Wolfgang-Peter Zingel
Südasien-Institut der Universität Heidelberg, Abteilung Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik

BANGLADESH - Sozialstruktur

Bevölkerung: Die Bevölkerung ist ethnisch weitgehend homogen: 98 % sind Bengalen. Die nach der Teilung des Subkontinents (1947) eingewanderten und meist Urdu sprechenden, muslimischen 1 Mio. bis 1,5. Mio Flüchtlinge aus Indien, nach ihrer Herkunftsregion nicht ganz zutreffend "Bihari" genannt, integrierten sich kaum; ihre Parteinahme zugunsten der (west-)pakistanischen Zentralregierung während des Sezessionskrieges (1971) führte zu Pogromen auf beiden Seiten. Mehrere Hunderttausend leben noch immer in Lagern und hoffen auf eine Umsiedlung nach Pakistan. Die Stammesbevölkerung zählte 1991 1,2 Mio.; ein Drittel von ihnen lebt in den Chittagong Hill Tracts (CHT); fast die Hälfte sind Buddhisten, die übrigen Hindus, Christen und Animisten; die größten Stämme sind die Chakmas, Marmas, Tripuras und Mros. Durch zu Zuwanderung von Bengalen stellen sie auch in den CHT in Rangamati nur noch etwas mehr, in Khagrachari und Bandarban nur noch knapp die Hälfte der Bevölkerung [SYB 1996 33-34]. Bis in die Gegenwart kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen dieser, weitgehende Autonomie fordernden, Stämme mit bengalischen Siedlern, der Polizei und dem Militär. Am 9.3.1997 wurde eine Einigung zwischen den Aufständischen und der Regierung erzielt, die ihnen eine lokale Autonomie gewährleisten soll.

Sprachen: 98,4 % der Bevölkerung sprechen Bengali, 0,6 % Urdu, 0,2 % Oriya und 0,8 % Dialekte tibeto-birmanischer Sprachen (Chittagong Hill Tracts). Englisch wird zunehmend von Bengali als Verwaltungs- und Geschäftssprache abgelöst.

Bevölkerungsstatistik: Bangladesh ist der am dichtesten bevölkerte Flächenstaat der Erde; der Einwohnerzahl nach steht B. - vor Japan - an 8. Stelle. Die UN rechnen mit einer Bevölkerung von 128,3 Mio. Einw. im Jahre 2000; das wären 890 Einwohnern je km2. Die dritte Volkszählung ermittelte für den Stichtag (11.3.1991) eine Bevölkerung von 106,3 Mio.; korrigiert um die amtlich festgestellte Unterzählung betrug sie 111,5 Mio.; auf 100 Frauen kamen 106 Männer. Die Bevölkerungswachstumsrate verringerte sich nach Weltbankangaben [WDR 1997] von jährlich 2,4 % in den 80er Jahren auf 1,6 % in der ersten Hälfte der 90er Jahren; nach Angaben des UNDP [HDR 1997] wäre sie noch geringer bei einer Geburtenrate von 24 und einer Sterberate von 10 je 1.000 Einwohner; das durchschnittliche Heiratsalter beträgt 1996 28 Jahre für Männer und 20 Jahre für Frauen [SYB 1996t : 31]. 11,7 Mio. Einwohner, 10,5 % der Bevölkerung, lebten 1991 in den 107 Städten (municipalities). Dhaka hatte 3,84 Mio. Einwohner (mit Vororten 6,95 Mio.) und ist eine der am schnellsten wachsenden Städte Asiens; Chittagong mit 1,60 Mio. (2,35 Mio.), Khulna mit 0,73 Mio. (1,00 Mio.) und Rajshahi mit 0,32 Mio. (0,54 Mio.) sind die nächstgroßen Städte; insgesamt gibt es 25 Großstädte [SYB 1996 : 26-28]. Nach UNDP [HDR 1997 : 193] hatte Dhaka 1995 7,8 Mio. Einwohner. Die Zahl der Wohnungslosen wurde mit 0,5 Mio. ermittelt. Durchschnittlich 5,5 Personen (1981: 5,8) leben in einem Haushalt. 1981 waren 46,7 % der Bevölkerung unter 15 und 5,6 % über 60 Jahre alt. 88 % der Männer und 63 % der Frauen im Erwachsenenalter sind (1990-91) wirtschftlich aktiv [UNSD 1997]. Die Zahl der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten wurde 1995 auf über 30 Mio. oder 60,5 % der Erwerbsbevölkerung geschätzt.

Sozialgesetzgebung: Die soziale Absicherung erfolgt durch die Familie. Angehörige des öffentlichen Dienstes und einiger Großbetriebe sind in begrenztem Umfang bei Invalidität, Krankheit und Alter abgesichert.

Gesundheitswesen: Armut, unzureichende Hygiene und das tropische Klima beeinträchtigen die Gesundheit der Bevölkerung. Die Arbeit der Landbevölkerung auf den überfluteten Reisfeldern fördert Erkrankungen wie Malaria, Rheuma, Typhus, Pocken, Cholera. Die Ernährung hat sich seit den Hungerjahren während des Unabhängigkeitskrieges (1971) und den Mißernten (1974) etwas verbessert; nach UNDP-Angaben wurden 1993 aber nur 97 % der Nahrungsproduktion pro Kopf von 1979-81 erreicht; 1992 standen pro Kopf 2019 Kcal zur Verfügung: 67 % der Kinder, jünger als 5 Jahre alt, leiden (1990-96) an Unterergewicht; 115 von 1.000 Kindern sterben während der ersten fünf Lebensjahre. Nur 48 % der Bevölkerung haben Zugang zu sanitäre Anlagen (1980-96). Die Lebenserwartung eines Neugeborenen konnte auf (1994) 56,4 Jahre gesteigert werden - deutlich weniger als im benachbarten Indien; häufigste Todesursachen sind Lungenentzündung, Tuberkulose, Malaria und Ruhr.

Medizinische Versorgung: 1995 gab es 933 Krankenhäuser (davon 645 staatliche) mit 37.131 Betten, 26.482 Ärzte, 13.830 Krankenschwestern und 1.100 Hebammen (nzr registrierte; 1993: 10.104). Der medizinische Nachwuchs wird in 13 Medical Colleges ausgebildet. Die staatlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen machten 1995/96 1,2 % des BIP (bis 1991/92 weniger als 1,0 %) aus. [SYB 1996 : 571-581].

Rechtsordnung: Das Recht ist im wesentlichen auf dem früheren britischen Recht in Indien und auf islamischer Überlieferung aufgebaut. Personenstandsfragen der Moslems werden nur nach islamischem Recht geregelt. Die Todesstrafe ist zulässig; sie wird auch verhängt und vollstreckt.

Gerichtsverfassung: Das ehemalige ost-pakistanische Obergericht (High Court) in Dhaka wurde 1972 in den Obersten Gerichtshof (Supreme Court unter einem Chief Justice) mit einer High Court Division und einer Appelate Division umgewandelt. Die High Court Division hat Rechtsprechungsbefähigung in Berufungs- und solchen Fällen, die es direkt an sich zieht, und ist zuständig für ganz Bangladesh. Im Bereich der Appleate Division liegt es, Berufungen gegen Urteile, Verordnungen, Befehle und Strafverkündigungen des High Court anzuhören und über deren Rechtmäßigkeit zu urteilen. Im Zuge der Verwaltungsreform wurden Obergerichte (Circuit Benchesdes High Court) in Comilla, Sylhet, Chittagong, Barisal, Jessore und Rangpur eingerichtet. Es gibt Straf- und Zivilgerichte in den Distrikten (zila) und Polizeibezirken (thana). Den Distriktrichtern sind ein oder zwei Beigeordnete Distriktrichter" mit derselben Befugnis beigegeben. Dem Distriktrichter wiederum sind am Sitz des Gerichts mehrere Unterrichter untergeordnet. Vorsitzender einer "Unterabteilung" ist ein munsif. Es gibt gesonderte Arbeits- und Familiengerichte. In Dhaka, Chittagong und Khulna wurden Metropolitan Magistrates eingerichtet. Das Kriegsrecht wurde 1986 aufgehoben.

Religion: Die Verfassung garantiert Glaubensfreiheit. 88,3 % (1991) der Bevölkerung sind, meist sunnitische, Muslime, 10,5 % Hindus (überwiegend Angehörige der untersten, "scheduled", Kasten), 0,6 % Buddhisten, 0,3 % Christen (jeweils etwa zur Hälfte Katholiken und Protestanten) und 0,3 % "sonstige" (u. a. Anhänger von Stammesreligionen). Der Anteil der Muslimen nimmt ständig zu (1951: 76,9 %), zu Lasten der Hindus (1951: 22,0 %) [SYB 1996 : 32].

Volksbildung: Bangladesh zählt zu den Schlußlichtern im internationalen Vergleich. Das Bildungswesen wurde jahrzehntelang vernachlässigt; nur 35,3 % (1995/96) der Bevölkerung (15+) können lesen und schreiben (1989/90: 29,3 %). Der Anteil der Analphabeten ist vor allem bei den Älteren, den Frauen und auf dem Lande hoch. Für die Bildung gibt der Staat (1995/96) 3,3 % des BIP aus (1989/90: 2,1 %). [SYB 1996 : 513, 163].

Schulen: Es besteht keine allgemeine Schulpflicht; sie könnte bis auf weiteres aufgrund des Mangels an Lehrern, Schulen und Unterrichtsmaterial auch nicht verwirklicht werden. Für den Unterricht wird eine nominale Gebühr erhoben, teurer sind Schulkleidung, Bücher und die verbreiteten Nachhilfestunden. An der Ausbildung sind auch die (1004/95) 5.977 Madrasas (Koran-Schulen) beteiligt. Von den 5-9jährigen besuchen (1993/94) 95 % eine Schule und von den 10-14jährigen (1992/93) 32 %. 1994/95 gab es 62.617 Grundschulen mit durchschnittlich 4 Lehrern und 262 Schülern, 12.553 mittlere und höhere Schulen mit durchschnittlich 12 Lehrern und 420 Schülern [SYB 1996 : 513]. Der Anteil der Mädchen ist vor allem in den höheren Klassen deutlich geringer als der der Jungen; es gibt keine Koedukation. Das Berufsbildungswesen ist wenig entwickelt.

Hochschulen: Von den 2.845 Colleges führen 1.421 bis zum Abschluß der 12. Klasse (intermediate) und 1.424 zum degree (B.A.), weitere 14 zum M.B.B.S. (ärztl. Examen), 5 zum Ingenieur, 39 zum LLB (juristischer Abschluß) und 3 zum Agraringenieur. Es gibt - einschließlich etlicher Neugründungen - 11 staatliche und 18 private Universitäten; 1994/95 hatten 11 Universitäten 134.813 Studenten (1989/90: 47.803), meist in den Geisteswissenschaften [SYB 1996 : 513]. Von den 4.551 Absolventen (M.A.) der Universität Dhaka, der größten des Landes, hatten 1995 92 Physik, 69 Chemie, 120 Mathematik und 26 Datenverarbeitung studiert [SYB 1996 : 516]. Von den 15-24jährigen sind (1993/94) 6,0 % in der Ausbildung.

Quellen:
HDR : Human development report (UNIDO)
SYB : Statistical Yearbook of Bangladesh. Dhaka: Bangladesh Bureau of Statistics.
UNSD : United Nations, Statistical Department
WDR : World development report (World Bank) 



Eine frühere Fassung erschien in: Munzinger /IH-Länder aktuell 47/95. Ravensburg. Soziales und Kultur.


Anmerkungen, Korrekturen, Ergänzungen, Fragen: h93@ix.urz.uni-heidelberg.de


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