Wolfgang-Peter Zingel
Südasien-Institut der Universität Heidelberg, Abteilung internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik

PAKISTAN - Sozialstruktur
Eine gekürzte Fassung erschien in Munzinger-Archiv / Länder aktuell, Ravensburg, 25/97. Abweichungen von der Druckfassung in eckigen Klammern: [...].

Bevölkerung: Die Bevölkerung Pakistans setzt sich überwiegend aus indo-europäischen Volksgruppen zusammen, die Sprachen der indischen (Urdu, Punjabi, Sindhi), iranischen (Pushto, Baluchi), dravidischen (Brahui) sowie kleinerer Sprachfamilien (Dard-Sprachen) sprechen. Genaue Zahlen gibt es nicht; die Angaben der Volkszählung über die Muttersprache können als Näherungsgröße für die ethnische Zusammensetzung verwendet werden. Die nach der Teilung Indiens (1947) vor allem aus dem heute indischen Unionsstaat Uttar Pradesh stammenden Urdu-sprechenden Einwanderer (mohajirin) konzentrieren sich seitdem in Karachi. Die mehr als 3 Mio Afghanen, meist Pashtunen, die vor den Sowjets in den Jahren 1979 bis 1989 geflohen waren, wurden vor allem in den grenznahmen Pashtu-Gebieten der NWFP und Baluchistans sowie in Karachi aufgenommen; bis Ende 1996 gingen mehr als die Hälfte zurück, dafür kamen als Folge des Bürgerkrieges neue Flüchtlinge.

Die Volkszählung 1991 wurde wegen grober Unregelmäßigkeiten abgebrochen; die für März/April 1994 angesetzte Wiederholung wurde kurzfristig auf unbestimmte Zeit verschoben; im November 1996 wurde die Volkszählung von der Übergangsregierung für Januar 1997 angesetzt. Verläßliche neue Angaben liegen deshalb nicht vor. Grundlagen "aktueller", meist auf offiziellen Angaben beruhenden, Zahlen sind nach wie vor die Volkszählung von 1981 sowie einige Mikrozensen. Folgt man der offiziellen Fortschreibung, so betrug die Einwohnerzahl 1996 132 Mio., viermal so viel wie zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit. Die Bevölkerungsdichte wäre demnach im Landesdurchschnitt 165 Einw./km2: bei Annnahme einer im Lande einheitlichen Bevölkerungszunahme im Punjab 360, im Sind 211, in der NWFP 212, in Belutschistan 20, in den Stammesgebieten der FATA 125 und im Gebiet der Hauptstadt Islamabad 552. Die Übergangsregierung Mairaj Khalid kündigte im November 1996 eine neue Volkszählung im Januar 1997 an, die sich aber kaum in der kurzen Vorbereitungszeit realisieren lassen dürfte.

32 % der Bevölkerung leben (1993) in den Städten. Die jährliche Bevölkerungszunahme wird mit 3,0 % angegeben. 1981 waren 45 % der Bevölkerung unter 15 Jahre alt, 39 % im Alter von 15-45 Jahren.

Sprachen: Die Nationalsprache Urdu wird nur von (1981) 7,6 % der Bevölkerung als Muttersprache gesprochen, aber allgemein mehr oder weniger verstanden. Als Geschäfts-, Amts- und Bildungssprache fungiert noch immer Englisch, das nach der Verfassung von Urdu abgelöst werden soll. Als Umgangssprachen dienen die Regionalsprachen Punjabi (48,2 %), Sindhi (11,8 %), Pushto (13,1 %) und Baluchi (3,0 %) und im Grenzgebiet von Punjab und Sind das dem Sindhi verwandte Siraiki (9,8 %), lokal auch noch Gujarati, Brahui und weitere Sprachen. Alle Sprachen (außer Englisch) werden mit arabisch-persischen Zeichen geschrieben.

Als Schriftsprache hat von den Regionalsprachen nur Sindhi größere Verbreitung. Bildungssprachen sind auch Arabisch (Koran) und Persisch (Literatur). Die Verbreitungsgebiete der Regionalsprachen decken sich nicht mit den Provinzen; Urdu wird vor allem in Karachi gesprochen.

Soziale Einrichtungen

Sozialgesetzgebung:Die soziale Absicherung erfolgt außerhalb des staatlichen Sektors und einiger privater Großunternehmen nach wie vor durch die Familie. Die Bestimmungen der Sozialgesetzgebung werden bei weitem nicht eingehalten. Eine Verordnung von 1965 regelt den Anspruch der Arbeitnehmer auf Geld- und Sachleistungen bei Krankheit, Arbeitsunfällen, im Alter und bei Invalidität durch staatl. Fonds (aus Beiträgen von Arbeitnehmern und -gebern); Unterstützung von Kindern, Frauen, Straftätern und Behinderten erfolgt durch den National Council of Social Welfare, Altenversorgung durch die staatl. Lebensversicherungsgesellschaft (seit 1976).

Das von der Regierung Nawaz Sharif 1992-93 begonnene und auf drei Jahre angelegte "Social Action Programme" (SAP) wurde von der Regierung Benazir Bhutto verlängert und in den Fünfjahresplan 1993-98 übernommen. Es zielt auf Verbesserungen in der Grundschulerziehung, der Gesundheitsbasisversorgung, Ernährung, Familienplanung und der ländlichen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Der Economic Survey 1995-96 weist eine fast durchweg hundertprozentige Zielerreichung aus - Zahlen die nach dem Sturz der Regierung Benazir Bhutto revidiert werden dürften. Die umstrittenen "Public Transport Scheme" ("Yellow Cabs") und "Self Employment Scheme" der Regierung Nawaz Sharif waren bereits von der Übergangsregierung Moeen Qureshi 1993 beendet worden.

Gesundheitswesen:Es fehlt vor allem auf dem Land an Ärzten. 1995 gab es nach offiziellen Angaben 823 Krankenhäuser mit 85.552 Betten sowie weitere 10.744 Gesundheitseinrichtungen, von den Ambulanzen (dispensaries) bis zu den ländlichen Gesundheitszentren.1995 waren 69.694 Ärzte, 2.753 Zahnärzte, 4.277 Gesundheitsberaterinnen (lady health visitors), 20.869 Hebammen und 22.531 Krankenschwestern registriert; ein großer Teil der Ärzte praktiziert im Ausland. Die Säuglingssterblichkeit sank von 142 je 1.000 Geburten seit 1970 auf 885 im Jahre 1993; die Kindersterblichkeit gehört mit 137 zu den höchsten der Welt.

Recht und Justiz: Im Zivilrecht gelten im Wesentlichen die Rechtsbestimmungen des Common Law der Kolonialzeit (erneuert und vereinfacht). Im Familien- und Erbrecht gilt religiöses Recht, für Muslime nach sunnitischem Ritus (sharia). Nach der Verfassung von 1973 sind die Gerichte wie folgt aufgebaut: Supreme Court of Pakistan mit Sitz in Islamabad, bestehend aus dem Obersten Richter (Chief Justice) und anderen Richtern, alle vom Präsidenten ernannt. Der Oberste Gerichtshof ist oberstes Appellationsgericht, außerdem kann es bei Streitigkeiten zwischen zwei Regierungen (Bund und/oder Provinz(en)) entscheiden. In jeder Provinz gibt es ein Obergericht (High Court) als Berufungsinstanz. Daneben gibt es gesonderte Verwaltungsgerichte. Mit Aufhebung des Kriegsrechts am 30.12.1985 wurden auch die Militärgerichte aufgelöst und eine Reihe von Sonderbestimmungen aufgehoben. Mit der Control of Narcotic Substances Ordinance, 1995, wurde die Todesstraße für den Rauschgifthandel eingeführt.

Seit 1976 gibt es als gesonderte Kammern an den Gerichten die "Shariat Benches", die nach islamischem Recht urteilen; 1980 wurde der "Federal Shariat Court" eingerichtet, der die Vereinbarkeit der Gesetze und anderer Rechtsbestimmungen mit dem Koran überprüft. 1988 wurde die sharia als oberstes Recht des Landes bestimmt.

Religion:97 % der Bevölkerung sind, meist sunnitische, Muslimen; der Anteil der Shiiten wird auf 15 % bis 20 % geschätzt. Die Ahmadiyyas wurden 1974 zu einer nicht-islamischen Sekte erklärt; bei der letzten Volkszählung 1981 waren es 0,1 Mio, wahrscheinlich sind es sehr viel mehr. 1,6 % sind Christen, 1,5 % Hindus; ferner gibt es einige Parsen und Buddhisten. Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit, doch ist der Islam Staatsreligion. Bei den Parlamentswahlen wird nach Religionen getrennt gewählt. 1970 wurde die Church of Pakistan als Vereinigung der Anglikanischen, Methodistischen, Lutheranischen und Schottischen Kirche gegründet. Die Römisch-katholische Kirche ist in 1 Erzbistum (Karachi) und 5 Suffraganbistümer gegliedert.

Volksbildung:26,2 % der Bevölkerung, 10 Jahre und älter, wurden 1981 als Alphabeten ermittelt: 35,1 % der Männer und 16,0 % der Frauen; auf dem Lande ist die Alphabetenrate mit 17,3 % weniger als halb so hoch wie in der Stadt (47,1 %). Während die Alphabetenrate der Männer in Islamabad 71,3 % betrug, war sie bei den Frauen in den Stammesgebieten der FATA mit 0,8 % extrem niedrig. Der Anteil der funktionalen Alphabeten dürfte noch darunter liegen; Pakistan ist damit eines der Schlußlichter im internationalen Vergleich. Eine allgemeine Schulpflicht gibt es nicht, sie wäre angesichts überfüllter Schulen auch kaum realisierbar. Nach Angaben der Weltbank waren 1993 80 % der Knaben und 49 % der Mädchen im Grundschulalter als Schüler registriert; die Schule; von den Knaben und Mädchen, die 1988 eingeschult worden waren, erreichten 55 % resp. 45 % vier Jahre später die vierte Klasse.

Schulen:1992 wurde die neue Erziehungspolitik verkündet mit dem Ziel einer vollständigen Alphabetisierung bis 2002; private Einrichtungen sollen dabei eine wichtige Rolle spielen. 1972 waren fast alle privaten Bildungseinrichtungen verstaatlicht worden; angesichts des unzureichenden staatlichen Bildungssystems entstand seit Ende der 70er Jahre ein Wildwuchs privater Schulen, vielfach aus kommerziellen Motiven. Der Standard der Ausbildung ist von Schule zu Schule sehr unterschiedlich, der Anteil der vorzeitigen Abgänger (drop outs) ist hoch; alle Statistiken geben nur die Zahl der eingeschriebenen Schüler (enrollment) an; der tatsächliche Besuch dürfte wesentlich geringer sein. Die Zahl der Schulen, Schüler und Lehrer wurde im letzten Jahrzehnt dramatisch erhöht: 1995-96 (1982-83 zum Vergleich) wurden 115.744 (71.358) Grundschulen (Klassen 1-5) mit (1994-95) 11,5 Mio. (6,2 Mio.) Schülern, 10.586 (5.432) Mittelschulen (Klassen 6-10) mit 3,5 Mio. (1,5 Mio.) Schülern und 9.657 (3.715) Höhere Schulen (high schools - Klassen 11-12) mit 1,3 Mio. (0,6 Mio.) Schülern gezählt. An ihnen unterrichteten (1995-96) 337.400 (168.100), 93.600 (55.100) bzw. 188.100 (70.400) Lehrer. Der Anteil der weiblichen Schüler stieg nur auf den weiterführenden Schulen: er beträgt jetzt 40 % (33 %) der Grund-, 31 % (26 %) der Mittel- und 29 % (24 %) der Oberschüler. Das Berufsschulwesen steckt noch immer in den Anfängen, in den 687 Secondary Vocational Institutions wurden 1994-95 94.000 Schüler unterwiesen.

Hochschulen: Die Hochschulausbildung beginnt nach 12 Jahren Schule und führt die (1994-95) 882.000 Studenten der 864 Colleges in wenigstens 2 Jahren bis zum B.A., und die 71.441 Studenten der 24 Universitäten, darunter 3 technische, 3 landwirtschaftliche, 1 medizinische und 1 Fern-Universität, in wenigstens 2 weiteren Jahren zum M.A., M.Sc., M.B.B.S., M.Phil. oder zum PhD. 26.857 Dozenten unterrichten an den Colleges und 6.979 an den Universitäten; die Studentenzahlen sind z.T. rückläufig.

Die staatlichen Aufwendungen für das Erziehungswesen beliefen sich 1995-96 auf 54 Mrd. pR - 2,5 % des Bruttosozialprodukts. Die traditionsreichsten und größten wiss. Einrichtungen sind die beiden Universitäten von Lahore (gegr. 1882 resp. 1951), die beiden Universitäten von Karachi (gegr. 1947 resp. 1951), die beiden Universitäten in Hyderabad (gegr. 1947 resp.1963) sowie die Landwirtschaftliche Universität von Faisalabad (als College gegr. 1909).

Erwachsenenbildung:Auf Grund des hohen Anteils von Analphabeten sind die Erfolge der Erwachsenenbildung bis jetzt bescheiden.


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