Wolfgang-Peter Zingel
Südasien-Institut der Universität Heidelberg, Abteilung Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik

Pakistan
In: Handbuch der Dritten Welt. Herausgegeben von Dieter Nohlen und Franz Nuscheler. Band 7: Südasien und Südostasien. Bonn: Dietz. 1994. pp. 302-335.
 

1. Wirtschaftsgeographische Grunddaten - Entwicklungspotential

Die Islamische Republik Pakistan (P.) besteht aus den vier Provinzen Punjab, Sind, North West Frontier Province (NWFP) und Baluchistan sowie den der Bundesregierung direkt unterstehenden Stammesgebieten entlang der afghanischen Grenze und dem Distrikt der Hauptstadt Islamabad. Bis zur Sezession (1971) der früheren Provinz Ostpakistan (OP, jetzt Bangladesh, siehe dort) bildeten diese Gebiete den westlichen Landesteil (WP).

Die von P. kontrollierten Gebiete Kashmirs, d. h. das nach pak. Rechtsauffassung souveräne Azad (= freies) Jammu and Kashmir (AJK) sowie die "Northern Areas" (NA), bestehend aus der Agentur Gilgit (mit Hunza und Chilas) und Baltistan, unterliegen einem Sonderstatus und werden de facto von der pak. Bundesregierung verwaltet; sie sind in den offiziellen pak. Statistiken grundsätzlich nicht enthalten und fehlen auch in denen der internationalen Organisationen. Indische und z. T. auch internationale Quellen weisen sie als ind. Territorium aus. Nach pak. Auffassung ist der endgültige Status Kashmirs erst in einem Referendum unter Kontrolle der UN zu klären.

Außerdem erhebt P. Anspruch auf die ehemaligen Fürstenstaaten Junnagadh und Manavadar, beide auf der Kathiawar-Halbinsel des ind. Bundesstaates Gujarat gelegen. Die Sezession Bangladeshs wurde dagegen 1974 von der pak. Regierung anerkannt. Es bestehen normale diplomatische Beziehungen zu Indien und Bangladesh. P. liegt zwischen 36°45' und 23°30' nördl. Breite und 61° und 75°30' westlicher Länge und erstreckt sich über eine Distanz von maximal 1 750 km (Chitral-Makran) in NO-SW-Richtung; die Ost-West-Ausdehnung beträgt bis zu 1 200 km. P. besteht im wesentlichen aus zwei natürlichen Wirtschaftsräumen: dem dicht besiedelten Tal des Indus und seiner Nebenflüsse (zusammen als Indus-Tal oder Indus-Ebene bezeichnet) und den dünn bevölkerten Berggebieten Baluchistans und der NWFP; ferner den dichter besiedelten Tälern in diesen beiden Provinzen (Peshawar, Quetta) und den menschenleeren Wüsten und Wüstensteppen entlang der indischen Grenze (Cholistan, Wüste Thar) und im Sind Sagar Doab (Thal). P. grenzt im Westen an den Iran und an Afghanistan, im Norden an China (wenn man die NA einbezieht) und im Osten an Indien. Die Südgrenze bildet das Arabische Meer.

Als Übergangsgebiet zwischen den Hochebenen Südwest- und Zentralasiens und der Ebene des indischen Subkontinents ist P. ein Land großer landschaftlicher Gegensätze. Es reicht im Norden in die Ausläufer des Karakorum (Baltistan) und Hindukush (Chitral) und nimmt den westlichsten Teil des Himalaya ein; es erstreckt sich vom Pamir (Hunza) bis zum Arabischen Meer. P. geht im Westen in das Iranische Hochland und im Osten und SO in die Ebenen des Ganges und Gujarats über. Im Osten setzen sich die Ausläufer des Himalaya über die aus kristallinem Schiefer und Graniten aufgebauten Ketten des westlichen Himalaya und Hindukush mit bis zu 7 700 m in der nördlichen NWFP, über die jungen Ketten des Suleiman (bis über 3 000 m) und der Kirthar Range (bis über 2 000 m) bis zum Indischen Ozean langsam abfallend fort. Die Nordgebiete weisen im Himalaya (Nanga Parbat) und Karakorum (K2) mehr Achttausender als irgendein anderes Land auf.

Fünf Flüsse die dem Indus zuströmen, nämlich Jhelum, Chenab, Ravi, Sutlej und Beas (bereits in Indien), geben dem Punjab, d. h. fünf Wasser, seinen Namen. Er ist die größte, volkreichste und bedeutendste Provinz. In seinem NW findet das Bergland der NWFP seine natürliche Fortsetzung in der Salt Range. Sie bildet für den Indus eine letzte Barriere, nach der er endgültig die Ebene erreicht. Zwischen den Siwalik-Ketten des Himalaya im Norden und der Salt Range im Süden liegt das Potwar Plateau zwischen Indus und Jhelum. Südlich davon erstreckt sich die Indus-Ebene mit ihren fruchtbaren Schwemmlandböden bis in den Sind und zum Meer (Johnson 1979, Kureshy 1986).

Die Zweistromländer (doabs) tragen Namen entsprechend den Strömen, die sie trennen : Sind Sagar oder Thal Doab zwischen Indus und Jhelum, Jech oder Chaj Doab zwischen Jhelum und Chenab, Rechna Doab zwischen Ravi und Chenab, Bari Doab zwischen Ravi und Sutlej und Bist Doab - bereits in Indien - zwischen Beas und Sutlej. Durch die starken Ablagerungen kommt es zu einer Anhebung der Flußbetten und bei starkem Hochwasser häufig zu ausgedehnten Überschwemmungen, in deren Verlauf sich die Flüsse in dem weichen Boden des ebenen Geländes neue Wege schaffen können. Die Flüsse haben so mehrfach ihren Lauf entscheidend geändert. Der Jamuna, heute ein Nebenfluß des Ganges, soll einst durch das heute trockene Bett des Ghaggar in den Sutlej oder Indus geflossen sein, evtl. auch direkt ins Meer im Rann of Kutch.

Das Klima ist im allgemeinen arid bzw. semi-arid mit heißen Sommern und kalten Wintern und weist wegen der großen Ausdehnung des Landes erhebliche Unterschiede auf. Als Folge des tropischen Monsun können drei Jahreszeiten unterschieden werden: Der Winter von Nov. bis Febr. ist kühl und trocken, die Temperaturen nehmen mit steigender Entfernung vom Meer ab und die Niederschläge zu. In den Bergen des Nordens und Baluchistans ist der Winter streng mit z. T. starken Schneefällen. Die Regenfälle sind im gesamten Gebiet gering. Sie fallen im Winter vor allem in den westlichen Landesteilen, wo sie die Sommerniederschläge des Monsun übertreffen. Der Sommer beginnt im März, dauert bis Juni und ist trocken und heiß. Während dieser Zeit fallen kaum Niederschläge, die Temperatur nimmt ständig zu und gegen Ende dieser Zeit auch die Niederschläge, bis der Monsun Ende Juni einsetzt, seine höchsten Niederschläge im Aug. erreicht und bis Okt. langsam abklingt. Die Witterungsverhältnisse differieren sowohl von Jahr zu Jahr als auch zwischen den einzelnen Regionen. In Gebieten mit insgesamt niedrigen Niederschlägen (z. T. unter 100 mm p. a.) kommt es vor, daß in einem Jahr praktisch keine Niederschläge fallen, während benachbarte Gebiete starke Niederschläge empfangen, und es im darauffolgenden Jahr umgekehrt ist. Somit kommt der Anlage von Bewässerungskanälen, die aus einem landesweiten Verbundsystem gespeist werden können, existentielle Bedeutung zu.

Die Staudämme, Stauseen, Deiche und Kanäle dienen gleichermaßen dem Hochwasserschutz, der Bewässerung und der Elektrizitätserzeugung. Der größte Teil der landw. Fläche könnte ohne dieses System, das zu den größten der Welt gehört, in dieser Form und in dieser Intensität nicht genutzt werden. Hier rühren aber auch einige der gravierendsten Probleme her: Das System wurde bereits in brit. Zeit angefangen und im Zuge der Beilegung des Streites mit Indien um das Wasser des Indus bzw. das seiner Nebenflüsse (Vertrag von 1960) erweitert. Es trug maßgeblich zur Verschuldung des Landes bei. Bei der Inbetriebnahme des Tarbela-Dammes, des größten Erdschüttdammes der Welt, drohte (1976) eine Katastrophe, als erhebliche Schäden am Damm auftauchten; die Reparaturen zogen sich jahrelang hin. Die jahrzehntelange unsachgemäße Bewässerung (zuwenig Wasser auf zuviel Land) hat zu Bodenversalzung (salinity) und Vernässung (waterlogging) geführt, durch die jedes Jahr zehntausende Hektar Ackerland verlorengehen. Durch das SCARP (Salinity Control and Land Reclamation Project) wird dem entgegengearbeitet. Die sich rasch durchsetzenden kleinen motorgetriebenen Pumpen (tubewells) helfen, das bis fast unter die Oberfläche gestiegene Grundwasser abzusenken. Sowohl die Anlage dieser Brunnen als auch das Ausscheiden marginaler Flächen begünstigen die größeren Betriebe; Flächen für Neusiedlungen gibt es aber kaum noch (im Gebiet des Chasma/Indus Right Bank Canal).

Bisher wurden wenige bedeutende Vorkommen an Bodenschätzen entdeckt. Die Exploration des Landes ist aber bei weitem noch nicht abgeschlossen. Neben Kalkstein und Steinsalz, die in fast unbeschränkten Mengen vorkommen, sind es begrenzte Mengen an Erzen und fossilen Brennstoffen. Es wurden große Mengen von Eisen (über 400 Mio. t), Chrom und Kupfer gefunden, jedoch meist in entlegenen Gebieten (Kupfer in Chagai; Eisenerz in Kalat, Chitral und Hazara), mit geringen Erzanteilen (vor allem Eisen) und mäßig ergiebigen Lagerstätten (Chrom). Chrom wird seit der Jahrhundertwende abgebaut, aber in immer geringeren Mengen; für Eisenerz bestehen seit Jahrzehnten Pläne, die Kalabagh-Vorkommen in einem kleineren Werk zu verhütten; die Kupfervorkommen werden noch auf ihre Abbauwürdigkeit untersucht. Die Einschätzung der Vorkommen durch die pak. Regierung liegt z.T. deutlich über denen der internationalen Organisationen.

Schon in brit. Zeit wurde nach Erdöl gesucht; 1915 wurden die ersten Funde auf dem Potwar Plateau gemacht; 1922 wurde in Rawalpindi die erste Raffinerie gebaut. Nach Erlangung der Unabhängigkeit wurde die Suche verstärkt, aber mit mäßigem Erfolg; die Reserven werden auf (1993) 19 Mio. t geschätzt (Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:70). Die Förderung konnte auf (1990-91) 3,0 Mio. t gesteigert werden und deckt 42 % des Verbrauchs. Eine Produkten-Pipeline von Karachi nach Multan dient der Versorgung des Punjab und der Entlastung der Eisenbahn; die Kapazität der Raffinerien (Karachi 5,2 Mio. jato, Rawalpindi 1,5 Mio. jato) soll mit Neubauten in Multan und Badin verdoppelt werden. Bei der Erdölsuche fand man 1952 große Mengen Erdgas bei Sui (Sibi/ Baluchistan), später auch im Sind und Punjab. Die Gasreserven von (1993) 441 Mrd. m3 entsprechen 587 Mio. t Steinkohle, sie machen Gas zum Hauptenergieträger; auch bei steigendem Verbrauch (1990-91: 15 Mrd. m3) reichen die bekannten Vorkommen noch Jahrzehnte. Das Gas wird vor allem industriell genutzt (Düngemittel, Zement, Kraftwerke, 1,5 Mio. Anschlüsse), Pipelines versorgen Karachi und den Süden, eine weitere den Norden (Akhtar 1991:514ff.). Die Rohrleitung nach Quetta soll den Vorwurf aus der Welt schaffen, daß Baluchistan als einzige Provinz nichts von "seinem" Erdgas abbekäme.

Das erhebliche Wasserkraftpotential im Norden des Landes, je nach Einschätzung der vertretbaren Investitionskosten 10 000-30 000 Megawatt (MW), wird z. T. genutzt; die Kraftwerke am Indus (Tarbela 2 614 MW) und Jhelum (Mangla 800 MW) machen den Großteil der genutzten Wasserkraft (3 761 MW) aus; die installierte Leistung aller Elektrizitätswerke betrug 1993 10 598 MW; die Versorgungsunternehmen beliefern über 8 Mio. Kunden; 1993 waren 43 640, d.h. fast alle, Dörfer angeschlossen. Die Erzeugung betrug 1991-92 38 Mrd. kWh, etwa 350 kWh pro Kopf der Bev. Der Energiebedarf in Höhe von insgesamt (1990) 1 281 Terajoule (1 TJ = 1015 Joules) hat sich innerhalb des letzten Jahrzehntes verdoppelt; zu seiner Deckung trugen Kohle mit 6,2%, Mineralöl mit 33,6%, Erdgas mit 33,3%, Elektrizität (Wasserkraft) mit 4,8% und traditionelle Energieträger (Holz, Dung, Stroh, Gestrüpp) mit 22,1% bei, rund 3/4 wurden aus inländ. Quellen gedeckt (UN Energy Statistics 1990:135). Pipelines und Fernleitungen (bis 500 KV) erlauben einen nationalen Energieverbund, der einen Ausgleich der saisonal stark schwankenden Wasserkraft und der endlichen fossilen Brennstoffe erlaubt. Die traditionellen - und durchaus kommerziellen - Energieträger dienen vor allem zum Heizen und Kochen; ihr Einsatz wirft erhebliche ökologische (Abholzen der letzten Waldbestände, Erosion, Überschwemmungen), wirtschaftliche (Verbrennen von Dung statt Einsatz als Dünger) und soziale (Preise) Probleme auf. Die Energiefrage nimmt damit eine zentrale Stellung in der pak. Entwicklungspolitik ein. Es ist in dieser Situation nicht verwunderlich, daß P. große Hoffnungen auf die Kernenergie setzt. Der Reaktor in Karachi (125 MW) wird inzwischen mit pak. Brennstoff gefahren, so daß P. bei Kernbrennstoff zum Selbstversorger wurde. Bei Chasma am Indus soll ein 300-MW-Reaktor entstehen. Ursprünglich war er als Anreicherungsanlage mit frz. Hilfe geplant, dies scheiterte aber am amerik. Einspruch (Symington Amendment) - jetzt hat China Hilfe für das Projekt zugesagt.

Der internationale Verkehr wird wegen der isolierten Lage P.s fast nur per Luft (Personen) und See (Fracht) abgewickelt. Der sich Anfang der 70er Jahre zügig entwickelnde Überlandverkehr nach SW-Asien und Europa kam durch die Revolution im Iran und den sowjet. Einmarsch in Afghanistan zum Erliegen. Der Verkehr mit Indien ist auf den einzigen Grenzübergang bei Lahore (Wagah) angewiesen und gering. Das Eisenbahnnetz folgt im wesentlichen dem Lauf der Flüsse mit einer Querspange im Norden nach Peshawar und der Linie vom Industal nach Quetta und an die iran. Grenze. Außer der Hauptstrecke Karachi-Khanewal (bei Multan) handelt es sich meist um einspurige Breitspur. Dazu kommen im Westen die aus strategischen Gründen gebauten (jetzt z.T. stillgelegten) Schmalspurstrecken und das Meterspurnetz im südöstl. Sind, zusammen (1991) 8 775 Strecken-km. Nur ein Anschluß nach Indien ist offen, im Westen endet die Bahn an den Grenzen. Die pak. Verkehrspolitik hat vor allem auf die Straße gesetzt; das Netz (1992: 91 985 km high type, 87 767 km low type) ist auf den Hauptstrecken relativ gut ausgebaut, Lkw.s und Busse fahren auch auf den Fernstrecken. Das Straßennetz folgt den Eisenbahnen als Parallelnetz (früher wurden die gleichen Brücken benutzt). Die Verkehrsbedienung auf den Nebenstrecken und im Nahverkehr ist noch unzureichend, viele Dörfer haben keinerlei Straßenanschluß. Im deutlichen Gegensatz dazu steht das gut ausgebaute Binnenflugnetz. Die nationale Fluggesellschaft PIA gilt als eine der bestfunktionierenden Einrichtungen des Landes, auf den Fernrouten ist sie wegen der großen Zahl der Gastarbeiter im Ausland eine der größten Gesellschaften in Asien. Das Flugzeug ist im Binnenverkehr wegen der z.T. großen Entfernungen gegenüber der vernachlässigten Eisenbahn attraktiv. Im Zuge der Privatisierung konnten zwei private Gesellschaften den Dienst im Inlandsverkehr aufnehmen.

 
2. Historische Entwicklung

Ursprünglich war das heutige P. nur aus strategischen Gründen zur Sicherung der Nordwestgrenze Britisch-Indiens in der Mitte des 19.Jh.s erobert worden. Schon bald aber wurde das große landw. Potential erkannt und genutzt. Im Zuge der Lieferschwierigkeiten der USA während des Sezessionskrieges (1861-65) und vor allem nach der Eröffnung des Suezkanals (1869) konnte sich der Baumwollanbau im Punjab und Sind entwickeln. Bis zur Unabhängigkeit bildete das heutige P. die Rohstoffbasis für die verarbeitende (Textil-)Industrie, die an Indien fiel. Mit der Unabhängigkeit P.s am 14. Aug. 1947 entstand ein heterogenes Staatsgebilde, dem vor allem die territoriale Einheit fehlte. Die beiden Landesteile, im NW (das heutige P.) und NO (heute Bangladesh) des ind. Subkontinents gelegen, waren durch mehr als 1 500 km ind. Staatsgebietes getrennt. Wie in den meisten EL waren die Grenzlinien des neuen Dominions von der ehem. Kolonialmacht festgelegt worden. Ein historisches Vorbild, das nur im entferntesten die Gestalt P.s gehabt hätte, hat niemals existiert. Das einzige Kriterium für die Zugehörigkeit zu einem der beiden Nachfolgestaaten des britischen raj (= Herrschaft) bildete die Religionszugehörigkeit: jedoch nur insoweit, als an P. die meisten der mehrheitlich muslimischen Gebiete fielen; daneben lebten hier auch Millionen von Hindus und Sikhs, ebenso wie die an die Indische Union fallenden Gebiete mehrere 10 Mio. von Muslimen beherbergten. Die beiden pak. Landesteile schienen einander auch durch die Geschichte der muslimischen Herrschaft in Indien und den gemeinsamen Kampf für ein von Indien unabhängiges P. (Pakistan Resolution, Lahore 1940) verbunden. Die Aufnahme von über 7 Mio. Muslim-Flüchtlingen aus Indien und die gleichzeitige Vertreibung von etwa ebenso vielen Hindus und Sikhs, der erste Krieg um Kashmir (1947/48) und der Aufbau eines eigenen staatlichen Überbaus, der in P. im Gegensatz zu Indien erst geschaffen werden mußte, stellten den Staat in den ersten Jahren vor ernste Belastungsproben. Dazu kamen von Anfang an Auseinandersetzungen um ein Gleichgewicht zwischen dem bevölkerungsreicheren OP und dem flächenmäßig größeren WP, wo die knappe Mehrheit der Muslime P.s wohnte. Über 90% der Flüchtlinge, die nach P. hineinströmten, kamen aus Nord- und Westindien und zogen nach WP, wo sie seitdem einen führenden Platz in Wirtschaft, Verwaltung, Politik und Kultur einnehmen. Sie waren naturgemäß an einer Verwirklichung P.s als Heimatland der Muslime Indiens stärker interessiert als an einem lockeren Verbund mehrheitlich muslimischer Gebiete und waren deshalb auch die eifrigsten Verfechter Urdus als einziger Nationalsprache.

Die Auseinandersetzungen zwischen OP und WP entzündeten sich an drei kritischen Fragen: 1 . der Berücksichtigung des Bengali als Nationalsprache, 2. der Beteiligung der Bengalen an den politischen Entscheidungsprozessen und ihre Beschäftigung im öffentlichen Dienst und 3. der angemessenen Berücksichtigung OPs bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes. In allen drei Fragen warfen die Bengalis den Westpakistanis vor, sie zu unterdrücken bzw. zu vernachlässigen und auszubeuten. Die Vorwürfe führten zu der wachsenden Autonomiebestrebung in OP in den 60er Jahren und begründeten die Sezession von 1971.

In der brit.-ind. Verwaltung waren die Muslime stets unterrepräsentiert, da die Briten in den Hindus ihre natürlichen Verbündeten gegen die bis dahin vor allem in Nordindien herrschenden Muslime sahen; zudem wurden die muslimischen Gebiete im NW Indiens erst Mitte des 19.Jh.s erobert (Annexion Sinds 1843, Punjabs 1849). Spätestens seit dem Aufstand von 1857 (Sepoy-Aufstand oder mutiny) galten die Muslime als politisch unzuverlässig, nur wenige gelangten in Regierungsämter. Dadurch, daß WP in den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit im Gegensatz zu OP keine verwaltungsmäßige Einheit bildete, war es möglich, eine Repräsentation WPs in der - politisch allerdings weitgehend bedeutungslosen - Legislative über seinen Bevölkerungsanteil hinaus, der nur etwa 45% betrug, zu sichern. Die verfassunggebende Versammlung bestand nur anfangs mehrheitlich aus Bengalen. In dem politisch maßgeblichen Council der Muslim League bildeten die Bengalen nach einer Satzungsänderung 1948 nur noch die Minderheit. Die Verfassungen von 1956 und 1962 sahen jeweils gleich viele Mandate für die beiden Landesteile vor. Erst 1970 wurde ein Parlament in allgemeiner und direkter Wahl gewählt und eine Mandatsverteilung nach den Anteilen an der Gesamtbevölkerung vorgenommen: 162 Sitze für OP und 138 für WP Die Tatsache, daß die auf eine weitgehende Autonomie OPs abzielende Awami (= Volks) League von Sheikh Mujibur Rahman nicht nur fast alle Sitze in OP, sondern auch die Mehrheit aller Sitze (160 von 300, zuzügl. 13 Frauenmandate) der Nationalversammlung gewann, führte zur Konfrontation und am 25. März 1971 zum Einsatz des fast völlig von WP (Punjabis) beherrschten Militärs in OP, dem anschließenden Bürgerkrieg, dem Eingreifen Indiens und der Kapitulation der pak. Truppen in OP sowie dem Verlust des östl. Landesteils (siehe Bangladesh).

Als besonders unerträglich wurde in OP die wirtschaftliche Disparität zwischen den beiden Landesteilen empfunden, die bereits bei Gründung des Staates bestand und sich im Laufe der 24jährigen Zusammengehörigkeit der beiden Landesteile sowohl absolut als auch relativ vergrößerte. Dies gilt sowohl für die Produktion als auch den Konsum pro Kopf. Da in OP das wichtigste Exportprodukt des Landes, nämlich Jute, angebaut wurde, hinter der der Export von Rohbaumwolle und Baumwolltextilien aus WP deutlich zurückstand, erwirtschaftete OP bis in die 60er Jahre hinein die Mehrheit der Devisen, die aber ebenso wie der größte Teil der Entwicklungshilfe überwiegend in WP für den Aufbau der Industrie eingesetzt wurden. Da OP zugleich einen wichtigen Absatzmarkt für die durch Zölle, Einfuhrkontingente und multiple Wechselkurse (im Rahmen des Systems des export bonus und der bonus voucher) geschützten westpak. Industrie darstellte, trug es direkt und indirekt durch die Devisenerlöse seiner Jute- und Jutewarenexporte entscheidend zur wirtschaftlichen Entwicklung WPs bei, so daß sich OP zu Recht ausgebeutet fühlte. Die insbesondere von den westpak. Ökonomen und ausländischen Experten vertretene Strategie eines ungleichgewichtigen Wachstums, bei der in einer ersten Phase die Region mit den günstigeren Entwicklungschancen (wie auch immer definiert) zu entwickeln sei, bevor man in einer zweiten Phase daran gehen könne, auch die bis dahin vernachlässigte Region zu entwickeln, stieß natürlich bei den ostpak. Ökonomen auf Ablehnung, v. a. als sich abzeichnete, daß die politische Bereitschaft, nach dem stürmischen industriellen Aufschwung in WP den zweiten Schritt einzuleiten, fehlte.

Obwohl dies nach den Rückschlägen der pak. Entwicklungspolitik nach 1965 verständlich war (Krieg mit Indien, Verweigerung neuer Entwicklungshilfe und Beginn der Rückzahlungen für die ersten Kredite), mußte sich in OP der Eindruck durchsetzen, daß der östliche Landesteil nun, da die westpak. Exporte dank einer leistungsfähigen Textilindustrie diejenigen von Jute und Jutewaren übertrafen und sich auch günstige Exportchancen für westpak. Reis boten, der zur Deckung des Nahrungsdefizits nach OP geliefert wurde, zum lästigen Kostgänger WPs werden würde und eine nachhaltige Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung OPs trotz hoher Planansätze im 3. und 4. Fünfjahresplan (1965-70 bzw. 1970-75) nicht zu erwarten sei.

Durch den India Independence Act 1947 stand es den bis dahin der brit. Krone direkt unterstellten Fürstenstaaten frei, ob sie einem der beiden neuen Dominions beitreten oder ob sie ihren quasi unabhängigen Status beibehalten wollten. In der Praxis bestanden solche Wahlmöglichkeiten jedoch nur für die wenigen Staaten im Grenzgebiet von Indien und Pakistan und entlang der Außengrenzen. Während der Beitritt Bahawalpurs und Khairpurs, die von Muslim-Fürsten regiert wurden und eine muslimische Bev. hatten, nie in Frage stand, mußte die pak. Regierung fürchten, daß sich die Staaten und Stammesgebiete in Baluchistan und der NWFP nicht ohne weiteres dem neuen islamischen Staat anschließen würden. Dabei wurde es keineswegs als Nachteil empfunden, daß es sich hier um ausgesprochen rückständige und wirtschaftlich wenig entwickelte Gebiete handelte. Vielmehr standen politische und militär-strategische Überlegungen im Vordergrund sowie der Anspruch P.s, Heimat für die Muslimen Indiens zu sein, und die historisch verständliche Furcht vor Annexionsplänen Afghanistans. Ging es in der internen Ost-West-Auseinandersetzung um die Forderung eines unbestritten zum Staatsverband gehörenden Landesteils nach kultureller und politischer Gleichberechtigung, so stand in WP die Herstellung der staatlichen Einheit selbst im Vordergrund, da hier die zwischen Indien und P. strittigen Gebiete in Kashmir sowie die Staaten Junnagadh und Manavadar lagen. Das Fürstentum Hyderabad (Dekhan) wurde zwar von einem Muslim-Fürsten regiert, hatte aber eine mehrheitliche Hindu-Bev. und war völlig von ind. Gebiet umgeben, so daß die (gewaltsame) Annexion durch Indien nur eine Frage der Zeit war; ähnlich war die Situation in Junnagadh und Manavadar. In Kashmir herrschte im Gegensatz dazu eine Hindu-Dynastie (Dogras) über eine mehrheitlich muslimische Bev. Gleichzeitig erhob Afghanistan Ansprüche auf die NWFP und Baluchistan. Im Süden Baluchistans versuchte der Khan von Kalat, mit einer hinhaltenden Taktik seine staatliche Eigenständigkeit zu erhalten, für die wegen des Zugangs zur Küste und der gemeinsamen Grenze zum Iran (sowie der freiheitlich-kriegerischen Einstellung der Bev.) eine bessere Chance bestand als bei reinen Binnenstaaten. Seine Ansprüche erstreckten sich auch auf die Khanate Kharan, Makran, Las Bela sowie die den Briten abgetretenen (leased) Gebiete, durch die die strategisch wichtigen Eisenbahnlinien zur und entlang der afghanischen Grenze verliefen. Unumstritten war deshalb nur die Zugehörigkeit von Punjab und Sind. Die Jahre bis 1955 sind von den Anstrengungen der pak. Regierung gekennzeichnet, die staatliche Einheit WPs herzustellen.

Im Falle Kashmirs gelang dies bekanntlich nicht. Es ist bis heute nicht geklärt, ob der Maharaja von Jammu und Kashmir tatsächlich die Unabhängigkeit anstrebte oder sogar einen Beitritt zu P. erwog. Tatsächlich erklärte er am 26. Okt. 1947 seinen Beitritt zu Indien, nachdem am 22. Okt. pak. Freischärler aus den Stammesgebieten eingefallen waren und am 24. Okt. AJK als unabhängiger Muslim-Staat ausgerufen worden war. Bis zum Ende 1948 wurde in Kashmir gekämpft, wobei es auf pak. Seite gelang, die NA der Gilgit-Agentur und Baltistan zu halten, während das Kashmir-Tal mit einer ganz überwiegend muslimischen Bevölkerung, ebenso wie Jammu mit einer hinduistischen und Ladakh mit einer buddhistischen Bevölkerung, unter ind. Kontrolle blieb (und inzwischen einen ind. Unionsstaat bildet). Nur ein schmaler Streifen entlang der Grenze zum Punjab und zur NWFP (Distrikte Muzaffarabad, Poonch, Mirpur) bildet seitdem das autonome AJK, das eine eigene Regierung hat und offiziell nicht zu P. zählt, praktisch aber von der pak. Regierung und Armee kontrolliert wird. Die UN waren wiederholt mit dem Konflikt befaßt; die vom Sicherheitsrat eingesetzte United Nations Commission for India and Pakistan (UNCIP) erarbeitete einen Vermittlungsvorschlag (Resolution vom 13. Aug. 1948 und Basic Principles for a Plebiscite vom 11. Dez. 1948), der von Indien und Pakistan schließlich angenommen wurde; die Kampfhandlungen wurden eingestellt (Waffenstillstandslinie vom 1. Jan. 1949), zu einer Volksabstimmung kam es aber bis heute nicht (Geiger 1970).

Der Krieg in Kashmir, die Eingliederung der Flüchtlinge und der Ersatz der vertriebenen Hindus und Sikhs, der Streit um das Indus-Wasser, der Aufbau einer Verwaltung, die Errichtung der Infrastruktur, die Industrialisierung und die Eingliederung der Fürstenstaaten ließen der pak. Regierung weder politischen noch wirtschaftlichen Spielraum. Die Pakistan-Bewegung vor der Unabhängigkeit hatte auch keine verwertbaren Konzepte für die Entwicklung des Muslim-Staates erbracht. Um so mehr traf den jungen Staat der Verlust seiner Führer der ersten Stunde, des General-Gouverneurs Quaid-i-Azam (großer Führer) Mohammed Ali Jinnah (gestorben 1948) und des ersten Ministerpräsidenten Liaqat Ali Khan (ermordet 1951). Die innenpolitische Situation der 50er Jahre war instabil und unübersichtlich, die wirtschaftliche Lage nach Ende des Korea-Krieges (1950-53) desolat. Der wirtschaftliche Aufschwung der ersten Jahre wich der Stagnation.

Die politische Diskussion war von dem sich immer deutlicher abzeichnenden Konflikt zwischen OP und WP gekennzeichnet, während gleichzeitig die Tendenz zu einer stärkeren Zentralmacht in WP zunahm. Noch vor der ersten Verfassung (1956) verkündete General-Gouverneur Iskander Mirza 1955 den Zusammenschluß aller Gebiete WPs zu einer Einheitsprovinz (One Unit). Gleichzeitig wurden die Fürstenstaaten mit Ausnahme von Chitral, Dir, Swat, Nagar und Hunza aufgelöst und der allgem. Verwaltung unterstellt. Die von General (später Präsident) Mohammad Ayub Khan (1958-69) angestrebte mittelbare Demokratie mit seinen Basic Democracies und der Wahl von Wahlmännern zu den Union Councils ermöglichte keine Artikulation politischer Bedürfnisse. In den ehem. Provinzen entstanden autonomistische Bewegungen wie die "Rothemden", Vror Pakhtun und Frontier Awami League. Erst als die politischen Konsequenzen der ständigen Vernachlässigung OPs sichtbar wurden, erkannte man die Bedeutung regionaler Fragen. Schon bald nach dem Sturz Ayub Khans wurde deshalb die One Unit aufgelöst; die vier Provinzen, die heute P. bilden (s. o.), wurden (wieder) errichtet und die letzten Fürstenstaaten (außer NA) eingegliedert; ein Teil der Stammesgebiete behielt seine verfassungsmäßige Sonderstellung bei. Durch die Umwandlung P.s in einen Bundesstaat durch die Interimsverfassung 1972 und die neue Verfassung 1973 wurde die Bedeutung der regionalen Frage anerkannt: Die Provinzen haben eigene gewählte Parlamente und Regierungen. Sie unterhalten eigene Planungs- und statistische Ämter; in jeder Provinz gibt es mindestens eine Universität und ein höheres Gericht (High Court).

Die Föderalisierung wurde aber kaum wirksam. Bereits Ministerpräsident (zeitweise auch Präsident) Zulfikar Ali Bhutto (1971-77) setzte die Oppositionsregierungen in Baluchistan und der NWFP ab und Anhänger seiner Pakistan People's Party (PPP) ein. Unter der Militärherrschaft von General (später Präsident) und Oberstem-Kriegsrecht-Administrator Zia-ul Haq (1977-88) wurde P. streng zentral kontrolliert. Mit der besonderen Vollmacht des 8. Verfassungszusatzes (8th amendment) setzte er die Regierung Junejo (1985-88) ab und löste das Parlament auf. Kurz darauf starb er am 17. Aug. 1988 unter noch nicht geklärten Umständen bei einem Flugzeugabsturz, zusammen mit einigen der höchsten Generäle und dem amerikanischen Botschafter. Sein Nachfolger wurde verfassungsgemäß der Präsident des Senates, Ghulam Ishaq Khan (1988-93). Aus den Parlamentswahlen gingen Benazir Bhutto (1988-90) und ihre PPP als Sieger hervor. Sie halfen ihrerseits, Ishaq Khan als Präsident zu bestätigen. Das hinderte diesen aber nicht, die Regierung 1990 nach demselben Verfassungszusatz zu entlassen. Sie verlor die darauf folgende Wahl gegen den Führer der Islamischen Allianz, den Punjabi-Unternehmer Nawaz Sharif (1990-93). Am 18. April 1993 entließ Ishaq Khan auch diese Regierung und löste das Parlament auf. Diese Maßnahmen wurden aber schon wenige Wochen später durch Entscheidung des Verfassungsgerichts rückgängig gemacht. Im Verbund mit dem Militär konnte Benazir Bhutto schließlich im Juli erreichen, daß Präsident Ishaq Khan und Premierminister Nawaz Sharif zurücktraten und Wahlen für Oktober 1993 angesetzt wurden, in der die PPP die meisten Mandate erringen konnte. Benazir Bhutto löste als Führerin einer Koalitionsregierung den Übergangs-Premierminister Moeen Qureshi ab. Am 13. Nov. 1993 wurde Sardar Farooq Ahmad Khan Leghari zum Präsidenten gewählt.

Seit der Unabhängigkeit sah sich die politische Führung nach Schutzmächten und Alliierten im Ausland um, die sie, nachdem sich erste Hoffnungen auf die unabhängigen islamischen Staaten nicht erfüllten, nacheinander in den USA (PL 480), China (Karakorum Highway), Iran und Saudi-Arabien fand: Die Unterzeichnung eines Abkommens über gegenseitige Verteidigung mit den USA 1954 führte zu Pakistans Mitgliedschaft im Baghdad-Pakt und in der South East Asia Treaty Organisation (SEATO). Aus dem Baghdad-Pakt entstand die Central Treaty Organization (CENTO) und (seit 1964) die Regional Cooperation for Development (RCD) mit der Türkei und dem Iran als zivilem Gegenstück. Die Verbündeten verfolgten aber bei ihren Allianzen mit Pakistan ganz andere Ziele. Spätestens seit 1965 ist der politischen wie militärischen Führung Pakistans klar, wie wenig verläßlich ihre Verbündeten bei einem Krieg mit Indien sind; 1972 schied Pakistan aus der SEATO aus, die CENTO wurde aufgelöst. Die RCD entwickelte wenig Leben und wurde nach dem Sturz des Shah im Iran inaktiv; an ihre Stelle trat die Economic Cooperation Organisation (ECO), an die große Hoffnungen geknüpft werden, nachdem ihr Afghanistan, Aserbeidjan, Kasachstan, Kirgisien, Tadjikistan, Turkmenistan und Usbekistan beitraten. Die South Asian Association for Regional Development (SAARC) bietet wiederum ein neutrales Forum für sondierende Gespräche mit Indien, Bangladesh, Sri Lanka, Nepal, Bhutan und den Malediven.
 

3. Bevölkerung

P. hatte Mitte 1993 ohne AJK und die NA etwa 123 Mio. E. Die Volkszählung 1992 war abgebrochen worden, nachdem es vor allem im Sind zu systematischen Überzählungen gekommen war (Akhtar 1991:6). Die verfeindeten Volksgruppen der Urdu- und Sindhisprecher hatten versucht, auf diesem Wege Einfluß auf die Verteilung der Parlamentssitze und der öffentlichen Mittel zu nehmen. Die Volkszählung im März 1981 hatte (revidiert) 84,25 Mio. E. ergeben, 28,3% mehr als bei der Zählung 1972. Das Wachstum der Bev. von jährl. rund 3% ist damit immer noch sehr hoch; die Geburten- und Sterberate mit 4,1% und 1,1% ebenfalls. Die höchsten Zuwächse wurden in Baluchistan und Sind gemessen, jedoch ohne große Auswirkungen auf die regionale Bevölkerungsverteilung: 56,2% leben im Punjab, 22,6% im Sind, 13,0% in der NWFP, 5,0% in Baluchistan, 2,6% in den zentralverw. Stammesgebieten und 0,4% in Islamabad. Die Siedlungsdichte hat 1972-81 überall, außer in den Stammesgebieten zugenommen: Punjab 229 E./km2 (1972: 183), NWFP 146 (113), Sind 134 (100), Baluchistan 12 (7), Stammesgebiete 80 (92), Islamabad 369 (259); P. insgesamt 105 (82); zu Beginn der 90er Jahre dürfte die Bevölkerungsdichte überall deutlich höher sein, in Pakistan insgesamt etwa (1993) 150 E./km2. Die Alterspyramide zeigt eine breite, sich rasch verjüngende Basis, 45% waren 1981 unter 15 Jahren alt. Der Männerüberschuß (1981: 110 Männern zu 100 Frauen) ist rückläufig (1972: 114); er deutet auf die hohe Müttersterblichkeit, den allgemein schlechten Gesundheitszustand und die unzureichende Gesundheitsversorgung der Frauen sowie die traditionelle Unterzählung der weibl. Bev. in islamischen Ländern. Die Bev. hat sich seit der Unabhängigkeit vervierfacht, sie ist fast achtmal so groß wie zu Beginn des Jahrhunderts (Tab. 1). Das exakte Ausmaß ist ebensowenig einwandfrei zu ermitteln wie die Frage zu beantworten, ob das Wachstum der Bev. bereits abnimmt. Alle Volkszählungen sind mit großen Unsicherheiten behaftet: Die Zählung 1951 fand unmittelbar nach den Flüchtlingsströmen als Folge der Teilung Indiens statt. Für 1961 wird allgemein mit einer erheblichen Unterzählung gerechnet; für 1981 wird sie vor allem für die städtische Bev. befürchtet. Statt der gezählten 5,1 Mio. E. in Karachi sollten dort nach Angaben der Stadtverwaltung 6 bis 7 Mio. E. leben. Langfristige Vorausschätzungen sind deshalb weitgehend Spekulation. Kurzfristig muß mit einem weiteren starken Wachstum gerechnet werden, da die Bev., die in den nächsten zwei Jahrzehnten in das reproduktionsfähige Alter eintritt, bereits geboren und wesentlich zahlreicher als die vorhergehende Generation ist. Im Jahr 2000 dürfte P. 150 Mio. E. zählen.
 
 
Tabelle 1: Fläche und Bevölkerunga 
 
1951b 1972 1981 1991
Fläche (in qkm)
      803.508
796.095 796.095 796.095
Bev. in Tsd.  33.779 65.309 84.253 113.780
davon (in %) 
unter 10 J. 
10 J. - unter 60 J. 
60 J . und älter 
 
26,9
67,4
5,7
 
31,5
61,5
7,0
 
31,4
61,7
6,9
 


-
jährl. Zunahmec (in %)  1,0
3,6
3,1
3,1
E. je qkm 42
82
106
142
Anteil d. städt. Bev. (in %) 17,8
25,5
28,3
.
a 0riginalangaben der Volkszählungen (später häufig revidiert); b ohne Stammesgebiete; c durchschnittl. jährl. Zunahme seit der letzten Volkszählung. 
Quellen: Census of Pakistan 1951, 1972 und 1981; Economic Survey 1990-91. 
 
 
Wie in den meisten EL ist die Mortalität in den ersten Lebensjahren sehr hoch (105 von 1000 Säuglingen sterben im ersten Lebensjahr), die Lebenserwartung liegt bei 59 Jahren bei männlichen und 61 Jahren bei weiblichen Neugeborenen. Die seit den 50er Jahren betriebene Familienplanung zeigt langsam erste Erfolge. Die Fertilität (Geburten im Leben einer Frau) ist mit 6,2 noch außerordentlich hoch (Economic Survey 1992-93; Akhtar 1991:322).
 
 
Tabelle 2: Sprachenverteilung 1981 (in % der Bev.)
Sprache Islamabad Baluchistan NWFP Punjab Sind Pakistan
Urdu 11 1 1 4 23 8
Punjabi 82 2 1 79 8 48
Pashtu 4 25 68 1 3 13
Sindhi 0 8 0 0 52 12
Baluchi 0 36 0 1 5 3
Brahui 0 21 0 0 1 1
Hindko 1 0 18 0 0 2
Siraiki 0 3 4 15 2 10
Andere 2 3 8 1 6 3
Quelle: Pakistan Statistical Yearbook 1991 : 66.
 

Ethnisch und linguistisch teilt sich P. nur bedingt in seine vier Provinzen. Wie Tab. 2 zeigt, ist nur der Punjab linguistisch homogen, alle anderen Provinzen haben große Minderheitengruppen, insbesondere Baluchistan, in dessen Norden Pashtu gesprochen wird. Die sog. Regionalsprachen Punjabi, Sindhi, Pashtu und Baluchi gehen fließend ineinander über. Es gibt viele mehrsprachige Gebiete. Entlang der Binnengrenzen ist die Zurechnung der Dialekte schwierig, im Norden (Kohwar, Burushaski, Shina, Kashmiri) und Südosten (Gujarati) werden weitere Sprachen gesprochen. Von den Regionalsprachen sind nur Sindhi und Pashtu in der Schriftform verbreitet. Urdu, dessen Einführung als Nationalsprache in der Verfassung vorgesehen ist und dessen Durchsetzung immer wieder zu Spannungen (vor der Teilung P.s in OP, später im Sind) beigetragen hat, wird nur von einer Minderheit als Muttersprache gesprochen, jedoch von einem Großteil wenigstens verstanden. Nur in Karachi wird mehrheitlich Urdu gesprochen. Die Urdu-Sprecher sind meist Flüchtlinge aus den ehem. United Provinces (Uttar Pradesh) oder deren Nachkommen; viele sind in der Verwaltung tätig. Da eine allgemein verstandene Sprache noch fehlt, besteht das Englische noch immer als Amts-, Geschäfts- und höhere Unterrichtssprache, obwohl es nur wenige beherrschen. Trotzdem spielt sich praktisch der gesamte Geschäftsverkehr sowie die Gesetzgebung und die Hochschulausbildung in dieser Sprache ab. Eine wichtige Rolle spielen auch noch das Arabische und das Persische als Religions- und klassische Bildungssprachen.
 
 
Tabelle 3: Religionszugehörigkeit (in %)
1951 1961 1972 1981
Muslime 97,1 97,1 96,8 96,7
Hindus 1,6 1,5 1,4 1,5
Christen 1,3 1,4 1,5 1,6
Sonstige 0 0 0,3 0,2
Quellen: Census of Pakistan 1951, 1961, 1972; Pakistan Statistical Yearbook 1991 : 62.
 

Fast alle Pakistani sind Muslime, überwiegend sunnitischen Bekenntnisses. Der Anteil der Shiiten wird auf 15-25% geschätzt. Vor allem in der NWFP, den Nordgebieten und Karachi gibt es viele Ismaeliten. Der Islam ist Staatsreligion (Tab. 3). Von der einstigen Hindubev. ist nur noch ein Bruchteil geblieben, vor allem im Sind; mehr als die Hälfte gehören den unteren (scheduled) Kasten an. Die etwa gleichvielen Christen beider Konfessionen sind meist konvertierte "Unberührbare", die die niedrigsten Arbeiten (sweeper) verrichten. In Karachi gibt es eine kleine, wirtschaftlich aber sehr erfolgreiche Gemeinde von Parsen. Sie unterhalten - wie die muslimischen Kaufmannskasten der Memons, Khojas, Bhoras etc., aber auch die Ismaeliten und Christen - mustergültige Sozialeinrichtungen (Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Altersheime).

Der Anteil der städt. Bev. beträgt fast ein Drittel. P. ist das am stärksten urbanisierte Land Südasiens. Neben Karachi zählten 1981 Lahore und Faisalabad (früher: Lyallpur) zu den Millionenstädten; es gab 29 Städte mit über 100 000 E. Neben der virulenten Landflucht und kleinräumigen Bevölkerungskontraktionen ist P. von großräumigen Wanderungen gekennzeichnet. Nachdem die Flüchtlingsströme aus Indien völlig aufgehört haben und auch die sekundäre Wanderung in die von der Grenze weiter entlegenen Gebiete abgeschlossen ist, zielt die Hauptrichtung der Abwanderung aus den Regenfeldbaugebieten des Nordens in die Kanalbewässerungsgebiete des Indus-Tals, Karachi und die Golfstaaten, wo heute 1-1,5 Mio. Pakistani tätig sind.
 
 
Tabelle 4: Beschäftigung 
 
1963-64 1969-70 1979-80 1992-93
Bev. (in Mio.) 50,31 59,40 81,36 120,84
Erwerbsbev. (in Mio.) 16,40 18,11 25,07 33,80
Erwerbstätige (in Mio.) 16,24 17,75 24,15 31,68
Erwerbslose (in Mio.) 0,16 0,36 0,92 2,12
Erwerbsquote (in %) 32,6 30,3 30,8 28,0
Erwerbslosenquote (in %) 1,0 2,0 3,7 6,3
Erwerbstätigkeit nach Wirtschaftsbereichen (in %)
Landwirtschaft 60,5 57,0 52,7 47,4
Industrie und Bergbau 13,6 15,6 14,4 12,4
Baugewerbe 1,4 3,9 4,9 6,6
Energie, Wasser 0,4 0,4 0,8 0,8
Transport u. Verkehr 2,0 4,7 4,7 5,2
Handel 7,6 9,9 11,3 13,3
Sonstige Dienstleistungen 14,5 8,4 11,2 14,3
Quelle: Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:24f.
 

26% der Bev. sind nach offiziellen Angaben erwerbstätig, und zwar zu mehr als der Hälfte in der Landwirtschaft und zu einem Achtel im warenproduzierenden Gewerbe. Etwa ein Drittel arbeitet im Dienstleistungsbereich, mit zunehmender Tendenz. Der Anteil der weiblichen Erwerbsbev. ist gering, auf dem Lande wie in der Stadt. 1981 waren nur 3,5% der Erwerbstätigen weiblich. Hier liegt, unabhängig von der Abgrenzung, das größte ungenutzte Arbeitskräftepotential (Tab. 4).
 

4. Wirtschaft

P.s Wirtschaft ist weitgehend privatwirtschaftlich, großenteils vor-industriell und halb-feudalistisch geordnet, jedoch mit partiell ausgeprägten dirigistischen Eingriffen des Staates (mixed economy), die - wechselnd mit den Regierungen - unterschiedlichen Gruppen (in der Sequenz Flüchtlinge und Händler, Industrieunternehmer, Industriearbeiter, Großbauern, Bürokratie, städtische Bev., islam. Klerus und Militär) zugute kommen. In den Jahren nach 1947 dominierte (wie jetzt wieder) die Diskussion um die Einführung einer "islamischen" Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Statt ihrer wurde in der ersten Verfassung 1956 die praktizierte liberale Ordnung festgeschrieben. Es erfolgte eine tiefgreifende Umstrukturierung der Wirtschaft: Die Flüchtlinge waren einzugliedern, die Vertriebenen zu ersetzen und die Infrastruktur zu erstellen. Befreit von der indischen Konkurrenz entstand eine einfache Industrie zur Verarbeitung der landw. Produkte für den Export und den inländ. Konsum.

Nach der weltweiten Rohstoffhausse (Baumwolle, Jute) zu Beginn der 50er Jahre stagnierte die Wirtschaft. Das Instrument der Wirtschaftsplanung (Colombo-Plan 1951-57, 1. Fünfjahresplan 1955-60) kam erst nach der Machtübernahme durch das Militär unter Ayub Khan (1958-69) zur Wirkung. Die früheren Pläne hatten mehr den Charakter von Bestandsaufnahmen bzw. eines Katalogs von Einzelmaßnahmen. Im 2. Fünfjahresplan (1960-65) trat der Staat über eine Reihe von halbstaatlichen Gesellschaften (autonomous bodies) als Unternehmer in solchen Industrien auf, die erst im Anfangsstadium standen. Wurden die Betriebe profitabel, wurden sie an private Unternehmer abgegeben. Diese neue Phase der Industrialisierung durch Ausnutzung der Chancen der Importsubstitution und einer exportorientierten Verarbeitungsindustrie auf der Basis landw. Rohprodukte mit geringer Verarbeitungstiefe endete, als Pakistan 1965 mit Indien Krieg führte. Die Auslandshilfe, die maßgeblich die Industrialisierung finanziert hatte, wurde von den westlichen Gebern stark zurückgeschnitten, gleichzeitig mußten die ersten Kredite zurückgezahlt werden. Von diesem Schlag hat sich die pak. Industrie bis heute kaum erholt, der Anteil des warenproduzierenden Gewerbes stagniert seitdem bei (1992-93) 13% (large scale) des BIP, selbst unter Einschluß der Heim- und Kleinindustrie übersteigt er kaum 18%. Die Einführung leistungsstarker Hochertragssorten in der Landwirtschaft - zusammen mit dem Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln und einem Ausbau des Bewässerungssystems durch Kanal- und Brunnenbau in der zweiten Hälfte der 60er Jahre - sorgte für eine bis dahin kaum für möglich gehaltene Steigerung der Erträge und der Produktion. Die an diese "grüne Revolution" geknüpften Erwartungen konnten aber nicht alle erfüllt werden, da die Produktion in den 70er Jahren nur noch langsam zunahm und sich unerwünschte verteilungspolitische Effekte einstellten, da die neue Technologie, obwohl weitgehend betriebsgrößenneutral (im Gegensatz zur Mechanisierung), für die größeren Betriebe leichter realisierbar war und es zur Vertreibung von Pächtern kam (Khan 1981).

Vom Krieg mit Indien, vom Verlust OPs und von der Verstaatlichung der Wirtschaft (Industrie, Banken, Versicherungen) erholte sich die Wirtschaft erst Mitte der 70er Jahre, insbesondere seit der Machtübernahme durch das Militär unter General Zia-ul Hag im Juli 1977 und der seitdem betriebenen Reprivatisierung. Das Sozialprodukt konnte in den vier Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit real auf mehr als das Siebenfache gesteigert werden, pro Kopf auf das Doppelte (Tab. 5).
 
 
Tabelle 5: Wirtschaftliches Wachstum
Wirtschaftsbereich 1950-60a 1960-70a 1970-80a 1982-93b
Landwirtschaft 1,6 5,0 2,3 3,9
Bergbau 10,0 8,4 4,7 7,9
Warenprod. Gewerbe 7,7 9,9 4,2 7,1
Großbetriebe 15,4 13,3 3,1 6,6
Kleinbetriebe 2,3 2,9 7,3 8,4
Baugewerbe 9,1 12,3 6,9 5,0
Energiewirtschaft 12,4 22,1 9,1 10,8
Verkehrs- u. Nachrichtenwesen 4,4 7,9 5,6 6,3
Handel 3,6 7,8 4,5 6,5
Banken, Versicherungen 11,3 13,7 8,5 5,0
Hausbesitz 2,8 2,9 3,6 7,4
Verwaltung, Verteidigung 1,8 7,1 9,3 5,1
sonstige Dienstleistungen 4,0 4,4 5,5 6,5
BIP 3,1 6,8 3,0 6,1
BSP  3,1 6,8 5,1 5,1
BSP pro Kopf 0,6 3,8 2,1 2,0
a BIP bzw. BSP zu konst. Faktorkosten von 1959-60; b 1982-93: konst. Faktorkosten von 1980-81.
Quelle: Pakistan Economic Survey 1980-81; Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:34.
 

In den 70er und 80er Jahren haben sich die Anteile der einzelnen Wirtschaftsbereiche nur noch geringfügig verschoben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Aussagegehalt der pak. Sozialproduktsstatistik durch die Vielzahl der ihr zugrundeliegenden, z.T. sehr pauschalen Annahmen begrenzt ist (v. a. Viehwirtschaft, Kleinindustrie und Hausbesitz). Augenfällig ist der Rückgang der Landwirtschaft auf nur noch 24% des BIP, die relative Stagnation der Industrie und die Zuwächse bei den Dienstleistungen und im Baugewerbe (Tab. 6).
 
 
Tabelle 6: Zusammensetzung des Sozialprodukts (in %)a
Wirtschaftsbereich  1949-50b 1969-70 1979-80 1992-93c
Landwirtschaft 53,2 36,8 30,9 24,4
Ackerbau 34,2 25,6 21,0 15,4
Viehwirtschaft 18,3 10,5 9,2 7,7
Fischerei 0,4 0,5 0,5 1,0
Forstwirtschaft 0,3 0,2 0,2 0,3
Bergbau 0,2 0,5 1,0 0,5
Warenprod. Gewerbe 7,8 16,1 16,4 18,3
Großbetriebe 2,2 12,5 11,5 12,9
Kleinbetriebe 5,5 3,5 4,8 5,3
Baugewerbe 1,4 4,2 5,5 4,2
Energiewirtschaft 0,2 1,5 2,3 3,8
Verkehrs-, Nachrichtenwesen 5,0 6,8 7,3 10,2
Handel 11,9 14,9 14,5 16,4
Banken, Versicherungen 0,4 1,8 2,5 2,2
Hausbesitz 5,1 3,7 3,3 5,4
Öff.Verwaltung, Verteidigung 7,0 6,4 7,9 6,8
sonstige Dienstleistungen 7,7 7,2 8,3 7,8
a BIP zu jew. Faktorkosten; b konst. Faktorkosten von 1959-60; c Faktorkosten von 1980-81.
Quellen: Pakistan Economic Survey 1980-81; Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:35.
 

Durch die Ausweitung der Ernteflächen, d. h. vor allem durch Mehrfachanbau, und die Steigerung der Flächenproduktivität konnte die landw. Erzeugung erheblich gesteigert werden. Im internationalen Vergleich sind die Erträge aber noch immer niedrig und würden bei der gegebenen hohen potentiellen Bodenfruchtbarkeit erhebliche Steigerungen und eine Selbstversorgung auch einer erheblich größeren Bev. zulassen (Tab. 7).
 
 
Tabelle 7: Landwirtschaftliche Erzeugunga
1948-51 1958-61 1968-71 1978-81 1990-93
Anbaufläche (in Tsd.ha)
Weizen 4.280 4.782 6.122 6.865 8.005
Reis 914 1.179 1.560 1.998 2.048
Zuckerrohr 201 404 599 765 878
Baumwolle 1.127 1.320 1.745 2.027 2.768
Erzeugung (in Tsd.t)
Weizen 3.965 3.877 6.796 10.671 15.214
Reis 806 1.006 2.211 3.174 3.196
Zuckerrohr 6.767 11.597 23.836 29.061 37.271
Baumwolle 214 292 535 639 1.801
Ertrag (in kg/ha)
Weizen 926 811 1.110 1.554 1.942
Reis 882 853 1.417 1.589 1.561
Zuckerrohr 33.667 28.705 39.793 37.988 42.296
Baumwolle 190 221 307 315 650
Index der landw.Produktion
(Hauptanbaufrüchte) 88 101 176 236 369
a Drei-Jahresdurchschnitte (jew. Juli bis Juni).
Quelle: Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:47ff.
 

Die industrielle Produktion erlitt in den 70er Jahren schwere Rückschläge, die inzwischen fast überall - bis auf Baumwollstoffe - ausgeglichen werden konnten. Teilweise sind die Produktionszuwächse beachtlich, etwa bei Baumwollgarn, Düngemitteln, Zement und im Fahrzeug- und Maschinenbau (Tab. 8).
 
 
Tabelle 8: Erzeugung ausgewählter Industriewaren
Einheit 1949-50 1969-70 1979-80 1991-92
Zucker Tsd. t 17 610 586 2.322
Pflanzenfett Tsd. t 4 126 452 656a
Seesalz Tsd. t 184 252 197 266b
Baumwollgarn Tsd. t 12 273 363 1.171
Baumwollstoff  Mio. qm 46 607 342 308
Jutewaren Tsd. t 0 33 42 101
Zigaretten (Stück) Mrd. 1 22 35 30
Harnstoffdüngemittel Tsd. t 0 206 641 1.898
Superphosphatdüngemittel Tsd. t 0 23 101 194
Zement Tsd. t 395 2.656 3.343 8.321
Reifen und Schläuche Tsd. 112 6.727 9.084 10.910
Fahrräder Tsd. 0 161 279 478
Nähmaschinen Tsd. 0 88 67 85
Ventilatoren Tsd. 0 162 289 146b
Pappe Tsd. t 0 26 25 24
Papier Tsd. t 0 0 34 23
Weichstahlerzeugnisse Tsd. t 0 180 421 870b
a 1990-91; b 1987-88.
Quellen: Economic Survey 1990-91, Statistical Appendix:84ff; Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:76ff.
 
 
Grundsätzlich ist der inländische Markt dank der großen Bev. und der durch Heimüberweisungen gestiegenen Kaufkraft zur Ausnutzung der economies of scale für eine weitere Importsubstitution hinreichend groß. Seit Jahren bemüht sich P. um eine eigene Schwerindustrie: Das Stahlwerk Karachi (Jahreskapazität 1 Mio. t) entstand mit sowjetischer Hilfe und produziert seit 1981. Mit chinesischer Hilfe entstand eine Schwermaschinenfabrik. Ganz offenkundig sind die Bestrebungen, eine der indischen vergleichbare Rüstungsindustrie aufzubauen. Überhaupt versucht P. gegenüber Indien in der Industrialisierung aufzuholen. Die Produktion von Konsumgütern auf der Basis landwirtschaftlicher Rohstoffe mit geringer Verarbeitungstiefe herrscht aber noch vor. Die gängigsten Werkzeugmaschinen und Motoren werden bereits im Lande hergestellt, in Karachi besteht eine Werft für Seeschiffe. P. war zeitweise einer der größten Schiffsverwerter. Die Automobilproduktion (Suzuki) konnte realisiert werden (1990-91: 25 166 Pkws, 2 029 Lkws, 804 Busse, 2 804 Jeeps, 11 882 leichte Lkws, 9 255 Traktoren, 83 146 Motorräder). Die erste Lokomotive soll 1993 vom Band rollen. Nicht realisiert werden konnte der Bau von Flugzeugen (Mirage).

Mangelndes Vertrauen in die Wirtschaftsentwicklung und die fehlenden Investitionsmöglichkeiten in der (verstaatlichten) Industrie haben das Kapital in die Immobilien gelenkt. Nach der Machtübernahme durch das Militär stiegen die Investitionen. Vor allem die Regierung Nawaz Sharif und die Übergangsregierung unter Moeen Qureshi haben sich mit Erfolg darum bemüht, ein günstigeres Investitionsklima zu schaffen, das auch ausländische Investoren anlockt. 1990 kamen 249 Mio. US-$ ausländische Direktinvestitionen ins Land, im Durchschnitt der Jahre 1980-85 waren es erst 75 Mio US-$ (UN World Investment Report 1992:315). Die wirtschaftliche Entwicklung P.s hängt in mehrfacher Hinsicht vom Ausland ab: Güterwirtschaftlich vom Import von Nahrungsmitteln, Energie und fast der ganzen Palette von industriell gefertigten Konsum- und Investitionsgütern, finanziell von Auslandskrediten und Überweisungen pak. Gastarbeiter im Ausland und politisch durch P.s prekäre Beziehungen zu seinen Nachbarn.

Seit der Unabhängigkeit ist P. fast immer ein Nettoimporteur von Gütern und Dienstleistungen gewesen. Nach der Teilung P.s 1971 wurde der Handel mit dem vormaligen östlichen Landesteil auf den Weltmarkt umgeleitet. Dies gelang vor allem bei den Reisexporten und bei Garnen, den Zement nahm der wachsende Inlandsmarkt auf. Die Chancen im Export von Fertigtextilien werden zunehmend genutzt. Die Rohbaumwollexporte, die Mitte der 70er Jahre fast völlig ausfielen, haben wieder zugenommen. Da aber die inländische Verarbeitung mit Vorrang beliefert wird (staatliches Exportmonopol), sind die Schwankungen in der Ausfuhr extrem. In manchen Jahren liegt P. international an einer der ersten Stellen. Auch bei Teppichen, neben Reis der größte Exporterfolg der 70er Jahre, hat die internationale Konkurrenz und die weltweite Rezession zu Rückschlägen geführt. Mit Fertigtextilien, Baumwollwaren, Rohbaumwolle und Reis als Hauptexportprodukten kann das Ziel der Exportdiversifizierung und Steigerung des Wertschöpfungsanteils noch nicht als erreicht angesehen werden (Tab. 9).
 
 
Tabelle 9: Ausfuhren
Einheit 1969-70 1979-80 1991-92
Fischereiprodukte Tsd. t 24 13 64
Reis Tsd. t 91 1.087 1.512
Häute und Felle Tsd. t 314 0 2
Rohwolle Tsd. t 7 4 6
Rohbaumwolle Tsd. t 84 251 455
Baumwollabfälle Tsd. t 13 3 94
Leder Mio. qm 14 10 16
Baumwollgarn Tsd. t 73 100 506
Baumwollstoffe Mio. qm 298 546 1.196
Mineralölprodukte Tsd. t 1.126 1.037 630
Kunststofftextilien Mio. qm 11 5 511
Schuhe (Paare) Mio. 6 8 11
Tierische Därme Tsd. t 296 231 468
Zement Tsd. t 341 0 229a
Teppiche Tsd. m2 0 2.700 3.900
Insgesamt (in Mio. US-$) 338 2.365 6.904
Insgesamt (in Mio. Rs) 1.609 23.410 171.728
davon in %:
Baumwollgarn 16 9 17
Fertigtextilien 1 3 15
Baumwollstoffe 16 10 12
Rohbaumwolle 13 14 8
Synthetische Stoffe 1 0 6
Reis 6 18 6
Leder 7 5 3
Teppiche 3 9 3
Sportartikel 2 1 2
Fischereiprodukte 5 2 2
Chirurgische Instrumente 1 1 1
Mineralölprodukte 3 8 1
a 1990-91.
Quelle: Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:138ff.
 
 
Den Exporten stehen seit Jahren wesentlich höhere Importe gegenüber. Neben industriellen Ausrüstungsgütern und Agrarprodukten, die in P. nicht wachsen (Tee, Gewürze, Jute), importiert P. Nahrungsmittel in großem Umfang. In den 60erJahren halfen die Weizenimporte die großen Lücken in der Nahrungsmittelversorgung zu schließen, auch in den 70er und 80er Jahren wurden jährlich bis über 2 Mio. t, 1/5 der Nahrungsgetreideversorgung, eingeführt. Bei Pflanzenöl ist die Abhängigkeit von Importen dagegen gewachsen: Hier halfen die USA in den 60er Jahren, eine sich schnell erweiternde Versorgungslücke mit billigen Lieferungen (Soja) im Rahmen ihrer Nahrungsmittelhilfe zu schließen. Seitdem ist P. von diesen Importen abhängig. Die Nahrungsimporte werden inzwischen vom Erdöl übertroffen, die 1992-93: 15% aller Importe erreichten (Tab. 10). Haupthandelspartner bei Ausfuhr und Einfuhr sind (1991-92) die OECD-Staaten (55 % / 59%), allen voran die USA (13% / 11%), Japan (8% / 14%), Deutschland (7% / 8 %) und Großbritannien (7% / 6%). Der Handel mit den islamischen Staaten der OIC (15% / 17%), den ASEAN-Staaten (6% / 7%) und den Nachbarstaaten in der SAARC (5% / 2%) ist wesentlich geringer (Economic Survey 1992-93).
 
 
Tabelle 10: Einfuhren
Einheit 1969-70a 1979-80 1991-92
Weizen Tsd. t 285 602 2.018
Tee Tsd. t 3 61 110
Pflanzenöl Tsd. t 180 346 1.046
Rohöl Tsd. t 2.884 1.619 4.076
Mineralölprodukte Tsd. t 663 4.820 5.206
Chem. Düngemittel Tsd. t 306 1.112 1.269
Insgesamt (in Mio. US-$) 690 4.740 9.252
Insgesamt (in Mio Rs) 3.285 46.929 229.889
davon in %:
Nicht-elektr.Maschinen 22 12 24
Mineralöl, -produkte 6 23 15
Chem. Erzeugnisse 3 2 10
Transportausrüstung 10 13 9
Eisen u. Metallwaren 11 7 4
Pflanzenöl 2 5 4
Getreide u. Mehl 2 2 4
Elektroartikel 7 4 3
Chem. Düngemittel 9 6 3
Arzneimittel 2 2 2
Tee 0 2 2
Papierwaren 1 1 2
a Mengenmäßige Angaben 1970-71.
Quellen: Pakistan Basic Facts 1979-80:149; Pakistan Economic Survey 1980-81; Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:138ff.
 

Ähnlich defizitär ist der Dienstleistungsbereich, wo ein positiver Saldo nur im internationalen Luftverkehr ausgewiesen wird (und dies auch wohl nur, weil die Importe von Flugzeugen, technischem Gerät und Treibstoff unter Warenimporten erfaßt werden). Als Fremdenverkehrsziel ist P. nur für Bergsteiger (Himalaya, Karakorum, Hindukush) interessant. Im internationalen Güterverkehr ist P. fast völlig auf ausländische Schiffe angewiesen (der Überlandverkehr mit den Nachbarländern spielt kaum eine Rolle).

Die pak. Arbeiter in den Golfstaaten stellen den bedeutendsten "Export" dar. Ihre Überweisungen, die Anfang der 70er Jahre noch unbedeutend waren, verdoppelten sich nach 1973 jährlich und übertrafen zeitweilig die Exporterlöse aller Güter- und Dienstleistungen, vor allem wenn man die nicht erfaßten Beträge durch Schmuggel und Mittelsmänner einbezieht. Die Überweisungen gingen zeitweise auf 2 Mrd. US-$ zurück, erreichen aber wieder fast 3 Mrd US-$ im Jahr. Sie haben bis jetzt die pak. Zahlungsbilanz wesentlich entlastet und zur Finanzierung der Investitionen beigetragen, wenngleich die Heimüberweisungen zumindest in der Anfangsphase für den laufenden Lebensunterhalt der Familie, die Bezahlung von Schulden, den Kauf von Land, den Bau von Häusern und für langlebige Konsumgüter ausgegeben wurden.

Die Investitionen werden nur zum Teil durch die inländische Ersparnis finanziert. Die Einfuhren übersteigen die Ausfuhren um mehr als ein Drittel. Die Lücken werden durch die Überweisungen der pak. Arbeiter im Ausland und die Auslandshilfe geschlossen. Rechnet man die Netto-Faktoreinkommen aus dem Ausland der nationalen Ersparnis zu, so werden Ende der 80er Jahre nur noch 10% der Investitionen vom Ausland finanziert. Zehn Jahre zuvor hatte die inländische Ersparnis gerade noch ausgereicht, die Ersatzinvestitionen zu finanzieren (Tab. 11). Der geringe (Netto-)Beitrag des Auslands liegt vor allem an den hohen Zins- und Rückzahlungen, die den Großteil der Hilfe verschlingen.
 
 
Tabelle 11: Kennzahlen zum Sozialprodukt
1969-70 1979-80 1992-93
BIPa (in Mrd. Rs.)
zu jew. Faktorkosten 43,3 210,3 1.217,5
zu Faktorkosten von 1959-60 32,3 51,7 .
zu Faktorkosten von 1980-81 . . 494,8
Verwendung des BSP/MPb (in %)
Verbrauch 86,9 86,4 81,4
Investitionen 15,8 16,3 20,1
Ausfuhr 7,6 11,6 16,7
Einfuhr 10,3 21,5 19,5
Ausfuhr-Einfuhr -2,7 -9,9 -2,8
Finanzierung der Investitionen (in % des BSP/MPb)
Inländische Ersparnis 13,1 6,4 17,3
Netto-Faktoreinkommen 0,0 7,2 1,3
Nationale Ersparnis 13,1 13,6 18,6
Nettokapitalimporte 2,7 2,7 1,5
Gesamtersparnis=Ges.invest. 15,8 16,3 20,1
Verbrauch als % des BIP/MPc 86,9 93,1 82,4
a Bruttoinlandsprodukt; b Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen; c Bruttosozialprodukt zu Marktpreisen.
Quellen: Pakistan Economic Survey 1980-81; Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:40.
 

Der Staatshaushalt finanziert sich vorwiegend durch indirekte Steuern, v. a. Einfuhrzölle. In kaum einem Jahr decken die Steuereinnahmen mehr als die Hälfte der Ausgaben. Wesentliche Anteile müssen aus Krediten im In- und Ausland gedeckt werden. 1992-93 überstieg der Ansatz der Ausgaben für den Schuldendienst (93 Mrd. Rs) den für das Militär (82 Mrd. Rs), zusammen fast so viel wie die gesamten Einnahmen des laufenden Haushalts der Zentralregierung (196 Mrd. Rs). Für zivile Aufgaben blieben praktisch keine Mittel übrig. Angesichts der Tatsache, daß die Ausgaben für das Militär mehrfach so hoch sind wie für Bildung und Gesundheit, sind die Geber nicht mehr bereit, diese sog. Überrüstung P.s nach dem Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan direkt (Militärhilfe) und indirekt (Entwicklungshilfe) zu finanzieren.

Zur Finanzierung der Staatsausgaben und zur Erhaltung der Konjunktur wird die Geldmenge ständig erheblich über das reale Wachstum der inländischen Produktion und des Importüberschusses hinaus gesteigert und die Zinsen niedrig gehalten. Die Geldmenge M2 wurde in den fünf Jahren bis 1993 verdoppelt. Die Inflationsrate konnte in den 80er Jahren gesenkt und deutlich unter 10% gehalten werden; die Verbraucherpreise lagen 1992-93 um 9,6 % höher als im Vorjahr (Economic Survey 1992-93). Die Übergangsregierung Moeen Qureshi gewährte der State Bank of Pakistan, der pak. Zentralbank, im September 1993 größere Eigenständigkeit bei der Bestimmung der Geld- und Kreditpolitik.

Die Nettokapitalimporte konnten in der zweiten Hälfte der 70er Jahre aufgrund der Heimüberweisungen reduziert werden. Seitdem haben sie wieder zugenommen, vor allem die des privaten Sektors (Tab 12).
 
 
Tabelle 12: Zahlungsbilanz in Mio. US-$
1989-90 1990-91 1991-92
Warenverkehr - 2.485 - 2.483 - 2.236
Ausfuhr (f.o.b.) 4.926 5.902 6.762
Einfuhr (f.o.b.) - 7.411 - 8.385 - 8.998
Dienstleistungsverkehr - 1.616 - 1.790 - 2.224
Einnahmen 1.398 1.630 1.581
Ausgaben - 3.014 - 3.420 - 3.805
Private Übertragungen (Saldo) 2.210 2.102 2.961
Saldo der Leistungsbilanz = Bilanz der laufenden Posten - 1.891 - 2.171 - 1.499
Saldo der Kapitalverkehrsbilanz 1.671 1.729 2.541
Private 466 510 1.061
Öffentliche 1.205 1.219 1.480
Grundbilanz - 220 - 442 1.042
Fehler und Auslassungen 47 - 1 - 321
Finanzierungssaldo - 173 - 443 721
Öffentliche Schuld 550 449 - 591
Änderung der Devisenbeständea - 377 - 6 - 130
a Ein negatives Vorzeichen zeigt eine Zunahme an.
Quelle: Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:137.
 
 
Die ständige Kreditierung von Importen findet ihren Niederschlag in einer Auslandsverschuldung von (Juni 1992) 26,8 Mrd. US-$, davon 17,4 Mrd. ausbezahlt und offenstehend, der Rest bildet die sog. Pipeline. Hauptgläubiger sind die Weltbankgruppe, die USA, die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), Japan und Deutschland. Auf jedem Einwohner lasten rund 150 US-$ Auslandsschulden, fast soviel wie das Sozialprodukt eines halben Jahres (Tab. 13). Der Schuldendienst verschlingt inzwischen 2/3 der gesamten (Brutto-)Hilfe (Tab. 14)
 
 
Tabelle 13: Auslandsverschuldung am 30.6.1992 (in Mio. US-$)
Gläubiger Ausbezahlt u. offenstehend Insgesamt
Weltbankgruppe 4.717 7.824
USA 2.969 3.043
ADB 2.803 5. 880
Japan 2.451 3.732
Deutschland 1.561 1.762
Kanada 531 545
Frankreich 421 970
Saudi Arabien 263 331
Italien 234 317
UdSSR 274 581
Niederlande 225 242
China 230 476
Sonstige 682 1.119
Alle Geber (ohne IMF) 17.361 26.822
Quelle: Economic Survey 1992-93, Statistical Appendix:171-72.
 
 
Tabelle 14: Schuldendienst auf Auslandskreditea
Jahr Auszahlung
brutto
Mio.US-$
Rück-
zahlungen
Mio.US-$
Zins-
zahlungen
Mio.US-$
Nettohilfe
% der Aus-
zahlungen
1988-89 2.619 685 440 57
1989-90 2.342 741 491 47
1990-91 2.156 782 534 39
1991-92 2.471 921 592 39
1992-93 2.341 962 557 35
a Ohne kurzfristige Kredite.
Quelle: Economic Survey 1992-93. Statistical Appendix:175.
 
 
5. Sozioökonomische Strukturen

P. ist von einer extrem ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung gekennzeichnet. Die wenigen verfügbaren Informationen sprechen für sich: Trotz der Landreformen von 1959, 1972 und 1977 ist der Landbesitz sehr ungleich verteilt: Nach der Landwirtschaftszählung von 1980 waren 74% der Betriebe kleiner als 2 ha; sie verfügten über nur 34% der Betriebsfläche und 38 % der Anbaufläche. Auf der anderen Seite entfielen auf die 3% der Betriebe mit 8 ha und mehr 23% der Betriebsfläche und 19% der Anbaufläche. Fast die Hälfte der Betriebe waren ganz oder teilweise gepachtet, meist nicht gegen eine feste Geldpacht, sondern gegen eine (erhebliche) Beteiligung der Landbesitzer an der Ernte. Die Übergänge zwischen Landbesitzern und Pächtern bzw. Pächtern und Landarbeitern sind fließend. Die Angabe, daß 2/3-3/4 aller Landbesitzer ihr Land selbst bewirtschaften, ist deshalb wenig aussagefähig. Nur die formale Aufsplitterung des Besitzes innerhalb der Familie läßt die Verteilung des Landbesitzes als vergleichsweise egalitär erscheinen (Khan 1981). Generell läßt sich sagen, daß der mittelgroße Bauer, der Eigenland bewirtschaftet, vor allem in den kanalbewässerten Gebieten des Punjab, vorherrscht; dagegen fristen kleine und kleinste Pächter ihr Leben im Sind.

Die legendären (22) Familien, die Ende der 60er Jahre Industrie, Handel, Banken und Versicherungen beherrschten, haben durch die Verstaatlichung unter Z. A. Bhutto einen Großteil ihres Einflusses verloren und ihn auch nach 1977 nicht im alten Umfang zurückgewinnen können. Einige haben ihre Geschäfte ins Ausland verlegt oder sich im Dienstleistungsbereich engagiert. Ein Teil ihres ehemaligen Besitzes wurde zurückgegeben ("reprivatisiert"). Es waren aber nicht alle bereit, ihre alten Firmen mit den inzwischen angelaufenen Verlusten zurückzunehmen. Die Schicht der Industriellen rekrutiert sich großenteils aus Angehörigen der gut organisierten Kaufmannskasten, vielfach aus Indien stammend; die großen Landbesitzerfamilien(-kasten) sind in der Industrie weniger engagiert.

Seit 1977 hat das Militär beträchtlich an Einfluß gewonnen, auch wirtschaftlich. Zusammen mit der Bürokratie erfreut es sich erheblicher Privilegien. Nimmt man die Großgrundbesitzer, Unternehmer und erfolgreichen Angehörigen der freien Berufe hinzu, so hat man die einkommens- und vermögensstärkste Gruppe beisammen. Die Arbeiter im Ausland kommen dagegen vielfach aus traditionell nicht-privilegierten Gruppen, etwa den Dorfhandwerkern, und bilden - zumindest für pak. Verhältnisse - eine Schicht der nouveaux riches.

Die Ärmsten sind dagegen von der Auslandsarbeit ausgeschlossen, da sie erhebliche finanzielle Vorleistungen (Papiere, Visa, Transport) erfordert. Ebenso wie die Industrialisierung in den 50er und 60er Jahren haben die Auslandstätigkeit (meist ohne Familiennachzug) und die Heimüberweisungen des soziale Gefüge stark verändert. Am unteren Ende der sozialen Skala stehen die landlosen Landarbeiter und die ungelernten Arbeiter, in den Städten besonders die Angehörigen der verschiedenen niederen Dienstleistungsberufe. Die Erwerbslosigkeit wird im Economic Survey 1992-93 erstmals mit 6 % angegeben (früher 3 % und weniger); je nach Meßkonzept (Unterbeschäftigung, Unterernährung, schlechter Gesundheitszustand, Armut) lassen sich auch wesentlich höhere Prozentzahlen begründen. Auf die Zurechnungsprobleme, insbesondere der weiblichen Personen, wurde hingewiesen. Der Ernährungsstand der Bev. ist nur im Durchschnitt hinreichend. Nach dem Human Development Report 1993 leben 30 % der Bev. unterhalb der Armutsgrenze. Studien belegen die z. T. völlig unzulängliche Ernährung, auf dem Lande wie in den Städten. Sie ist aber besser als in den anderen südasiatischen Ländern, insbesondere bei tierischem Eiweiß.

P. gehört im Bildungswesen zu den Schlußlichtern im internationalen Vergleich. Obwohl die Bedeutung in jedem offiziellen Dokument aufs neue hervorgehoben wird, können (1990) nur 47 % der männlichen und 21% der weiblichen Erwachsenen lesen und schreiben. Die Zahl der funktionalen Alphabeten ist noch geringer. Wie auch in den anderen EL ist der Anteil besonders unter der weiblichen, ländlichen und älteren Bev. gering. Der Abstand zwischen den Geschlechtern ist vor allem in den Rückstandsgebieten extrem. Wenig mehr als die Hälfte der Kinder besucht die Elementarschule (Klassen 1-5). Der Anteil derjenigen, die die Ausbildung vorzeitig abbrechen, ist auf allen Bildungsstufen groß. Die offiziellen Zahlen sind auch nur die der Einschreibungen (enrolments) und deshalb statistisch überhöht. Es gibt keine allgemeine Schulpflicht, vor allem bei den Mädchen ist der Schulbesuch gering, ihr Anteil aber steigend. Trotz vieler angekündigter Reformen liegt das Schwergewicht der Ausbildung noch immer bei einer allgemeinen, geisteswissenschaftlichen Ausbildung. Die praktische Ausbildung spielt selbst bei den technischen und Ingenieurberufen nur eine geringe Rolle. Berufsschulen gibt es kaum (Tab. 15). Die Ausgaben für das Bildungswesen pro Kopf der Bev. gehören zu den niedrigsten der Welt (World Resources 1992-93).
 
 
Tabelle 15: Bildungseinrichtungen und Schüler- bzw. Studentenzahlen 1992-93
Bildungsstufea
Einrichtungen 
Anzahl
Schüler/Studenten 
Anzahl in 1000
Insges. für Frauen Insges. weibl.
Grundschuleb 124.171 33.372 14.120 4.425
Mittelschulec 9.297 3.917 3.515 1.158
Oberschuled 9.820 2.367 1.255 433
Berufsschulee 710 320 91 29
Hochschulef 675 245 561 220
Fachhochschuleg 99 8 77 19
Universität 23 84 11
a Die Einrichtungen umfassen z.T. mehrere Bildungsstufen; b primary (Klasse 1-5); c secondary (6-8); d middle (9-10); e secondary vocational institutions; f art and science colleges; g professional colleges (i.d.R.Klassen 11-14).
Quelle: Economic Survey 1992-93. Statistical Appendix:187-188.
 
 
Ähnlich ist das Bild auf dem Gesundheitssektor. Ein erheblicher Teil der (1990) registrierten 51 883 Ärzte und 2 077 Zahnärzte arbeitet im Ausland. Beim ärztlichen Hilfspersonal ist die Situation noch ungünstiger. Auch hier treten die Probleme sozial und regional akzentuiert auf, da sich die Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge in den großen Städten konzentrieren und bevorzugt den öffentlich Bediensteten und Militärs zur Verfügung stehen. Die Versorgung auf dem Lande ist entsprechend schlecht. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat sich in den letzten Jahren die offizielle Haltung gegenüber der traditionellen Medizin gebessert. Die Seuchenbekämpfung hängt wesentlich von Maßnahmen im nicht-medizinischen Bereich ab, wo die Bedingungen völlig unzulänglich sind: nur 50 % der Bevölkerung haben Zugang zu einwandfreiem Trinkwasser, nur 22 % zu sanitären Anlagen (Human Development Report 1993).

Der Rückstand der weiblichen Bevölkerung bei Erziehung und Gesundheit ist wie in den meisten islamischen Staaten ausgeprägt. Den Geboten von Sittsamkeit und Anstand folgend (purdah: Geschlechtertrennung, wörtl.: Schleier) nehmen sie kaum am öffentlichen Leben teil. Verglichen mit Männern stellen sie nur 13% der Erwerbsbevölkerung (evtl. Unterzählung, vor allem in der Landwirtschaft), gehen nur ein Viertel so lang zur Schule, stellen nur halb so viel Schüler (55%, 41% auf den Hochschulen) und können nur halb so häufig lesen und schreiben (Human Development Report 1993:153). Nach der sharia ist ihre Rechtsstellung auch geringer: sie erben nur halb so viel wie ihre Brüder (de facto noch weniger); die Aussage von zwei Frauen vor Gericht hat die eines Mannes. Es gibt eine starke Frauenbewegung. Klasse geht zuweilen vor Geschlecht: so erklärt es sich, daß die Tochter des einstigen Premierministers Zulfikar Ali Bhutto, Benazir Bhutto, dasselbe Amt erreichen konnte.
 

6. Regionalprobleme

Bev., Produktion und Einkommen sind regional ungleich verteilt. Die landw. Produktion beschränkt sich auf die Ebene und die Täler; in den Berggebieten (soweit kein Terrassenanbau) und Steppen wird Weidewirtschaft betrieben. Mehr als 1/3 der Industrie ist in Karachi konzentriert, weitere Zentren sind Faisalabad und Lahore. 70% der Industrie fanden sich 1975/76 in nur acht von 60 Distrikten und Agenturen. In den meisten Gebieten der NWFP und Baluchistans, im westlichen und südlichen Punjab und im größten Teil des Sind gibt es keine nennenswerte Industrie. Verwaltung, Erziehungs- und Gesundheitswesen weisen ein ähnliches räumliches Verteilungsmuster auf; ebenso Banken, Versicherungen und das Transportwesen.

Die Städte im Bogen Karachi-Hyderabad-Multan-Faisalabad-Lahore-Gujranwala-Rawalpindi/Is lamabad-Peshawar bilden die Entwicklungsachse des Landes. Von den Provinzen hat der Sind das höchste Pro-Kopf-Einkommen, es folgen Punjab, NWFP und Baluchistan - die letzten beiden mit beträchtlichem Abstand. Karachi hat ein doppelt so hohes Einkommen wie der Rest des Sind, der ohne Karachi mit dem Punjab und dem Landesdurchschnitt gleich liegt. AJK und vor allem die NA liegen nach den wenigen verfügbaren Angaben noch hinter der NWFP und Baluchistan. Innerhalb der Provinzen sind die regionalen Disparitäten nicht minder ausgeprägt. Die unterentwickelten Gebiete des Punjab und Sind liegen deutlich unter dem Durchschnitt der NWFP und Baluchistans, während deren Zentren (Peshawar, Quetta) in die Kategorie der am besten entwickelten Gebiete des Landes fallen. Innerhalb der Distrikte setzt sich die regionale Ungleichheit als Stadt-Land-Gefälle fort. Vor einer undifferenzierten Behandlung des Regionalproblems muß deshalb gewarnt werden. Das Thema ist aber politisch hochsensibel. Dort, wo ethnische und linguistische Grenzen mit wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsunterschieden zusammenfallen, sind sie besonders augenfällig und werden gerne für die unterschiedlichsten Argumentationen herangezogen, was dem Regionalproblem in P. seine Brisanz verleiht. Den Zustrom der insgesamt 3,7 Mio., meist pashtunischen afghanischen Flüchtlinge hat P. erstaunlich gut verkraftet.

1991 kam es zu einer Einigung der Provinzen über die Verteilung des Wassers des Indus und seiner Nebenflüsse. Sie wurde notwendig, da Wasser der zentrale limitierende Produktionsfaktor für die Landwirtschaft ist. Eine unsachgemäße Bewässerung (zu wenig Wasser auf zu viel Land) führt zu einer Verringerung der natürlichen Ertragskraft des Bodens und stellt damit eine eminente Gefährdung der natürlichen Umwelt dar. Eine nachhaltige Entwicklung wird so unmöglich. Ein Ansteigen des Salzgehaltes (aber auch industrieller Verunreinigung) der Flüsse wirkt entlang dessen Unterlauf (Landwirtschaft, Trinkwasser) verheerend aus. Das ökologische Bewußtsein ist zwar in den letzten Jahren gestiegen; wirksame Maßnahmen scheitern aber am Mangel an Geld, Organisation und politischem Willen.
 

7. Außen- und Innenpolitik: Entwicklungsperspektiven

Für die Zukunft ist das Zusammenspiel von Faktoren, die nur z. T. von der pak. Regierung beeinflußt werden können, bestimmend. Außenpolitisch versucht P. sich der immer wieder veränderten internationalen Konstellation anzupassen. Nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation hat sich P.s Position verschlechtert, erst recht, seit der zuverlässigste Verbündete der letzten drei Jahrzehnte, nämlich China, seine Beziehungen zu Indien verbesserte.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion beendete eine Ära der pak. Außenpolitik. Die sowjet Invasion in Afghanistan hatte es P. ermöglicht, als "Frontstaat" zu einem der Hauptempfänger westlicher Militär- und Wirtschaftshilfe aufzurücken, ohne auf sowjet. Wirtschaftshilfe zu verzichten (Stahlwerk Karachi). Für P. bedeutete dies keinen Widerspruch, nachdem die westlichen Industrieländer, und vor allem die USA, ihren Bündnispartner P. in den Kriegen gegen Indien 1965 und 1971 nicht tatkräftig unterstützten. Auch China hatte sich in beiden Fällen auf eine wohlwollende Neutralität beschränkt.

Saudi-Arabien und die anderen OAPEC nehmen seit Jahren eine Schlüsselstellung in den pak. Außenbeziehungen ein. Durch ihre Entwicklungs- und Militärhilfe nehmen sie direkten Einfluß auf die pak. Politik. Mit ihrer finanziellen Unterstützung halfen sie sowohl Zia-ul Haq als auch Nawaz Sharif und seiner Islamischen Allianz an die Macht. Die politische Stabilität der arabischen Staaten wird in P. mit der angebrachten Skepsis gesehen, bei einer militärischen Konfrontation mit einem seiner beiden traditionell feindlichen Nachbarstaaten wäre allenfalls mit finanzieller Unterstützung zu rechnen.

Im 1. Golfkrieg (1980-89) hatte P. geschickt eine Parteinahme vermieden. Der Iran, bis zum Sturz des Shahs einer der Hauptverbündeten und wichtiger Geldgeber, war vor allem an gemeinsamen Aktionen mit P. zur Unterdrückung der Autonomiebestrebungen der Baluchi beiderseits der gemeinsamen Grenze interessiert. Im Iran arbeiteten auch viele Pakistani, der bilaterale Handel entwickelte sich kräftig. Dies hielt den Shah aber nicht von einem Ausbau seiner Beziehungen zu Indien ab, dessen technisches Know-how, namentlich in der Kernforschung, großen Eindruck auf ihn machte. Die Erfolge des islamischen Fundamentalismus im Iran wurden anfangs auch von den Nicht-Schiiten in P. gefeiert. Ayatollah Khomeini war in P. ausgesprochen populär, was P. in den Augen vieler Beobachter suspekt machte. Der Irak hatte zur Zeit Z. A Bhuttos die Guerillas in Baluchistan unterstützt, die in P. etwas mehr Bewegungsfreiheit als im Iran hatten. Dies war jedoch allein vor dem Hintergrund der traditionellen Feindschaft Iran-Irak zu sehen. Die Verfolgung der Schiiten im Irak stößt vor allem bei ihren Glaubensgenossen in P. auf äußerste Ablehnung.

Im 2. Golfkrieg (1991) beteiligte sich Pakistan aktiv auf Seiten Kuweits und der UN, trotz der zeitweiligen großen Popularität Saddam Husseins in der pak. Öffentlichkeit. Diese kann, ebenso wie die des Ayatollah Khomeini, aus der Solidarität mit den Völkern der islamischen Welt gegen die übermächtigen westlichen Industriestaaten verstanden werden. Den damit verbundenen Irritationen der Geber versucht die pak. Regierung durch die Beteiligung ihrer Truppen bei internationalen Aktionen der UN (Somalia) zu begegnen.

Die USA drohten 1993 P. als terroristischen Staat einzustufen und international zu boykottieren. Die amerikanische Hilfe wurde bereits 1990 wegen der pak. Nuklearpläne fast vollständig suspendiert. Die immer wieder diskutierte "islamische" Atombombe ist in P. jedoch längst nicht so umstritten wie im Ausland. Dies ist vor allem auf die verbreitete Furcht vor einem militärisch überlegenen Indien zurückzuführen, das seinerseits bereits 1974 einen nuklearen Sprengsatz in der Nähe der pakistanischen Grenze zündete. Die USA erwarten von P auch eine wirksamere Kontrolle des Rauschgifthandels (P. gilt als weltgrößter Heroinexporteur) und der daraus resultierenden Gewinne.

Der Afghanistan-Konflikt dauert an und ist mit der pak. Politik eng verknüpft. Die meist pashtunischen Flüchtlinge aus Afghanistan konzentrieren sich im Pashtunengebiet der NWFP und Baluchistans, obwohl sie sich frei im Lande bewegen können; größere Auseinandersetzungen mit der einheim. Bev. gab es nicht: Es wird überhaupt viel zu wenig anerkannt, wie reibungslos - verglichen mit anderen Flüchtlingsströmen - die Flüchtlinge bisher in P. aufgenommen wurden. Ihre fundamentalen materiellen Bedürfnisse (Nahrung Kleidung, medizinische Betreuung) werden vielerorts besser gedeckt, als dies vor ihrer Flucht in Afghanistan der Fall war. Noch brisanter sind der seit 1989 wieder auflodernde Kashmir-Konflikt und die "kommunalen" Konflikte zwischen Hindus und Muslimen in Indien (Ayodhya). P. hofft auf internationale Unterstützung seiner Position (Plebiszit in ganz Kashmir). Eine Einigung mit Indien wäre die Voraussetzung für eine Reduzierung der pak. Rüstungsausgaben und eine Verstärkung der Entwicklungsanstrengungen.

Innenpolitisch versucht P. die sozialen und regionalen Probleme herunterzuspielen. Seit dem Tode Zia-ul Haqs war die Situation jahrelang von wechselnden Koalitionen zwischen dem Staatspräsidenten, dem Militär und den politischen Parteien bestimmt. Letztere haben dadurch viel von ihrem Ansehen eingebüßt, einschließlich die PPP unter Benazir Bhutto, die zeitweise denselben Staatspräsidenten unterstützte, dem eine nicht geringe Rolle beim Sturz und der späteren Hinrichtung ihres Vaters und ihrer eigenen politischen Verfolgung zugeschrieben wird, der sie aus dem Amte jagte und ihren Mann einsperren ließ. Sie koalierte auch mit seinem einstigem Protegé, dem Führer der Islamischen Allianz, Nawaz Sharif, der ihr Nachfolger als Premierminister wurde. Sie hat sich völlig mit ihrem einstiger Partner im Sind, der MQM, der Partei der Flüchtlinge aus Indien, überworfen. Alle Parteien sind von heftigen Kämpfen gekennzeichnet, bei denen es weniger um Ideologien als um persönliche Gefolgschaft geht.

Von der Innenpolitik gehen für die Wirtschaft Unsicherheiten aus: Die zukünftige gesellschaftliche Ordnung, d. h. vor allem die Verteilung der Zuständigkeiten auf den staatlichen und privaten Bereich steht noch nicht fest. Die wirtschaftlichen und sozialen Weiterungen der "Islamisierung" der pak. Wirtschaft (Islamic economy) lassen sich noch nicht absehen; bei der Kontrolle der Wirtschaft setzt die pak. Regierung fast das gesamte "klassische" Instrument staatlicher Eingriffe in den Wirtschaftsablauf ein: Ein- und Ausfuhrzölle, mengenmäßige Außenhandelsbeschränkungen, ein umfassendes Lizenzierungswesen im Außenhandel wie bei Investitionen, staatliche Monopole bei der Ein- und Ausfuhr und beim Binnenhandel ausgewählter Güter, Binnenhandelsbeschränkungen, eine umfassende Kontrolle der Bankkredite und eine, wenn auch etwas gelockerte, Devisenbewirtschaftung. Dieses System ist schwerfällig und reagiert auf veränderte Marktdaten langsam. Das umständliche Genehmigungswesen bietet einen fruchtbaren Nährboden für die Korruption. Die seit langem propagierte Privatisierung der Wirtschaft hat einige erste Ergebnisse gezeigt, allerdings auch massive Vorwürfe der Korruption. Es wird für Benazir Bhutto nicht leicht sein, den von der Übergangsregierung Mooen Qureshi eingeschlagenen Reformkurs beizubehalten: Eine Besteuerung der landwirtschaftlichen Einkommen würde die Interessen der sie unterstützenden Großgrundbesitzer verletzten, eine verstärkte Kreditaufsicht würde die dieselbe Gruppe und die Unternehmerschaft verprellen und die stärkere Selbständigkeit der Notenbank würde die Kreditaufnahme des Staates behindern

In der Frage der "Islamisierung" wird im nicht-islamischen Ausland leicht übersehen, daß die Pakistani fast durchweg gläubige - wenn auch nicht unbedingt orthodoxe - Muslime sind, die durchaus die Einführung der "Kirchen"-Steuern zakat (auf das Vermögen) und ushr (auf die landw. Produktion), die Abschaffung von riba (des Zinses) und die Einführung der sharia (des islamischen Rechts) befürworten. Auch von pak. Ökonomen wird bestritten, daß die praktizierte "gemischte" Wirtschaftsordnung durch die Einführung von zakat (seit 1980) und ushr und die ansatzweise praktizierte Vergabe von zinslosen Krediten durch die staatlichen Banken bereits "islamisch" geworden wäre. Die neue Wirtschaftsordnung läßt sich immer noch erst ansatzweise erkennen. Sog. "Gewinn- und Verlustkonten" konnten ohne Schwierigkeiten eingeführt werden, da die Banken seit 1972 verstaatlicht sind. Sie bestehen parallel zu den überwiegend herkömmlichen Sparkonten mit festem Zinssatz und den weit gestreuten Staatsanleihen. Neu ist die Einführung von modaraba-Gesellschaften, die statt mit Krediten mit festem Zinssatz mit Einlagegeldern gegen Gewinn- und Verlustbeteiligung arbeiten. Hier ist eine umfangreiche staatliche Kontrolle erforderlich (und vorgesehen), um Mißbrauch und Mißwirtschaft zu verhindern. Da die Regierung immer wieder beteuert, den von der Privatwirtschaft vehement beklagten staatlichen Dirigismus abbauen zu wollen, besteht hier offensichtlich ein Widerspruch, denn bei einem Festhalten an der Abschaffung des Zinses erscheint eine noch stärkere Verlagerung der Investitionstätigkeit in den staatlichen Bereich unumgänglich. Die Ermahnung des obersten Gerichtes, daß die Erhebung von Zinsen gegen die Bestimmungen des Koran verstößt, hat der Diskussion neuen Auftrieb gegeben.

Die drakonischen "islamischen" Strafen, wie das Abtrennen der Hand bei Diebstahl oder das Steinigen bei Ehebruch, sind z.T. bis jetzt noch nicht exekutiert worden (wofür sich Zia-ul Haq einst in einer öffentlichen Rede mit dem Hinweis auf die nach islamischem Recht schwierige Beweisführung entschuldigte); Prügelstrafen und "peinliche" Vernehmungen wurden von der einstigen Kolonialmacht ebenso wie von den nachfolgenden pak. Regierungen praktiziert. Der Umstand, daß mehrere Rechtssysteme gleichzeitig nebeneinander bestehen, d. h. das kodifizierte Pakistan Law, das islamische Recht und Stammes- (Pakhtunwali) bzw. Gruppenrecht (Hindu Law), und zeitweise auch das Kriegsrecht und seine Militärgerichtsbarkeit (die ordentliche Gerichtsbarkeit wurde der Militärgerichtsbarkeit durch die Provisional Constitution Order formal nachgeordnet), ist auf dem Subkontinent aus der Geschichte verständlich. Versuche, ein einheitliches Recht durchzusetzen, haben schon immer zu schweren politischen Auseinandersetzungen geführt, zumal wenn in diesem Zuge die Zentralgewalt gestärkt werden sollte (wie z. B. bei dem erfolglosen Versuch der Regierung Z. A. Bhutto, das Stammesrecht Baluchistans - riwaj - abzuschaffen). Der Prozeß gegen den ehem. Ministerpräsidenten Z. A. Bhutto (zum Tode verurteilt und am 4. April 1979 gehenkt) wurde international als Farce eingestuft und deutete das Ende der Rechtsprechung als eigenständige demokratische Institution in P. an. Die Wiedereinsetzung der Regierung Nawaz Sharif durch das Gericht 1993 deutet noch keine Abkehr von politischem Opportunismus an, da dasselbe Gericht im Falle von Benazir Bhutto anders entschied.

Inwieweit die Bev. der derzeit praktizierten Politik zustimmt, läßt sich trotz der wiederholten Wahlen nicht leicht einschätzen. Das Konfliktpotential, gerade in sozialer und regionaler Hinsicht, ist sicher groß, auch wenn die gesamtwirtschaftliche Entwicklung dem zu widersprechen scheint. Die Auswanderung bietet ein Ventil für Unzufriedene. Sie verstärkt aber auch die relative Deprivation, d. h. die wachsende Diskrepanz zwischen den steigenden Erwartungen und der tatsächlichen Entwicklung. Durch die Emigration und Landflucht gerade aus den rückständigen Gebieten, eine rege Reisetätigkeit, durch Film und Fernsehen wird den Migranten ebenso wie den Zurückgebliebenen die Diskrepanz zwischen dem hohen Lebensstandard im Ausland und einigen ihrer Landsleute im Inland und ihnen selbst augenfällig, besonders, wenn so elementare Voraussetzungen wie eine allgemeine Schulpflicht und Gesundheitsversorgung noch fehlen.

Wirtschaftlich hat P. in den letzten Jahren einen gewissen Aufschwung erlebt. Dies darf aber nicht überbewertet werden, denn P. hatte in den 70er Jahren damit zu kämpfen die Sezession Bangladeshs und die Kosten des verlorenen Krieges zu überwinden. In den 80er Jahren waren sowohl die Witterungsbedingungen für die Ernte als auch die internationalen Preise für Pakistans Hauptexportprodukte, Reis und Baumwolle, günstig. Sich jährlich verdoppelnde Überweisungen der pak. Arbeiter im Ausland und ein günstiges Klima für Neuverschuldung und Umschuldung, waren P. behilflich. Inzwischen wachsen die Ernten weniger schnell, die Weltmarktsituation hat sich verschlechtert, die Überweisungen stagnieren und die Hilfe wurde gekürzt.

Weitere Faktoren, die die zukünftige Entwicklung der pak. Wirtschaft bestimmen, von P. aber nur bedingt beeinflußt werden können, sind 1. die Entwicklung der Weltenergiepreise, die terms of trade zwischen exportiertem Reis, Baumwolle, Häuten und Fellen einerseits und importiertem Weizen, Pflanzenöl und Tee andererseits, sowie die Aufnahmefähigkeit des Weltmarktes für pak. Verarbeitungsprodukte (vor allem Fertigtextilien) und Preise für industrielle Rohstoffe und Industrieerzeugnisse (Maschinen, Transportausrüstung); 2. die Entwicklung des Wechselkurses der inzwischen teilweise konvertiblen Rupie; 3. die Befreiung von den Beschränkungen des Symington Amendments und weiterer Auflagen sowie die Einräumung neuer Umschuldungen; 4. die wirtschaftliche Entwicklung der Haupthandelspartner und -geberländer.

Witterungsbedingte Schwankungen in der landw. Produktion, die bei den extremen klimatischen Bedingungen P.s sehr ausgeprägt sind, beeinflussen die gesamte Wirtschaft und alle Lebensbereiche. Die Voraussetzungen, mehrere schlechte Ernten ohne Schaden für die Wirtschaft zu überstehen, müssen erst geschaffen werden, d. h. eine entsprechende Vorratshaltung und die dafür erforderliche Logistik (Lagerräume etc.).

Das Bevölkerungswachstum hat Implikationen für die Nahrungsmittelversorgung, die Beschäftigung, den Wohnungsbau, das Erziehungs- und Gesundheitswesen. Da P. nach wie vor ein Agrarland ist und der industrielle Sektor noch nicht sehr groß ist, ergibt sich rein numerisch, daß der Hauptteil der Probleme, die in diesem Zusammenhang anfallen, im landw./ländlichen Bereich gelöst werden muß. Auswanderung und Abwanderung in die Städte bieten zwar aus individueller, nicht aber aus gesellschaftlicher Sicht eine Lösung, da sie zu strukturellen (sektoralen und regionalen) Problemen führen bzw. diese akzentuieren und/oder sie nur räumlich verlagern. Dadurch sind die Gestaltungsmöglichkeiten für die pak. Wirtschaftspolitik stark eingeschränkt, mehr noch die für eine sinnvolle Entwicklungshilfe.
 

Literatur (siehe auch die Bibliographie zu Bangladesh und Indien im Handbuch der Dritten Welt)

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