Wolfgang-Peter Zingel
Südasien-Institut der Universität Heidelberg, Abteilung Internationale Wirtschafts- und Entwicklungspolitik

Bericht in Asien. Deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur. Hamburg: Deutsche Gesellschaft für Asienkunde. 63(April 1997). pp. 104-106.

Seminar on "Sustainable development -- greening of national accounts"

Colombo, 13. - 14. Dezember 1996

Statistiken sind zuweilen verführerisch: sie können Erfolge vorgaukeln und zu falschem Handeln verleiten. Dies gilt besonders für die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, und hier vor allem für eine Kennzahl, die lange als Indikator für Erfolg und Miáerfolg der Wirtschaftspolitik, vor allem in den sog. Entwicklungsländern, angesehen wurde. Am Sozialprodukt wurde ganz im Sinne der Modernisierungstheorie der Fortschritt abgelesen. Bedenken gegen unreflektierte Wachstumsstrategien kamen in den 60er Jahren auf, als zu erkennen war, daß sich die erhofften Ausbreitungseffekte (trickle down) nicht automatisch bei derart gemessenem wirtschaftlichem Wachstum einstellten; die Kritiker beriefen sich auf die zunehmenden sozialen und regionalen Disparitäten; in den 70er Jahren wuchs die Erkenntnis, daá das Ziel wirtschaftlichen Wachstums nachhaltig (sustainable) nicht erreichbar ist, solange es zu Lasten der Natur verfolgt wird; es ist das Verdienst von Robert Repetto vom World Resources Insitute, aufgezeigt zu haben, daß bei einer Berücksichtigung des Naturverbrauchs in diesem Fall in Form von tropischen Harthölzern für den Export in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung die statistisch ausgewiesene Wirtschaftsleistung Indonesiens deutlich zurückgeht; damit verlieren Länder, die ihre "Entwicklung" der Plünderung ihrer Ressourcen verdanken, ihren Beispielcharakter. Solange alternative Bestimmungen des Sozialprodukts aber aus Datenmangel mit groben Annahmen arbeiten müssen, bedient man sich vor allem in den Industrieländern vorerst eher physischer Indikatoren.

Angesichts zunehmender Zweifel an der Aussagefähigkeit der Sozialproduktsstatistik wurden unter Führung der Vereinten Nationen Vorschläge für eine Revision des Systems der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erarbeitet, auf die sich 1993 die Vereinten Nationen, die Weltbank, der Weltwährungsfonds (IMF), die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und die Europäische Union einigten; das den Mitgliedsstaaten empfohlene System of National Accounts löst die Regeln von 1968 ab. Generell wird als Richtgröße für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes das Nettoinlandsprodukt angesehen, das sich von dem bisher häufiger verwendeten Bruttosozialprodukt dadurch unterscheidet, daß es zum einen nicht auf die Einkommen ("sozial"), sondern auf das Territorium ("inland") abzielt und zum anderen den Wertverzehr des Kapitals (Abschreibungen) berücksichtigt ("netto"). Der Verbrauch von "Natur", einschließlich ihrer Nutzung als Einleitungsmedium von Schadstoffen, führt -- soweit als Wertverzehr des Umwelt-Kapitals berücksichtigt -- zu einer Minderung der Meßgröße eines ökologischen Nettoinlandsprodukts; Regeln für dessen Ermittlung werden vorerst allerdings für eine Nebenrechnung (satellite account) empfohlen. Ebenso, wie sich die Vorstellung eines eindimensionalen Entwicklungsziels schon lange nicht mehr aufrechterhalten läßt, kann auch ein Öko-Inlandsprodukt nicht als alleiniger Indikator dienen; mehrdimensionalen Zielsystemen dienen heute komplexe Meßsysteme, die vor allem physische Größen enthalten. Vorerst unberücksichtigt blieb bei den internationalen Empfehlungen das sog. Humankapital. Da Ausgaben für Bildung und Gesundheit als (staatlicher) Konsum angesehen werden, wird eine Vernachlässigung dieser Sektoren (kurzfristig) von der Sozialproduktsstatistik "belohnt". Soweit die (nationale) Ersparnis als Restgrößte ermittelt wird und der Naturverbrauch als Kapitalminderung unberücksichtigt bleibt, weist die Statistik zwangsläufig eine zu hohe und im Falle des Humankapitals eine zu niedrige Kapitalbildung aus; falsche Weichenstellungen in der Wirtschaftspolitik sind die Folge.

Das Goethe-Institut in Colombo hat sich dieses ebenso anspruchsvollen wie zeitgemäßem Themas in Zusammenarbeit mit dem Lanka International Forum on Environment and Sustainable Development (LIFE) angenommen, einer NRO, die von dem aus Sri Lanka stammenden und in den USA lehrenden Wirtschaftswissenschaftler Mohan Munasinghe ins Leben gerufen wurde. An dem zweitägigen Seminar nahmen neben den Mitarbeitern von LIFE auch ranghohe Beamte der einschlägigen staatlichen Stellen teil wie der Zentralbank (Central Bank of Sri Lanka), des Amtes für Volkszählung und Statistik und des Umweltministeriums, vertreten durch seinen Staatssekretär. Eingeleitet wurde das Seminar durch Beiträge der Organisatoren, des Berichterstatters und von Christian Leipert vom Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin mit Einführungen zum Begriff der green acocunts, ihren Anwendungsmöglichkeiten und ersten Erfahrungen, vor allem in Deutschland. Kaiser Bengali vom Institute of Sustainable Development in Islamabad konnte berichten, daá diese Diskussion in Sri Lanka weiter gediehen sei als in Pakistan; in den anderen Staaten Südasiens mit der möglichen Ausnahme Indiens sähe es noch schlechter aus.

In Arbeitsgruppen wurde ein Programm für das weitere Vorgehen erarbeitet, das z.T. unmittelbar nach der Veranstaltung mit den Verantwortlichen (etwa dem Leiter der nationalen Planungsbehörde) diskutiert wurde: Vorrangiges Ziel muß es sein, die UN-Richtlinien von 1968 und 1993 anzuwenden: die Kapitalnutzung wird bis jetzt nur ganz pauschal geschätzt und läßt noch nicht einmal eine sektorale Differenzierung zu. Weil das Statistische Amt seine Zahlen erst nach reiflicher Prüfung vorlegt, werden für aktuelle wirtschaftspolitische Entscheidungen die Schätzungen der Zentralbank verwendet; die beiden staatlichen Stellen sind um eine bessere Koordination bemüht. Trotz dieser Unzulänglichkeiten der statistischen Dienste sollte nach Auffassung der Teilnehmer mit der Aufstellung einer Nebenrechnung für einen noch auszuwählenden besonders wichtigen Bereich (Boden, Wasser) nach Maßgabe des System of Environmentally Economic Accounts (SEEA) begonnen werden, die geeigneten physischen Indikatoren identifiziert und mit ihrer Messung begonnen werden; solche Pionierleistungen müßten allerdings außerhalb des Statistischen Amtes geschehen, das mit über 7.000 Beschäftigten eine ebenso große wie unbewegliche Behörde ist. Für die Diskussion soll ein Internet-Forum geschaffen werden, ein auch in Sri Lanka durchaus realistisches Vorhaben, das eine vergleichbar schnelle und kostengünstige Kommunikation auch mit den im Ausland tätigen Interessierten bietet; der Kontakt innerhalb der südasiatischen Staaten soll ausgebaut werden (weitere Informationen: h93@ix.urz.uni-heidelberg.de); eine Veröffentlichung der Beiträge und Empfehlungen ist geplant.

Nachtrag:

Der Tagungsband ist inzwischen erschienen: Mohan Munasinghe, Stefan Dreyer, Pradeep Kurukulasuriya (eds.): Greening the national income accounts - relevance for South Asia. Colombo: Lanka International Forum in Environment and Sustainable Development and German Cultural Institute. 1999.

Der Beitrag des Berichterstatters Greening the accounts: Overview and Techniques findet sich im Internet.