Wolfgang-Peter Zingel
South Asia Institute of Heidelberg University, Department of International and Development Economics

Book review, published in:  Periplus 2000. 10. .Jahrbuch für außereuropäische Geschichte. 10. Jg. Münster: Lit. 2000. pp. 231-233. ISBN 3-8258-5071- 4.

Peter Feldbauer, Gerd Hardach, Gerhard Melinz (Hg.): Von der Weltwirtschaftskrise zur Globalisierungskrise (1929-1999): Wohin treibt die Peripherie?  Historische Sozialkunde 15 / Internationale Entwicklung. Frankfurt: Brandes & Apsel /Südwind. 1999. 242 S. ISBN 3-86099- 175-2
 

Das Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung fasziniert Laien und Fachleute seit langem. Kein Tag, an dem nicht über das Ende des derzeitigen Wirtschaftsbooms spekuliert würde. Dabei hängt die Sichtweise davon ab, in wieweit man davon professionell oder persönlich betroffen ist. Wirtschaftswissenschaftler werden in ihrem Studium mit Konjunkturtheorie konfrontiert, einer Teildisziplin jüngeren Datums (d.h. des 20. Jahrhunderts), die diesem Thema gewidmet ist und ein umfangreiches Schrifttum hervorgebracht hat. Die Wirtschaftspresse beschäftigen sich täglich mit der Frage, ob mit einem Einbruch der Weltkonjunktur zu rechnen ist, angereichert mit Beispielen von Wirtschaftskrisen aus den letzten Jahrhunderten. Umso mehr erstaunt der Anspruch des vorliegenden Buches ein Tabu zu brechen, denn auf der Rückseite heißt es: "Die lange Zeit tabuisierte Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre gerät wieder ins Blickfeld." Und daß wir uns in einer "Globalisierungskrise" befinden, die mit der Weltwirtschaftskrise verglichen werden kann, wie dies im Titel des Buches nahegelegt wird, mag bezweifelt werden. Daß die Krise von 1997 nicht weltweit war, widerspiegelt sich im inzwischen gebräuchlichen Begriff "Asienkrise". Von einer globalen Krise kann nicht gesprochen werden und auch nicht von einer Krise der Globalisierung (die sich nach Vorlage des Buches abzeichnende Energiekrise erinnert mehr an die der siebziger Jahre).

Die Länder und Regionen der Welt haben an dem weltweiten Wirtschaftsaufschwung des letzten halben Jahrhunderts in höchst unterschiedlichen Maße teilgenommen; dies näher zu untersuchen, ist die verdienstvolle Aufgabe der 14 Beiträge. Es wäre aber hilfreich für den Leser gewesen, den nicht überall gleich verstandenen Begriff der "Peripherie" zu definieren. Die regionalen Beispiele stammen nämlich nicht nur aus der ehemaligen "Dritten Welt"; die Staaten des einstigen Ostblocks werden explizit nicht behandelt, auch wenn sie sich heute in der internationalen Rangordnung der wirtschaftlichen Entwicklung hinter etlichen ehemaligen "Entwicklungsländern" finden.

Der einleitende Beitrag von Peter Feldbauer und Gerd Hardach vertieft die im Titel des Buches aufgeworfene Frage "Von der Weltwirtschaftskrise zur Globalisierungskrise: Wohin treibt die Peripherie?" Die Diskussion wird von Gerhard Melinz ("Weltwirtschaftskrise und "Globalisierungskrise" als interpretative Herausforderung") vertieft. Es folgen elf Fallstudien aus fast allen Kontinenten von Gerd Hardach (Von Marienthal [Deutschland] nach Kenosha [USA]), Wolfram Menzenreiter (Japan in der Krise: Plus ça change?), Dietmar Rothermund (Indien und der Weltmarkt, 1929-1999), Rüdiger Korff (Krisen der Weltwirtschaft und der Staaten: Überlegungen zur Situation Südostasiens), Gerhard Melinz (Krise als Übergang: Die Erfahrung der Türkei),  [S cedille]efik Alp Bahadir (Von der Kolonialisierung zur Kolonisierung: Das Scheitern des nationalen Entwicklungsstaates in Ägypten), Christian Suter (Weltwirtschafts- und Globalisierungskrise in Lateinamerika: Ursachen, Folgen, Überwindungsstrategien), Andreas Novy und Anna C. Fernandes (Krise als Normalzustand?   Kleine und große politökonomische Veränderungen in Brasilien), Peter Feldbauer und Christof Parnreiter (Mexiko: Krisen und Entwicklungschancen. Sind große Depression und die Globalisierungskrise vergleichbar?), Helmut Bley (Afrika in den weltwirtschaftlichen Krisenperioden des 20. Jahrhunderts) und Albert Wirz (Der gestrauchelte Leviathan. Zentralafrika zwischen Weltwirtschaftskrise und Globalisierungskrise). Den Abschluß bildet der Beitrag von Harold James (Im Teufelskreis der Depression. Die aktuelle Krise hat Parallelen zur Weltwirtschaftskrise vor dem Zweiten Weltkrieg), der 1998 bereits in der ZEIT erschien. Eine zusammenfassende oder vergleichende Analyse aller Beispiele findet sich in dem Band nicht, sie wäre zusammen mit einem Abriß der Krisen im historischen Ablauf der untersuchten Periode sowie einem kurzen Glossar für denjenigen Leser hilfreich, der nicht über Fachkenntnisse in allen angesprochenen Disziplinen verfügt.

"Die Publikation hat sich zum Ziel gesetzt", so heißt es in der Einleitung, "Lehrerinnen und Lehrer aus allgemeinbildenden und berufsbildenden höheren Schulen mit neuen Tendenzen einer sozialwissenschaftlich orientierten Geschichte vertraut zu machen." Und etwas später, im ersten Beitrag, "... betrachten die Beiträge ... die Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie nicht aus einer strukturellen, sondern aus einer konjunkturellen Perspektive." [p. 9]. In den Fallstudien wird in der Tat detailliert und kenntnisreich die konjunkturelle Entwicklung der untersuchten Länder dargestellt; es ist aber schwerer, ein einheitliches Muster zu entdecken. Dem entspricht auch die Tatsache, daß die Entwicklung der von der Weltbank in ihren Berichten herangezogenen Indikatoren zur Sozial- und Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte auch innerhalb der einzelnen Weltregionen, innerhalb gleicher Zeiträume und in Ländern mit ähnlicher Ausgangslage sehr unterschiedliche Verläufe zeigen. In diese Richtung deutet auch der übergreifende Artikel zu Afrika, der darauf hinweist, daß man "über die  Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Generaltrends ... Aussagen machen [kann], aber es ist fast unmöglich, Kausalitäten zu isolieren, daß diese Krisen grundlegende Strukturwandel ausgelöst haben könnten." [p. 212] Um dieses Ziel dennoch zu erreichen, wäre es zu wünschen, daß die Arbeit an dem Projekt fortgeführt und vertieft wird. Vielleicht ließen sich Phasen von Wirtschaftskrisen bestimmen und mit ihrer Hilfe die Länderstudien vergleichen. Von didaktischem Interesse wäre, zumindest aus der Sicht des Ökonomen, wenn man aufzeigen könnte, daß und mit welchen Instrumenten Krisen erfolgreich gemeistert werden können; auch, daß sich diese Erfolge zuweilen auch mit unterschiedlichen Instrumenten erzielen lassen.

Auf die einzelnen Beiträge kann hier nicht eingegangen werden; quantitative Angaben sind wie immer mit Vorsicht zu genießen. Auf Seite 78 ist die Ölproduktion in Milliarden Tonnen angegeben statt in Millionen, dafür auf Seite 119 die Auslandsschulden in Millionen US-Dollar statt in Milliarden; eine Verschlechterung der terms of trade um 1920 % deutet auf eine andere als die übliche Bezugsgröße hin (S. 187), und daß die Bevölkerung "etwa um die Hälfte dezimiert wurde" (S. 228) unterstreicht die Dramatik der Entwicklung in unnötiger Weise. Die Vorbehalte gegen die "Dienstleistungsökonomie" (p. 140f.) stehen ganz im Gegensatz zu den Beiträgen die Tourismus, Softwareentwicklung, Finanzdienstleistungen und Arbeitskräfteexport zur wirtschaftlichen Entwicklung von immer mehr Ländern leisten: Dienstleistungen sind der dynamischste Teil des Welthandels; Dienstleistungen sind auch ebenso "wertschaffend" wie traditionellere Formen der Produktion, wie sich zum Beispiel an den engen Substitutionsbeziehungen etwa zwischen dem Nachrichtenwesen und dem produzierenden Gewerbe zeigen läßt, da verbesserte Information zu einer effizienteren Kapitalnutzung (im Sinne von physischem Kapital) führt.

Die Lektüre des Bandes vermittelt in jedem Fall eine Vorstellung davon, daß sich die wirtschaftlichen Prozesse von Land zu  Land höchst unterschiedlich gestalten und weckt Interesse an jedem einzelnen Fall. Zugleich zeigt sich, wie die wirtschaftliche Entwicklung praktisch aller Länder nicht erst seit der heute viel beschriebenen Globalisierung voneinander abhängt. Der Band sei Historikern wie Ökonomen zur Lektüre empfohlen.



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