Wolfgang-Peter Zingel
South Asia Institute of Heidelberg University, Department of International and Development Economics

Buchbesprechung.  In: Asien. Hamburg: Deutsche Gesellschaft für Asienkunde 61(Oktober 1996). pp. 112-115.

L. L. Mehrotra, H. S. Chopra, Gert W. Kueck (eds.): SAARC 2000 and beyond. International seminar organised by India International Centre, Jawaharlal Nehru University, Konrad Adenauer Foundation. New Delhi: Omega Scientific. 1995. xvi, 420 pp. ISBN 81-85399-31-X. Rs 600 / US$ 60.

Der Sammelband enthält die Beiträge zu einem internationalen Seminar, gemeinschaftlich vom Indian International Centre, der Jawaharlal Nehru University und der Vertretung der Konrad Adenauer Stiftung (alle New Delhi) im März 1995 in der indischen Hauptstadt veranstaltet, kurz bevor sich die Führer der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) dort trafen. Teilnehmer waren Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler aus Südasien und Europa. Schon in der Liste der Vortragenden zeigen sich die Unterschiede in der Größe der Mitgliedstaaten und der bislang unüberbrückbare Gegensatz zwischen ihren beiden größten Mitgliedern, Indien und Pakistan, die die regionale Kooperation so schwierig machen. Indien überragt seine Nachbarn - die ihrerseits nicht aneinander grenzen - selbst zusammengenommen um ein Mehrfaches: es hat siebenmal soviele Einwohner wie Pakistan und fast fünftausend mal so viele wie die Malediven; der Fläche nach ist Indien viermal so groß wie Pakistan und mehr als zehntausendmal so groß wie die Malediven. Im Gegensatz zu anderen, erfolgreichen regionalen Zusammenschlüssen, läßt sie kein gemeinsamer Feind zusammenrücken; ganz im Gegenteil: Der Zwist zwischen Indien und Pakistan ließ ihre Bewerbungen in anderen Bündnissen scheitern. Entsprechend sind die Erfolge nach zehn Jahren SAARC nur bedingt beeindruckend.

Bei aller grundsätzlich positiven Einschätzung der Kooperation wissen die Verfasser - die meisten aus Indien, jeweils drei aus Nepal und Sri Lanka, zwei aus Pakistan, jeweils einer aus Bangladesh und Bhutan und keiner aus den Malediven - wenig Ermutigendes beizutragen. Sie sind sich über die grundsätzlichen Vorteile von regionalen Zusammenschlüssen (und über ihre Gefahren) im Klaren: aber kein einziger Beitrag stellt den "Gewinn" auch nur eines Mitgliedstaates heraus. In der Tat fragt man sich nach der Lektüre von mehr als 400 Seiten, was zum Beispiel ein Staat wie die Malediven von diesem Zusammenschluß eigentlich haben soll; die Staaten Südasiens öffnen sich ohnehin mehr nach außen: Sie haben begonnen, ihre jahrzehntelang gepflegte selbst auferlegte resp. selbst verschuldete Isolation, etwa im Zuge der Politik der self-reliance (vor allem in Indien), aufzugeben und ihre Wirtschaft zu liberalisieren.

Dieses Unbehagen wächst, wenn man nach Beispielen für eine geglückte Zusammenarbeit in Südasien sucht: alle Aussagen bleiben merkwürdig unverbindlich; die angeführte Nahrungsreserve (H. C. Rieger) mag da auch nicht überzeugen: allenfalls als symbolische Geste, aber nicht durch ihren ökonomischen Gehalt: ihr Umfang von 200.000 t macht weniger als 1 Prozent der indischen Reserven von zur Zeit mehr als 30 Mio. t aus und wäre bei gravierenden Ernteeinbrüchen auch in Pakistan oder Bangladesh nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Europäische Union und die Association of South East Asian Nations werden vorgestellt und als mögliche Vorbilder für die SAARC diskutiert. Während Reinhardt Rummel im Falle der EU auf die Unvergleichbarkeit der beiden Organisationen hinweist (p. 293 ff.), preist Primal Kumar Das die ASEAN als Muster ("role model") an (p. 283), ohne dies jedoch im Einzelnen zu zeigen. H. Elsenhans weist in seinem lesenswerten Beitrag entschieden darauf hin, daß sich die Europäischen Erfahrungen nicht auf die SAARC übertragen lassen; unklar bleibt aber, was den neo-funktionalistischen Ansatz ("Neo-functionalist integration aproach") exakt ausmacht.

Fast alle der 27 Beiträge, auf die nicht im einzelnen eingegangen werden kann, berühren das Kernproblem, den indisch-pakistanischen Konflikt; ein für deutsche Leser besonders interessanter Ansatz ist die von H. S. Chopra ausführlich beschriebene Geschichte des deutsch-französischen Verhältnisses: Wenn sich diese beiden Nachbarn nach mehr als 1100 Jahren versöhnen konnten, warum nicht auch Indien und Pakistan? Wenn dies jedoch der zeitliche Rahmen für derart schwierige Fälle sein sollte, so wird für Chopras Optimismus vorerst wenig Anlaß bestehen. Zudem ist die Nachbarschaft auf dem Subkontinent in ganz anderer Weise problematisch: hier handelt es sich nicht um konkurrierende Ansprüche auf die Erbmasse eines einstmals aufgeteilten Pufferstaates, der zum umkämpften Grenzgebiet wurde, sondern um zwei Völker (im Sinne der Zwei-Nationen-Theorie Jinnahs), die noch vor einem halben Jahrhundert im Wortsinne Tür an Tür wohnten. Flucht und Vertreibung und die immer mehr in Frage gestellte Rolle der nach der Teilung des Subkontinents anfangs staatstragenden Gruppen - jedenfalls der muhajir in Pakistan - behindern jede Annäherung.

Das Seminar hatte aber nicht nur den Zweck, die Situation zu beschreiben, sondern auch Vorschläge zu erarbeiten, die im Anhang vorgestellt werden: L. L. Mehrotra und Mohan Manju Sainju schlagen die Gründung eines SAARC-Instituts für Integrierte Entwicklung vor, das Visionen und Vorschläge für eine weitere Zusammenarbeit entwickeln und in der Öffentlichkeit propagieren soll. Diese Idee wurde von den Teilnehmern aufgegriffen und bildet einen Teil ihrer Empfehlungen an die Teilnehmer des "Gipeltreffens". Der Band erschien binnen weniger Monate nach dem Seminar; so blieb den Verfassern keine Möglichkeit, ihre Beiträge aufeinander abzustimmen, mit der Folge etlicher Wiederholungen. Daß bei dieser Eile der Index nicht allen Erwartungen gerecht wird und ein Beitrag dem Korrekturlesen entging, wird vielleicht kaum zu vermeiden gewesen sein; daß aber vor allem die Tabellen immer wieder unvollständig (Überschriften, Einheiten, Quellen) und zum Teil auch sichtlich falsch sind, irritiert. Und wenn sie richtig sind, stehen sie zuweilen im Widerspruch zu den Aussagen im Text, die sie eigentlich untermauern sollen. Um nur ein Beispiel zu nennen: So heißt es an einer Stelle, daß das Bevölkerungswachstum in den meisten Ländern der Region bei weitem das Wachstum des landwirtschaftlichen Sektors übertroffen habe (p. 171); nur wenige Seiten weiter werden in demselben Aufsatz die beeindruckenden Produktionssteigerungen im Getreidebau belegt (p. 178); für Indien werden sogar die Wachstumsraten für den Zeitraum 1949/50 bis 1990/91 errechnet: die Erzeugung von Nahrungsgetreide wuchs demnach mit 2,88 % im Jahr deutlich schneller als die Bevölkerung mit 2,12 % (p. 179). Manche Zahlen sind schon von der Dimension her falsch: an einer Stelle ist die Zahl der Schulen größer als die der Schüler (p. 156), an anderer Stelle macht die Ackerfläche nur 10 % der Gesamtfläche Bangladeshs aus (p. 172), an einer dritten hat Südasien 11 Milliarden Einwohner (p. 200). Modellrechnungen, nach denen die Armut bis zum Jahre 2002 ausradiert werden kann (p.224), lassen sich natürlich mit entsprechend unrealistischen Annahmen anstellen, Sie bestärken jedoch nur diejenigen, die Wissenschaftlern keine Lösungskompetenz zutrauen. Derlei Nachlässigkeiten und Gedankenlosigkeiten sind dann besonders beklagenswert, wenn die Seminarteilnehmer hoffen - wie im vorliegenden Fall -, einen konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung der SAARC zu leisten.

Daß ein Abbau der regionalen Spannungen Mittel als "Friedensdividende" freisetzen würde, die für Entwicklungsaufgaben, etwa für Erziehung und Gesundheit, genutzt werden könnten, ist unbestritten; der Zusammenhang ist aber nicht zwingend, wie ein Vergleich mit den wirtschaftlich erfolgreichen Staaten Ost- und Südostasiens, die zum Teil erhebliche Aufwendungen für das Militär tätigen, zeigen würde. In jedem Fall muß der Konflikt im gesamt-asiatischen Zusammenhang gesehen werden: Während Pakistan zur Begründung seiner hohen Rüstungsausgaben immer wieder auf die Bedrohung durch den übermächtigen Nachbarn hinweist, sieht sich Indien nicht nur von Pakistan, sondern auch von China bedroht.

Daß die regionale Zusammenarbeit zu einem Abbau der Armut führten würde, ist denn auch wenig mehr als optimistische Erwartung; die Ausführungen bleiben hier vage..

Es fällt schwer, einzelne Beiträge herauszustellen. Parvez Iqbal Cheema aus Pakistan und Jasjit Singh aus Indien haben interessanterweise das Wettrüsten in Südasien unter identischen Titeln beschrieben. S. D. Muni beklagt die Marwari-Psyche der indischen Politik. Die Beiträge zu den wirtschaftlichen Fragen sind dagegen meist weniger konkret. Überraschend ausführlich wird die indische Molkereiwirtschaft beschrieben und als nachahmenswertes Muster vorgestellt. Dies gilt zumindest für die Malediven nicht, die gar keine Molkereiwirtschaft haben, und ist im Falle Pakistans wenig überzeugend: dort ist nämlich der Milchertrag pro Kuh höher als in Indien, wie der Autor in seiner Tabelle ausweist (p. 182 ff.). Zu einer erfolgreichen Nachahmung wäre vielleicht auch eine massive finanzielle Unterstützung von außen wie im Falle Indiens erforderlich: Daß die Europäische Union die Operation Flood durch die Lieferung von Milchprodukten im Umfang von 1 Mrd. DM erst ermöglichte, wird an keiner Stelle erwähnt.

Die Auswahl (und Nicht-Auswahl) der Themen und die Art und Weise ihrer Behandlung in diesem Band erlauben Rückschlüsse auf den gegenwärtigen Stand der Diskussion eines intensiveren Zusammengehens der südasiatischen Staaten und ist deshalb Sozialwissenschaftlern, die an aktuellen Problemen arbeiten, zur Lektüre empfohlen.
 

Wolfgang-Peter Zingel
Südasien-Institut der Universität Heidelberg, Abteilung Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik


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