C. Rangarajan: Structural reforms in industry, banking, and finance. A case study of India. Singapore: Institute of Southeast Asian Studies (ISEAS). 2000. 61 S.

Buchbesprechung von Wolfgang-Peter Zingel.
Veröffentlicht in: Asien. Deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur. Hamburg: Deutsche Gesellschaft für asienkunde e.V.. ISSN 0721-5231.
 

Dr C. Rangarajan, von 1968 bis 1982 Professor für Wirtschaftswissenschaften am renommierten Indian Institute of Management in Ahmedabad und von 1992 bis 1997 Gouverneur der Reserve Bank of India, der indischen Zentral- und Notenbank, war Gouverneur von Andhra Pradesh, als er am 21. Februar 2000 in Singapur die India-ASEAN Eminent Persons Lecture hielt, deren Text den ersten Teil des Werkes bildet. Der zweite Teil besteht aus einem Anhang mit dem Titel "Banking sector reforms, 1992-1997", der bereits in "Managerial Challenges" (M. K. Raju Consultants, Chennai) erschien. Die Tatsache, daß der Autor die ersten Jahre der indischen Wirtschaftspolitik nach der Liberalisierung mitbestimmen konnte, macht die Schrift interessant. Er geht von der bedrückenden Wirtschaftslage Indiens Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre aus. Indien hatte endlich seine jahrzehntelange, als "Hindu-Wachstumsrate" verspottete, jährliche wirtschaftliche Wachstumsrate von 3,5 v.H. auf immerhin 5,6 v.H. erhöhen können, als es von der Kuwait-Krise erfaßt wurde: Die Ölimporte verteuerten sich von 3,7 Mrd. US$ auf 6,0 Mrd. US$. Mit der Verschlechterung der Zahlungsbilanz sank auch Indiens Kreditfähigkeit; zusätzliche Finanzmittel waren vom Ausland nur noch zu schlechteren Konditionen zu bekommen. Schlimmer als die Zahlungsbilanz entwickelte sich der Staatshaushalt, dessen Defizit 1991 besorgniserregende 8,3 v.H. des Bruttoinlandsprodukts erreichte. Zinszahlungen wurden zum größten Ausgabenposten und erreichten allein die Höhe von vier Prozent des BIP. Angesichts einer drohenden Katastrophe wagte sich die indische Regierung endlich an längst überfällige Strukturreformen und befreite die Wirtschaft aus der Zwangsjacke von Wirtschaftsplanung und Kontrollen. Die Politik der Importsubstitution, abgesichert durch Handelsbeschränkungen und Schutzzölle, hatte zu einem beträchtlichen technologischen Rückstand (technological lag) geführt. Wie der Autor ausführt, gibt es aber nicht nur ein Marktversagen (market failure), sondern auch ein Staatsversagen (government failure), aus dem sich Indien mit den Wirtschaftsreformen des Jahres 1991 zu befreien suchte.

Die Wirtschaft reagierte auf die Liberalisierung positiv, die Wachstumsrate stieg in den Jahren 1992/93 bis 1998/99 auf durchschnittlich 6,55 v.H.; die "Asiatische Wirtschaftskrise " der späten neunziger Jahre ging an Indien fast spurlos vorüber.

Die Liberalisierung blieb in Indien nicht ohne Kritik: zum einen wird das zu geringe Tempo kritisiert und zum anderen die sozialen Folgen. So scheint der Bevölkerungsteil, der seine Grundbedürfnisse nicht decken kann (poverty ratio), zugenommen zu haben; doch für eine endgültige Einschätzung ist die Datenbasis zu schmal. Im Bildungs- und Gesundheitswesen hinkt Indien immer noch hinter anderen asiatischen Staaten hinterher. Auch wenn Rangarajan grundsätzlich auf die Kräfte des Marktes vertraut, so schreibt er doch, daß mehr Markt nicht weniger Staat sondern einen anderen Staat bedeutet. Diesbezügliche Vorstellungen entwickelt er im Hinblick auf das Kreditwesen und die Telekommunikation. Der Text wird unterstützt durch eine Reihe von Indikatoren, deren Entwicklung in den achtziger und neunziger Jahren anhand von Tabellen und Graphiken aufgezeigt wird.

Bei der Diskussion der Bankenreform beginnt der Autor mit der Verstaatlichung der Banken in den Jahren 1969 und 1980. Er rechtfertigt diesen Schritt vor allem mit der Ausbreitung des Bankenwesens auf dem Lande und der Vorschrift, einen Teil der Kredite zu Vorzugskonditionen an ausgewählte Kriese, etwa Bauern, zu vergeben. Mit der Verringerung der Zinsdifferenz durch die Reformen wurde auch das Ausmaß der Quersubvention reduziert. Die Bestimmungen hinsichtlich der überfälligen Kredite (non performing assets ) wurden verschärft, die Anforderungen an das Eigenkapital erhöht und die Bankenaufsicht verschärft. Als Ziel sieht Rangarajan ein dynamisches Finanzsysten, das aus eigener Kraft auf die sich ändernden Rahmenbedingungen reagieren kann und seine Fehler selbst korrigiert.

Auf Andhra Pradesh, seine neue Wirkungsstätte, geht der Autor nicht ein. Die angesprochenen Themen werden kompetent und verständlich behandelt. Das Werk sollte in keiner Sammlung fehlen, die sich mit aktuellen Wirtschaftsfragen Indiens oder ganz allgemein mit der Frage wirtschaftlicher Liberalisierung beschäftigt. Informationen zu den Publikationen des ISEAS finden sich im Internet unter http://www.iseas.edu.sg/pub.html.



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