echte Nachfrage besteht;

 - von der land- und forstwirtschaftlichen Entwicklung stricto sensu hin zu einer umfassenden ländlichen Entwicklung, die den unterschiedlichen Konstellationen in einzelnen Regionen Rechnung trägt.

 Für die meisten Entwicklungsländer muß konkret eine Strategie der ländlichen Entwicklung konzipiert und durchgesetzt werden, welche gerichtet ist

 - auf eine Erhöhung der Nahrungsmittel- und Energieproduktion;

 - auf eine Maximierung von Beschäftigung und Einkommen für die breiten Massen der ländlichen Bevölkerung;

 - auf eine möglichst schonende Nutzung der natürlichen Ressourcen.13)

 Die Aufgabe der Agrarwissenschaften im weiteren Sinne besteht hier vor allem darin, den Systemcharakter einer solchen Strategie zu analysieren und sie anwendbar zu machen, in dem vor allem der Zusammenhang von gesellschaftspolitischen, sozi alen, technologischen und ökologischen Faktoren im Hinblick auf "sustainable development" offengelegt wird. Das erfordert auch eine wertende Stellungnahme zu den politischen und institutionellen Faktoren der lokal-regionalen Systeme und ihr e Einbettung in globale Systeme in bezug auf deren Effizienz für die Zielerreichung. Soweit man das sehen kann, ist die Agrarwissenschaft in dieser Richtung zwar auf dem Wege, es wird aber noch etlicher Anstrengungen bedürfen, ihre Beraterfunkti on im nationalen und internationalen Bereich effizient zu machen, in dem konsistente und plausible Handlungsanweisungen unterbreitet werden.

 In den Industrieländern wird die flächendeckende Umstellung auf den ökologischen Landbau und eine naturnahe Waldwirtschaft propagiert. Die wesentlichen Elemente und potentiellen Auswirkungen kann man verkürzt so beschreiben:

 Die Stoffkreisläufe sind weitgehend geschlossen. Der Material- und Energie-Input ist niedriger. Die Trennung von Ackerbau und Viehhaltung wird weitgehend aufgegeben. Die Tierhaltung wird im Prinzip artgerechter. Transport- und Energieaufwend ungen werden reduziert.

 Eine mineralstoffarme Düngung vermindert den Beitrag der Landwirtschaft zur Grundwasserbelastung, Eutrophierung von Ökosystemen und Waldsterben. Die klimaschädlichen Emissionen aus der Landwirtschaft gehen zurück. Vielfäl tigere Fruchtfolgen, Hecken und Biotope tragen zur Erhaltung der Artenvielfalt und zur Selbstregulationsfähigkeit der Agrarökosysteme bei.

 Über dieser gesellschaftlich potentiellen Effizienz solcher Umstellungen darf natürlich die Zielsetzung der in der Landwirtschaft Tätigen nicht vergessen werden. Sie kann in ein System mit den Elementen Einkommsoptimierung, rationa ler Einsatz der Arbeitskraft, Sinnerfüllung in der landwirtschaftlichen Arbeit, soziale Sicherung sowie soziale Anerkennung der Leistung eingeordnet werden. Der sog. bäuerliche Familienbetrieb gilt immer noch als eine Grundfigur der europäi schen und nordamerikanischen Agrarstruktur und Agrarverfassung. Wissenschaft und Praxis scheinen mir aber angehalten, intensiver über adäquate Strukturen und Institutionen im Lichte der sich ständig verändernden gesellschaftspolitische n, sozialökonomischen und technologischen Rahmenbedingungen nachzudenken.

12. Weltweit ist die Dominanz des westlichen Wohlstandsmodells ungebrochen. Zahlreiche Länder und Menschen streben danach, das Niveau der Industrieländer zu erreichen und zwar primär durch eine Industrialisierungspolitik nach westli chem Vorbild. Die Absicht kann mit dem Grundsatz der internationalen Chancengleichheit auch moralisch zunächst gerechtfertigt werden.

 Andererseits gilt aber, daß die westliche Entwicklung nur partiell nachvollzogen worden ist. Einmal hat sich bisher die für Europa typische Reaktion auf das Bevölkerungswachstum, d. h. seine Stabilisierung nur unvollkommen nachvol lzogen; andererseits wurden Industrialisierungsprozesse initiiert, bevor die heimische Landwirtschaft die Voraussetzungen geschaffen hatte, was eben für die Prozesse in Europa typisch gewesen ist.

 Verkürzt noch einmal die Aussage, daß die technologischen und institutionellen Umbrüche in der Agrargesellschaft erst die sog. industrielle Revolution ermöglicht haben, und zwar weitgehend ohne die unmittelbar bedenklichen Fo lgen, die die von einem "urban-industrial bias" geleitete Politik in vielen Entwicklungsländern evident gemacht hat.

 Aus der Tatsache, daß unsere agrarische Entwicklung weitgehend durch die Verwertung von Erkenntnissen der Agrarwissenschaften zunächst vorwiegend von den angewandten Naturwissenschaften, sehr bald aber von den wirtschafts- und sozialwi ssenschaftlichen Zweigen der Agrarwissenschaften beeinflußt worden ist, läßt sich die These ableiten, daß die Agrarwissenschaften mit Verantwortung tragen für die Probleme, die unsere Gesellschaft im Übergang zum Postindus trialismus bedrängen. Niemand kann die Erfolge einer "verwissenschaftlichten Praxis" in der Land- und Forstwirtschaft in Abrede stellen. Genauso wenig läßt sich aber leugnen, daß auch in den Agrarwissenschaften auf Grund de s Glaubens an die Unerschöpflichkeit der natürlichen Ressourcen bzw. deren Ersetzbarkeit durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse und darauf basierenden Technologien, der Machbarkeitswahn eine Rolle gespielt hat. Heute wird immer klarer, da&szl ig; die gegenwärtigen Produktions- und Konsummuster zu endgültigen Störungen der ökologischen Systeme führen, vor allem, wenn sie sich global durchsetzen. Duddeck hat darauf hingewiesen, dass die Technik als Überlebenswerkzeu g des Menschen sich im Laufe der Evolution zu unsere Lebensweise essentiell beeinflussenden Techniksystemen gewandelt hat, Systeme, die nicht nur die tradierten Denkweisen der Moderne und ihre Utopien, dass Technik als solche den Menschen befreit, ad absu rdum geführt haben. "Technik trägt offenbar zur Beschleunigung einer sich abzeichnenden Menschheitskatastrophe bei."14)

 Auf Kosten der Natur wirtschaften, schlägt letzten Endes auf die Menschheit jetzt und in Zukunft weltweit zurück. Es wäre jedoch außerordentlich naiv und unverantwortlich, daraus die simple Forderung nach einer Rüc kkehr "zum einfachen Leben" ableiten zu wollen.

 Wissenschaft und Praxis befinden sich gewissermaßen in der Rolle des Zauberlehrlings, der die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Die ungeheure Entwicklung von Wissenschaft und Technologie hat uns eben diese Probleme beschert. Eine r ationale Lösung ist nicht durch moralische Appelle sondern nur durch konsequente Anwendung von neu orientierter Wissenschaft und zieladäquaten Technologien möglich. Wenn das Ziel der Entwicklung nicht mehr "Weiter, Schneller und Mehr&q uot;, wie das bisher weitgehend das Credo der Industriegesellschaft war, nicht mehr gelten kann, weil ein unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt nicht möglich ist, dann scheint diese Erkenntnis auch die Richtschnur wissenschaftlicher Forschun g werden zu müssen. Ich halte es in der Tat für eine ethische Verpflichtung der Forschung und der Technologieentwicklung sich am Maßstab des "Sustainable Development" zu orientieren, der wesentlich auf eine äußerst sch onende Nutzung von Ressourcen und Natur ausgerichtet ist.

 Hier ist das Ensemble der Agrarwissenschaften ganz besonders gefordert, zum einen, weil Landwirtschaft und Agrarwissenschaften es mit den eigentlich grundlegenden Ressourcen menschlichen Daseins, Boden, Wasser, Pflanzen und Tieren zu tun haben, u nd zum anderen, weil die Agrarwissenschaften als ein mixtum compositum von Grundlagenforschung und angewandter Forschung von Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften dem dringend zu fordernden Modell der Interdisziplinarität relativ nahe kommen.

 Der Schwerpunkt muß bei der Erforschung von Prinzipien sparsamsten und schonendsten Naturverbrauchs und einer Technologie der Artenerhaltung und des ethisch vertretbaren Umganges mit Tieren liegen. Überspitzt bedeutet das eine Abkehr v on der übertriebenen Monokultur und den moralisch sehr bedenklichen Formen der Massentierhaltung. Das erfordert auch das Nachdenken über andere Organisationsstrukturen und verschiedene Dienstleistungsfunktionen der ländlichen Gebiete bis hi n zu den Beziehungen zwischen städtischen Ballungsräumen und den ländlichen Räumen. Die hier evidenten Probleme lassen sich nur im Verbund lösen. Stichworte wären etwa Pendlerverkehr, regionale Versorgung mit Produkten und Di enstleistungen von Land- und Forstwirtschaft, sanfter Tourismus u.ä.. Die Verpflichtung der Agrarwissenschaften sich dieser neuen Problematik zu stellen, ergibt sich m.E. auch aus der beschriebenen Tatsache, daß sie nicht unerheblich an der Ent stehung der augenblicklichen Übergangsproblematik beteiligt gewesen sind und noch sind.

13. Wenn die Wirtschaft umweltpolitisch aus dem Ruder gelaufen ist, wenn man den Ausverkauf der Natur und den Rückgang der Artenvielfalt beklagt, wenn auf der einen Seite eine horrende Ressourcenverschwendung mit entsprechender Belastung der Umwelt betrieben wird, und auf der anderen Seite die schiere Not einer ständig wachsenden Bevölkerung den Druck auf die natürlichen Ressourcen bis zu deren irreversiblen Zerstörung erhöht, dann wird der Ruf nach mehr Moral laut, d ie die Akteure auf den Weg der Humanität und Solidarität mit der Natur und den Menschen zurückführen soll. Zwar kann auch hier der kategorische Imperativ Kants nach gesellschaftspolitisch verantwortlichem Handeln des Einzelnen und von Interessengruppen als Aufforderung zu mehr Verantwortung seine Geltung beanspruchen. Der systematische Ort der Moral in der Marktwirtschaft ist die Rahmenordnung. "Die für die Realisierung moralischer Normen und Ideale erforderliche Kontrolle er folgt über sanktionsbewehrte Regeln, die so gestaltet werden müssen, daß die Akteure aus Eigeninteresse genau das tun, was den Wohlstand aller anhebt".15) Diese Maxime scheint hinsichtlich der Umweltpolitik und der Armutsbe kämpfung besondere Relevanz zu haben. Wenn es nicht gelingt, diese interdependenten Problematiken in den Griff zu bekommen, manövrieren sich "Umweltsünder und Ausbeuter" auf die Dauer selbst aus. In einer derart aus dem Gleichgewi cht gebrachten Welt gibt es schlechterdings keine "Insel der Seligen" mehr, auf die sie sich zurückziehen könnten.

 Auf der anderen Seite hat die individuelle Moral ohne eine Verankerung in der Rahmenordnung keine Chance. Man kann z.B. den deutschen Bauern bestimmte moralische Verhaltensweisen in der Ressourcennutzung und Anwendungen bestimmter Technologien ka um zumuten, wenn die Einhaltung solcher Regeln nicht durch weltweite Sanktionsregelungen garantiert wird.

14. Möglicherweise ist bisher die Interdependenz von bestimmten Verhaltensweisen und den jeweiligen Gesamtsystemen in den Agrarwissenschaften unzureichend analysiert worden. Maximierung der agrarischen Produktion, die in einem definierten Zus ammenhang prioritär und auch tolerabel in Bezug auf die Ressourcennutzung ist, wird einfach kontraproduktiv, wenn sich etwa Technologien, Verbrauchsgewohnheiten und weltweite Interdependenzen ändern. Dafür ist z.B. die Nachkriegsentwicklung in Deutschland ein beredtes Beispiel. Es ist schwierig, die beteiligten Akteure davon zu überzeugen, daß Produktion á tout prix überholt ist und daß auch die Idee, die hungernden Massen der Welt aus den Überschüssen der Landwirtschaft in den industrialisierten Ländern zu "füttern", eine langfristige Lösung eher erschwert. Die sog. "Do-gooders" haben mit ihrer Wohltätigkeit um jeden Preis sicher etliches Unheil in der Welt ange richtet. Hier liegt durchaus ein Analysebedarf vor, der von den Agrarwissenschaften aufgegriffen werden sollte und ohne Rückbezüge zu ethischen Prinzipien nicht hinreichend geklärt werden kann.

 In diesem Zusammenhang ist auch die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Technologien im Bereich der Agrarwirtschaft hinzuweisen. Die Überprüfung der Umweltverträglichkeit bestimmter Technologien sollte die Entwicklung neuer Technol ogien keineswegs grundsätzlich ausschließen. Die Gentechnologie bietet ein gutes Beispiel für wie mir scheint geradezu hysterische Reaktionen einer bestimmten Öffentlichkeit. Ich halte es für die Pflicht der Agrarwissenschaften i n Zusammenarbeit mit einer internationalen scientific community, rückhaltlos über Chancen und Risiken einer solchen Technologie aufzuklären. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint mir eine Zensur der Forschung auf diesem Gebiet äu&sz lig;erst problematisch.

  Es geht dabei aber nicht nur um den Umgang mit neuen, in unserem eigenen Kulturkreis entwickelten Tehnologien. Der Globalisierungsprozess hat uns immer mehr mit Systemen in Verbindung gebracht, die wir in westlicher Arroganz pauschal als "u nterentwickelt" bezeichnet haben und noch bezeichnen. In dem Bestreben, diesen Gesellschaften die "Segnungen" moderner Entwicklung zu vermitteln, haben wir leichtfertig übersehen, wieviel Weisheit in manchen agrarischen Anbausystemen u nd Viehhaltungsmethoden insbesondere im Hinblick auf Ressourcennutzung und Umweltschonung steckte. Als Beispiel darf noch heute gelten, daß in semi-ariden Gebieten die nomadische Wirtschaftsweise einer Seßhaftmachung der Viehhalter in mancherl ei Hinsicht überlegen ist. Wir haben allen Grund, uns darüber Rechenschaft abzulegen, daß die unkritische "Modernisierung" die relativ stabilen Systeme an den Rand der Zerstörung getrieben hat. Die Agrarwissenschaften hä ;tten allen Grund, sich intensiver mit traditionellen Wirtschaftsweisen autochthoner Agrargesellschaften zu befassen, zum einen, weil deren vorsichtige Reformation möglicherweise dem Ideal eines "sustainable agricultural development" besser Rechnung trägt als eine radikale "Modernisierung". Zum anderen könnten wir möglicherweise für unsere eigene, auf sparsamste Ressourcennutzung angewiesene agrarische Entwicklung einiges lernen.

 Bei der Bewertung der Auswirkungen biotechnologischer Verfahren ist es vordringlich, sich zum einen differenziert mit den verschiedenen Verfahren und zum anderen mit deren potentiellen Auswirkungen in konkreten ökonomischen, sozialen und ges ellschaftspolitischen Gesamtzusammenhängen auseinanderzusetzen. Für bestimmte Länder der Dritten Welt bietet die Einführung solcher Technologien sicher Chancen für die zentrale Problematik der Erhöhung der Nahrungsmittelprodu ktion. Das volle Potential neuer Technologien in bezug auf Armutsbekämpfung, wirtschaftliche Gerechtigkeit und Partizipation marginaler Gruppen an der Gesamtentwicklung kann sich erst entfalten, wenn die politischen und sozio-ökonomischen Rahmen bedingungen entsprechend gestaltet werden können. Man kann, wie bereits gesagt, hier einiges aus den zum Teil negativen sozio-politischen Auswirkungen der sog. Grünen Revolution lernen.

15. Die Agrarwissenschaften müssen in der Postmoderne sehr viel eindringlicher die Frage nach dem Zusammenhang von Auswirkungen von Technologien unter bestimmten Rahmenbedingungen stellen. Man kann davon ausgehen, daß in aller Regel ein e Veränderung der Rahmenordnungen beträchtlich hinter Veränderungen technischer und sozialer Art hinerherhinkt, daß das ordnungspolitische Bewußtsein in vielen politischen Systemen eher abnimmt und daß der Globalisierungsp rozess zu einer Konfrontation mit defizitären Rahmenbedingungen in anderen Gesellschaften führt. Die Kenntnis und die Analyse dieser neuartigen Konstellationen ist für die Politikberatungsfunktion von größter Relevanz. Die Defizi te liegen zu einem erheblichen Teil in machtpolitischen Konstellationen begründet, wobei der Einfluß verschiedener kolonialer Vergangenheiten zu beachten ist. In vielen Fällen geht es um eine Art "socio-cultural lag", eine Verwer fung derart, daß Strukturen und Verhaltensweisen, die auf einer vorherigen Entwicklungstufe durchaus rational waren, bei partiellen Veränderungen im System irrational bis hin zur totalen Gefährdung und zum Zusammenbruch des Gesamtsystems w erden können.

 Folgende Prinzipien lassen sich vielleicht für die Arbeit des Ensembles der Agrarwissenschaften in der Postmoderne herausstellen

- Angesichts der evident werdenden Knappheitsphänomene hinsichtlich der Ressourcen und der Belastung der Natur geht es um die Entwicklung von Technologien und Wirtschaftsformen, die dieser neuen Situation durch höchste Sparsamkeit ration al Rechnung tragen. Im wohlverstandenen Eigeninteresse müssen die Eingriffe in den Gesamthaushalt unseres Ökosystems minimiert werden. Unter der Leitvorstellung eines "sustainable developments" wird der häufig noch apostrophierte Gegensatz von Ökonomie und Ökologie obsolet. Keineswegs bedeutet dieser Ansatz auch eine grundsätzliche Technikabstinenz. Wie die Dinge nun einmal liegen, ist die Problemlösung nur mit Hilfe der Entwicklung von "appropriate techno logies" zu erreichen.

 Wissenschaftliche Erkenntnisse und effiziente Politikberatung müssen stärker auf die Analyse von Systemzusammenhängen ausgerichtet werden. Der Beitrag der Agrarwissenschaften kann um so wirkungsvoller sein, je mehr sie sich intern und extern der Interdisziplinarität öffnen. Die Agrarwissenschaften sind bereits durch Interdisziplinarität charakterisiert, eine Interdisziplinarität, die im Laufe ihrer historischen Entwicklung immer mehr zugenommen hat. Hierin liegt ihre große Chance. Aber auch für dieses Ensemble von Wissenschaften gilt die Formulierung Poppers: "Ein wissenschaftliches Fach ist nur ein abgegrenztes und konstruiertes Konglomerat von Problemen und Lösungsversuchen. Was es aber wi rklich gibt, das sind die Probleme und die wissenschaftliche Tradition."16)

 Dem bliebe hinzuzufügen, auch für die Agrarwissenschaften gilt, daß ihre wissenschaftliche Tradition gesamtgesellschaftliche und umweltpolitische Verantwortung und entsprechende ethische Verpflichtungen impliziert.

______________________________________

  1. Toffler, Alvin: Die Zukunftschance, München 1980, S. 21
  2. Hünermann, Peter: Vorwort zu: Technische Rationalität und kultureller Wandel. Jahresakademie des Katholischen akademischen Ausländerdienstes, Bonn 1990, S. 6
  3. Duddeck, Heinz: Die Zukunft beginnt in den Köpfen. In: Forschung und Lehre. Mitteilungsblatt des Deutschen Hochschulverbandes, H. 1/1997, Bonn 1997
  4. Duddeck, Heinz: a.a.O., S. 5
  5. Sondergutachten des Deutschen Bundestages. Zitiert nach Rieder, Peter: Artikel "Landwirtschaft" in: Lexikon der Wirtschaftsethik. Hrsg. Enderle, G. von, Homann, K., Honecker, M., Kerber, W., Steinmann, H., S. 585, Freiburg 1993
  6. Schelsky, Helmut: Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation. In: Arbeitsgemeinschaft für Forschung und Lehre des Landes Nordrhein-Westfalen, Köln-Opladen 1961, Heft 96, S. 11
  7. Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt 1979, S. 7
  8. Kötter, Herbert: Landwirtschaft auf dem Wege in die Postindustrielle Gesellschaft. In: Agrarsoziologische Orientierungen. Ullrich Planck zum 65. Geburtstag. Hrsg. D. Jauch und F. Kromka, Stuttgart 1987, S. 23
  9. Bairoch, P.: Die Landwirtschaft und die Industrielle Revolution 1700-1914. In: Cipolla, C.M. und Borchardt, K., Hrsg. Europäische Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1970
  10. Vgl. dazu: ATSAF, Arbeitsgemeinschaft für Tropische und Suptropische Agrarforschung, Biotechnologie und Entwicklungsländer, Bonn 1995, passim
  11. Homann, Karl: Artikel "Wirtschaftsethik". In: Lexikon der Wirtschaftsethik. Hrsg.. Enderle, G. et al., Freiburg 1993, S. 1287
  12. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. Zukunftsfähiges Deutschland. Her. BUND und MISEREOR, Basel 1996, S. 313 f.
  13. Vg. Dazu DSE/ZEL: Ländliche Entwicklung und schonende Nutzung der Ressourcen. Herausforderung oder Wiederspruch. Feldafing 1983, passim
  14. Duddeck, Heinz: a.a.O., S. 5
  15. Homann, K.: a.a.O., S. 1290
  16. Popper, Karl-Raimund: Die Logik der Sozialwissenschaften. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 14, 1962

 

Literatur

ATSAF, Arbeitsgemeinschaft für Tropische und Subtropische Agrarforschung: Biotechnologie und Entwicklungsländer, Bonn 1995

BAIROCH, P.: Die Landwirtschaft und die Industrielle Revolution 1700-1914. In: Cipolla, C.M. und K. Borchardt: Europäische Wirtschaftsgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1970

DSE/ZEL: Ländliche Entwicklung und schonende Nutzung der Ressourcen. Herausforderung oder Widerspruch. Feldafing 1983

DUDDECK, H.: Die Zukunft beginnt in den Köpfen. In: Forschung und Lehre. Mitteilungsblatt des Deutschen Hochschulverbandes. H. 1/1997, Bonn 1997

HOMANN, K.: Artikel "Wirtschaftsethik". In: Enderle, G. von et al. (Hrsg.), Lexikon der Wirtschaftsethik, Freiburg 1993

HÜNERMANN, P.: Vorwort zu: Technische Rationalität und kultureller Wandel. Jahresakademie des Katholischen akademischen Ausländerdienstes, Bonn 1990

JONAS, H.: Das Prinzip Verantwortung, Frankfurt 1979

KÖTTER; H.: Landwirtschaft auf dem Wege in die Postindustrielle Gesellschaft. In: Agrarsoziologissche Orientierungen. Ulrich Planck zum 65. Geburtstag. Hrsg.: D. Jauch und F. Kromka, Stuttgart 1987

POPPER, K.-R.: Die Logik der Sozialwissenschaften. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 14, 1962

SCHELSKY, H.: Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation. In: Arbeitsgemeinschaft für Forschung und Lehre des Landes Nordrhein-Westfalen, Heft 96, Köln-Opladen 1961

Sondergutachten des Deutschen Bundestages. Zitiert nach Rieder, Peter: Artikel "Landwirtschaft". In: Enderle, G. von et al. (Hrsg.), Lexikon der Wirtschaftsethik, Freiburg 1993

TOFFLER, A.: Die Zukunftschance, München 1980

WUPPERTAL Institut für Klima, Umwelt und Energie. Zukunftsfähiges Deutschland. Hrsg.: BUND und MISEREOR, Basel 1996